
Obige Aufnahme entstand am Samstag in der Rakowskistraße in Sofia. Nicht nur in Sofia, auch in anderen Städten Bulgariens gab es Proteste gegen die “zwangsweise Einführung des Euro ohne Referendum und ohne Zustimmung des bulgarischen Volkes”. Die Formulierung stammt nicht von mir, sondern vom Bulgarischen Nationalradio (BNR). Über den Protest in Sofia habe ich diesen Beitrag verfasst, der gerade bei der “Freien Akademie für Medien und Journalismus” erschienen ist. In meinem heutigen Blogbeitrag soll es um die Rakowskistraße gehen. Ich kenne die Straßen von Sofia nicht so gut, wie ich die Straßen Berlins gekannt habe. Die Rakowskistraße, benannt nach dem Revolutionär, Schriftsteller und Aufklärer der Bulgarischen Nationalen Wiedergeburt Georgi Rakowski, von dem der Ausspruch stammt: “Vaters Haus sollst du nie vergessen, alte Bräuche sollst du nie verachten”, macht da eine Ausnahme. In der Rakowskistraße wohnte einst meine Oma, vielleicht 300 Meter weiter unten in Blickrichtung. Als Kind bin ich oft diese leichte Steigung hochgelaufen vorbei am übergroßen Denkmal von Alexander Stamboliski, dem Vorsitzenden des Bauernvolksbundes und Abgeordneten der Nationalversammlung. Während Rakowski im rumänischen Exil an Tuberkulose starb, wurde Stamboliski in der Heimat ermordet. Bevor er erschossen wurde, wurde er gefoltert. Seiner Leiche schnitt man die Hände ab, was ich als Kind, das sein Viertel erkundete, noch nicht wusste. Jetzt weiß ich es und muss daran denken, wenn ich so wie letzten Samstag die Rakowskistraße hochlaufe, diesmal als Protestberichterstatter.

Angeführt wurde der Demonstrationszug, es war der größte, den ich je in der bulgarischen Hauptstadt gesehen habe, wie bei Demonstrationen üblich von Polizisten in Schutzkleidung. Diese gab es auch am anderen Ende der Rakowskistraße, an dem sich der Glaspalast der Europäischen Kommission befindet. Dort trugen die Polizisten zusätzlich Schilde, offensichtlich um sich vor mit Fahnen bewaffneten Mädchen auf Mutters Arm zu schützen.

Dabei haben sie doch nur die Demokratie geschützt, also die von den anderen, weswegen sie in der Heimat auch “unsere” Demokratie genannt wird. Am Samstag in Sofia ging es auch darum, zu verhindern, dass wieder mit roter Farbe gefüllte Eier auf das Gebäude geworfen werden oder gar Scheiben des Glaspalastes zu Bruch gehen. Es muss gute Farbe gewesen sein, vermutlich war sie aus dem Westen, denn an einigen Stellen ist sie bis heute zu sehen, obwohl der Protest, auf dem die Eier geworfen wurden, bereits mehr als drei Monate zurück liegt.

Wie man sieht, befindet sich der Glaspalast der EU an einer Ecke. Nur einen Steinwurf entfernt, praktisch gegenüber, befindet sich der Supermarkt Lidl, in dem seit Neuestem die Preise auch in Euro angegeben sind. Mit anderen Worten: Die Deutschen sind Vorreiter bei der “zwangsweisen Einführung des Euro ohne Referendum und ohne Zustimmung des bulgarischen Volkes”. Mit Zwang kennt er sich aus, der Deutsche. An seinem Wesen soll mal wieder die Welt genesen. Man kennt das. Auch wenn niemand an den EU-Glaspalast herangekommen ist, war der deutsche Lidl geöffnet. “Business As Usual” sagt der Amerikaner dazu. Ob man es noch sagen darf, seitdem Trump Präsident ist, da bin ich mir gerade nicht sicher. “Da rollt der Rubel” geht glaube ich nicht mehr.
