In ihrem 2009 erschienenen und mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichneten Roman „Apostoloff“, einem Road Movie durch Bulgarien, der mit Unterwegs mit Rumen beginnt, beklagt sich die bulgarisch/schwäbische Autorin Sibylle Lewitscharoff darüber, dass sich viele Frauen in Bulgarien wie Nutten anziehen würden. Meine aktuelle Beobachtung ist, dass auch in diesem Punkt die Balkanisierung in Berlin vollständig abgeschlossen ist. Mit einem Unterschied: die wie Nutten gekleideten Frauen in der Bundeshauptstadt sind not avaible, also nicht verfügbar.
Neulich unterhielt ich mich mit einem von diesen stromlinienförmigen Mainstreamern. Also jemand, der noch der Tagesschau und dem Spiegel glaubt. Ich meine das gar nicht böse. Immerhin gehört er einer Mehrheit an. Es lebt sich bekanntlich immer leichter, wenn man einer Mehrheit angehört. Ich weiß das, weil es in Bulgarien genau umgedreht ist. Auch deswegen tue ich mich immer etwas schwer, mich hierzulande mit Menschen wie Thomas zu unterhalten, der nicht Thomas heißt. Aus unerfindlichen Gründen kamen wir auf Putin zu sprechen. Wie das Leben manchmal so spielt. Mehrheitsmensch Thomas war der Meinung, dass Putin uns wenn nicht morgen, so doch spätestens übermorgen angreifen wird. Schließlich führe Putin einen „Angriffskrieg gegen die Ukraine“. Ich fragte Thomas, ob er sich schonmal die Frage gestellt habe, warum Putins „Angriffskrieg gegen die Ukraine“ nicht „Der vom Westen provozierten Angriffskrieg gegen die Ukraine“ genannt wird. Etwas provokativ erlaubte ich mir die Zusatzfrage, ob er wirklich glaube, dass Putin diesen Krieg begonnen habe, weil er die Nacht zuvor schlecht geschlafen hat. Thomas wusste nicht, was er sagen sollte. Solche Fragen hatte ihm noch nie jemand gestellt, und er sich selbst offensichtlich auch nicht. Ich solle ihm mehr Informationen geben, denn er wisse nichts über die Vorgeschichte dieses Krieges, so Thomas. Ich gab ihm die gewünschten Informationen, woraufhin Thomas als nächstes meinte, dass er meine Informationen prüfen müsse – immerhin. Mehr kann man nicht erwarten. Im Normalfall stehen die Leute auf und gehen oder fangen an einen wüst zu beschimpfen, wenn man es wagt, ihre Glaubensbekenntnisse in Frage zu stellen. Thomas ist dagegen der dritte und beste Fall, auch wenn er nichts prüfen sondern später nur sagen wird, dass da irgendsoein Idiot ihm irgendwelche bescheuerten Fragen gestellt habe. – Der Titel „Putin hat schlecht geschlafen“ ist übrigens inspiriert von „Frank Sinatra ist erkältet“ vom amerikanischen Journalisten und Schriftsteller Gay Talese, der in den frühen 1960er Jahren für die The New York Times schrieb. Darüber hinaus gilt Gay Talese als Mitbegründer des literarischen Journalismus und einer Bewegung im Journalismus, die gerne auch als New Journalism bezeichnet wird. Der vollständige Titel ist: „Frank Sinatra ist erkältet. Spektakuläre Storys aus vier Jahrzehnten.“ Fällt mir gerade noch ein, dass ich ganz vergessen habe Mehrheitsmensch Thomas zu fragen, ob er bereit wäre, gegen Putin in den Krieg zu ziehen. Das ist aber nicht weiter schlimm. Was wäre seine Antwort schon Wert gewesen nach dem fünften halben Liter Bier?
Die „Delegitimierung des Staates“, gerne auch „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“, ist ein relativ neues Phänomen. Obwohl, ganz so neu ist es nun auch wieder nicht. Bei der Stasi in der DDR hieß es noch „Staatsfeindliche Elemente“ oder auch „Feindlich-negative Elemente“, aber das nur nebenbei. Jedenfalls wollte ich mich gerade fragen, wer oder was genau der Staat ist, als ich die Antwort in einem bereits vor zwölf Jahren erschienen Buch fand: DER STAAT SIND WIR! Schön auch der Hinweis WARUM VOLK SEIN NICHT (mehr) GENÜGT.
Ein Stand auf dem Flohmarkt braucht unbedingt einen Hingucker oder auch Aufmacher. Bei mir ist das das Buch übers Messerwerfen. Das nimmt jeder Zweite in die Hand. Kaufen tut es komischerweise keiner. Aber vielleicht ist das auch gut so. Möglicherweise gilt das, was für das Schwert gilt, nämlich dass der, der das Schwert erhebt, auch durch das Schwert umkommen wird, auch für Messer. Über die beiden Hesse-Bände hatte ich hier bereits geschrieben. Alexander Mitscherlich sah uns schon Anfang der sechziger Jahre „Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft“. Heute, wo immer weniger wissen, was Mutter und Vater sind, sind wir schon einen Schritt weiter.
„Ja, wir sind im Krieg!“ – so der Titel meines aktuellen Interviews mit Hans-Joachim Maaz, das heute auf den NachDenkSeiten erschienen ist. Wenn die Aussage des bekannten Psychotherapeuten und Bestsellerautors aus Halle an der Saale stimmt, und davon ist auszugehen, hat das Mantra „Nie wieder Krieg!“, das die Deutschen bis heute vor sich her tragen, nichts genutzt. Wie es aussieht, müssen wir erst wieder in eine wirklich ernste Krise, in ein Chaos, in irgendeinen Zusammenbruch kommen, um dann zu sehen: Was lässt sich verändern, was lässt sich vielleicht doch noch verstehen und verbessern. Nicht gerade schön, aber leider mehr als nur wahrscheinlich.
Nach der Hundematte von Michael Ballweg ist bereits die zweite Mentholzigarette im Anmarsch, und zwar in der Person von Maja Wiens, Chefin der „Omas gegen Rechts – Berlin“. Laut Tichys Einblick soll sie als Inoffizielle Mitarbeiterin (IM) „Marion“ akribische Spitzelberichte für das Ministerium der Staatssicherheit der DDR, kurz Stasi, geschrieben haben. Die taz schrieb über sie: Wiens war einmal Inoffizielle Mitarbeiterin (IM), kein kleines Würstchen, sondern ein dicker Fisch. Von 1978 bis mindestens 1983 schrieb sie Seite über Seite voll mit Geschichten aus dem Leben auch von guten Freunden … Präzise und in einem Ton, den niemand bei der hilfsbereiten Frau vermutet hätte. „IM Marion“ sieht sich eigentlich als Schriftstellerin, doch die Poesie sucht man in den Spitzelberichten vergeblich. – Wie sehen eigentlich ihre Berichte gegen Rechte und angebliche Nazis heute aus? Hat sich Maja Wiens alias IM „Marion“ zumindest schriftstellerisch weiterentwickelt? Wie dem auch sei, die Geschichte um Maja Wiens alias „IM Marion“ hat definitiv das Zeug zur zweiten Mentholzigarettenstory. – Das Foto oben hat übrigens nichts mit Maja Wiens zu tun, zumindest nicht direkt. Die Aufnahme stammt von der Friedensdemo vorm Brandenburger Tor am Samstag. Die „Opas und Omas für Frieden“ haben spätestens jetzt das Zeug echte Gegenspieler zu den „Omas gegen Rechts“ zu werden. – Überhaupt ist es immer besser „für“ als „gegen“ etwas zu sein. „Gegen“ etwas sein, kann jeder. „Für“ etwas zu sein, da gehört schon mehr dazu.