Bericht aus Bulgarien (113)

Auf dem Pass

In Bulgarien ist noch einmal der Winter zurückgekehrt, zumindest im Gebirge. Auf dem Balkan-Pass, über den ich immer muss, wenn ich von Sofia zurück komme, gab es gestern sogar so etwas wie einen Stau, besser eine Kolonne. Jetzt nicht die Fünfte Kolonne Putins, das nicht, aber immerhin eine Kolonne von Autos, die in die bulgarische Hauptstadt wollten. Auch in Bulgarien gibt es das Phänomen, dass Hauptstädter ihr Wochenende gerne außerhalb verbringen. Die wenigsten Sofioter orientieren sich dabei allerdings Richtung Norden. Das ist ihnen zu ärmlich. Dafür gibt es so einige, die in der ärmsten Region im Norden wohnen und in Sofia arbeiten. Es waren also eher Arbeitsnomaden als Ausflügler, die mir da entgegenkamen.

Werbung auf Hochhäusern in Sofia

Viele von ihnen fahren regelmäßig von Sofia in ihr Dorf, um dort nach dem rechten zu schauen. Die bulgarische Hauptstadt ist voll von Dörflern, so wie Berlin voll von Provinzlern ist. Die in der bulgarischen Hauptstadt lebenden Dörfler sind allerdings eher arm, haben also keine reichen Eltern, sondern meist nur einen Garten in ihrem Dorf, um den sie sich kümmern müssen – manchmal auch noch ihre Eltern. Meine Vorfahren auf dem Dorf sind schon vor vielen Jahren verstorben. Es war auch ein anderes Dorf, aber auch im Norden. Auf meinem Dorf habe ich jetzt immerhin zehn Tomatenpflanzen neben meiner Hütte, die gestern, als ich zurück kam, etwas eingeschneit waren. Da ich sie vorher mit alten Plastikflaschen abgedeckt hatte, hoffe ich, dass sie überleben.

Überleben ungewiss

Ansonsten muss auch ich mir im Sommer im Supermarkt Tomaten aus Polen kaufen. So wie regelmäßig Schweinehälften aus Deutschland rangekarrt werden, so gibt es regelmäßig Tomaten aus Polen in den Supermärkten des Agrarlands Bulgarien. Nach dem Schweine züchten hat man hier auch das Tomaten pflanzen verlernt. Wer nichts weiß, muss alles glauben, und wer nichts kann, muss alles kaufen – vorausgesetzt er hat das Geld dazu. Da mir meines langsam aber sicher ausgeht, und ich auch nicht sicher bin, ob meine Tomaten etwas werden, erlaube ich mir noch einmal, auf die Möglichkeit einer Spende für mich hinzuweisen. Mich nervt sie selbst, diese ewige Bettelei, das kannst du mir glauben. Andererseits weiß ich auch, dass möglicherweise auch du Gutes tun willst, und nicht weißt wie, oder dass du ganz und gar nicht weißt, wohin mit deinem ganzen Geld.

Das schönste im Leben ist umsonst

Mir geht es nicht nur ums Geld, auch das kannst du mir glauben. Geld ist für mich nur Mittel zum Zweck. Das ist die Wahrheit. Es ist für mich vor allem eine Übung. Eine Übung darin, Menschen um Hilfe zu bitten. Das fällt vielen Menschen schwer, und vielleicht gehörst auch du zu diesen Menschen, die nicht gerne um Hilfe bitten, die es sich verbieten, weil man ihnen eingetrichtert hat, immer alleine klarkommen zu müssen, oder weil sie Angst davor haben, dass ihnen niemand hilft. Die Erfahrung, andere Menschen um Hilfe zu bitten, die muss jeder selber machen. Das kann dir niemand abnehmen. Aber immerhin die Erfahrung, dass man Hilfe bekommt, wenn man darum bittet, die kannst du jetzt machen. Denn es stimmt wirklich: Es wird einem gegeben, man muss nur darum bitten.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (112)

Vorgestern in Sofia

Gestern habe ich meinen Freund aus der Heimat zum Flughafen gebracht. Er war eine Woche in Bulgarien und hat “Die Große Freiheit” genossen, was mich auf die Idee gebracht hat, ein Interview mit ihm zu machen. Ganz genau darüber, wie sich ein Deutscher derzeit in Bulgarien fühlt. Das hat mein Freund mit dem Hinweis auf seine Familie und seine Arbeit in Deutschland abgelehnt. Auch ein Bild kann ich nicht von ihm veröffentlichen, aber immerhin eins, das er von meinem Freund, den Dudelsackspieler, und mir vorgestern in Sofia gemacht hat. In den nächsten Tagen werde ich über Gedanken und Beobachtungen meines Freund hier in Bulgarien berichten. Und ich werde ihn darum bitten, vielleicht selbst etwas darüber zu schreiben.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (111)

Gestern im Park
Im Park vor dem Nationalen Kulturplast (NDK) in Sofia traf ich gestern auf eine lesende Bulgarin. Auch in Bulgarien gibt es des Lesens und Schreibens kundige Menschen, nicht alle sind Barbaren respektive Barbarinnen oder gar Untermenschen, und manche von ihnen können sogar englisch. Preslawa, oben im Bild, las gerade ein Buch mit der Fragestellung, warum Frauen im Sozialismus besseren Sex hatten, das ganze auf englisch. Ich als alter Ossi weiß natürlich Bescheid, aber die jungen Leute von heute selbst in Bulgarien nicht unbedingt. Geschrieben hat das Buch die Historikerin und Ethnografin Kristen R. Ghodsee, und sie hat damit 2017 für ziemliche Furore in der New York Times gesorgt. Die Amerikaner und auch die Amerikanerinnen haben ja oft keine Ahnung. Die These der Autorin ist, dass vor allem Frauen unter der kapitalistischen Transformation gelitten haben, und da insbesondere beim Sex. Deswegen hätten Frauen, so die Autorin weiter, bei den bevorstehenden Veränderungen am meisten zu gewinnen. Nicht nur die Frauen, erlaube ich mir als Mensch von früher hinzufügen, denn Sex geht meist zu zweit besser. Das sage ich auch in Rückblick auf den Sozialismus in der DDR, dessen Kind ich bin.
Foto&Text TaxiBerlin

 

Bericht aus Bulgarien (110)

 

Ich erfahre gerade vom ZDF, also Öffentlich/Rechtlich, die mit dem Bildungsauftrag, dass “auch wenn Russen europäisch aussehen, dass es keine Europäer sind”. Neulich auf der Demo für die Neutralität Bulgariens und gegen den Bruderkrieg in der Ukraine wurde sowohl das ukrainische als auch die russische Volk noch als Brudervolk bezeichnet. Jetzt sorge ich mich, ob eventuell auch Bulgaren, zu denen ich ja auch zur Hälfte gehöre, “einen anderen Bezug zu Gewalt haben, einen anderen Bezug zu Tod haben”, also praktisch Untermenschen sind. Weil bisher hatte ich eher den Eindruck, dass die größeren Unmenschen, im Sinne von unempathisch und ohne gesunden Menschenverstand, in Deutschland zu finden sind. Die Dame im obigen Interview gehört auf jeden Fall zu ihnen. Und bei Öffentlich/Rechtlich, die mit dem Bildungsauftrag, hat sie rein gar nichts verloren. Als halber Deutsche schäme ich für solche Kriegspropaganda selbst in den Schluchten des Balkans noch. In Deutschland hat man offensichtlich nichts aus der Geschichte gelernt.

Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (109)

Was in dem Buch “Der Angriff auf die Sowjetunion” noch als “unwilliger Verbündeter” bezeichnet wird, ist unter Insidern auch als “Bulgarisches Orakel” bekannt. Das “Bulgarische Orakel” besagt, dass derjenige, der sich mit Bulgarien verbündet, den Krieg verlieren wird. Da das “Bulgarische Orakel” bei den letzten beiden großen Kriegen totrichtig lag, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dies auch beim dritten so sein wird. Das letzte Bündnis, das Bulgarien eingegangen ist, war die EU, das davor die NATO. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa ist man gut beraten, auf den “unwilligen Verbündeten”, das “Bulgarische Orakel” zu hören. – Höre gerade im bulgarischen Nationalradio “Christo Botew”, dass 70 Prozent der Bulgaren für die Neutralität ihres Landes und gegen jegliche militärische Unterstützung der Ukraine sind. In Bulgarien befürchtet man, dadurch unfreiwillig in den Krieg hineingezogen zu werden, was nicht nur nicht im Interesse Bulgariens, sondern ganz Europas ist, und zwar des “Bulgarischen Orakels” wegen. In Deutschland, wo man meint aus der Geschichte gelernt zu haben, scheint man dies nicht begriffen zu haben – deswegen dieser Beitrag.
Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (108)

Nachdem mich meine ehemalige Bulgaristik-Dozentin von der Berliner Humboldt Universität und Leserin meines Blogs auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht hat, meine Texte bei „Open Source“, einem Angebot der Berliner Zeitung, zu publizieren, habe ich dort drei Texte eingereicht. Keiner von ihnen wurde veröffentlicht. Der erste Text enthielt der Berliner Zeitung zu viel Corona, beim zweiten Text erhielt ich keine Antwort und der dritte Text, den ich am Freitag eingereicht habe, enthält der Berliner Zeitung zu viel Krieg.

Der erste Text, der der Berliner Zeitung zu viel Corona enthielt, den ich schon vor dem Krieg in der Ukraine verfasst habe, hat den Titel „Vom Denken in Geld und dem Glauben an Gott“ und ist vor wenigen Tagen auf „Inskriptionen“, dem literarischen und essayistischen Blog des Leipziger Literaturverlags (LVV), erschienen.

Mein zweiter, aktueller Text, der der Berliner Zeitung jetzt zu viel Krieg enthält, hat den Titel „Hoffnung für Europa“. Ich veröffentliche ihn nachfolgend und mit Fotos von mir:

Hoffnung für Europa

Am 19.3.2022 vor dem Ministerrat in Sofia

Am 6. April hatte ich in der bulgarischen Hauptstadt Sofia Gelegenheit, mich auf dem Unabhängigkeits-Platz vor dem Ministerrat mit dem obersten Ordnungshüter zu unterhalten, der sowohl für das bulgarische Parlament als auch die bulgarische Regierung zuständig ist. Der landesweite von der Partei „Wiedergeburt“ organisierte Nationale Protest für die Neutralität Bulgariens im Ukraine-Krieg, der wieder 5.000 Menschen auf die Straßen Sofias gebracht hat, war kurz zuvor mit dem Erklingen der bulgarische Nationalhymne friedlich und ohne Zwischenfälle zu Ende gegangen.

Der Name des obersten sowohl für das bulgarische Parlament als auch für die bulgarische Regierung verantwortlichen Polizisten ist Georgi Alexejew. Ich hatte ihn bereits auf vorherigen Protesten gesehen und auch fotografiert. Seine polizeiliche Ordnungsnummer auf seiner schwarzen Uniform ist 241 333. Gerne hat er mir seinen Namen verraten und auch wiederholt, so dass ich ihn korrekt notieren konnte. Überhaupt ist Georgi Alexejew ein offener und freundlicher Mensch, der sich immer wieder mit den Frauen und Männern auf den Protesten unterhält. 

Alexejew im Gespräch mit Demonstrantinnen vor dem Ministerrat (Sofia, 19.3.22)

Wie auf allen Protesten zuvor in diesem Jahr, so wurde auch auf dem am 6. April in der bulgarischen Hauptstadt keiner verhaftet und niemand verletzt. Masken und Abstände spielten keine Rolle, und es gab auch keine Polizisten in Kampfanzügen. Ein paar wenige Helme, Schilder und Gummiknüppel habe ich zwar auch an diesem Tag gesehen, aber nichts davon kam zum Einsatz. Dass dies so war, hat auch mit dem für das Parlament und die Regierung verantwortlichen obersten Ordnungshüter Georgi Alexejew zu tun.

Nachdem ich mich ihm kurz vorgestellt und erwähnt habe, dass ich aus Berlin komme, erfahre ich von ihm, dass er auch schon einmal in Berlin gewesen sei und Einblick in die Arbeit der dortigen Polizei bekommen habe. Diese wäre um einiges härter als in Bulgarien üblich, das sei ihm schnell klar geworden. Härte sei aber nicht sein Stil, er gehe lieber auf die Menschen zu, unterhalte sich mit ihnen. Das sei ihm das wichtigste. 

Alexejew im Gespräch mit jungen Protestierenden neben dem Parlament (Sofia, 12.1.22)

Der Protest am 6. April 2022 richtete sich gegen die aktuelle Ukraine-Politik der amtierenden Regierung unter Kiril Petkow, die im Land keine Mehrheit hat. Wie auch, bei 60 Prozent Nichtwählern. Die Forderungen der Protestierenden an diesem Tag sind die Neutralität Bulgariens und der Rücktritt der amtierenden Regierung. Die Forderung, die Ukraine nicht militärisch zu unterstützen, sondern ausschließlich humanitär, wird von fast 70 Prozent der Bulgaren geteilt. Trotzdem beabsichtigt die Regierung unter Kiril Petkow weiterhin, der Ukraine militärische Hilfe zukommen zu lassen.

Viele Bulgaren befürchten, damit in den Krieg hineingezogen zu werden. Die Regierung solle sich an erster Stelle um die in der Ukraine lebenden Landsleute kümmern. Für nicht wenige ist der Krieg vor allem ein Krieg der USA und der NATO. 

Alexejew hinter dem Parlament (Sofia, 6.4.22)

Es war bereits die fünfte Protestveranstaltung, bei der ich in Sofia zugegen war. Die letzte am 27. März 2022 war ein Rockkonzert für den Frieden in der Ukraine, auf dem praktisch jeder zweite Teilnehmer ein alkoholisches Getränk in der Hand hielt.

Auf allen anderen Protesten zuvor hat niemand Alkohol getrunken, und so auch nicht auf dem am 6. April. Hier hatten bei schönstem Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen von um die 20 Grad einige nur eine Flasche Wasser dabei.

Alexejew im Gespräch mit einer Demonstrantin hinter dem Parlament (Sofia, 6.4.22)

Alexejew erwähnte in unserem Gespräch, dass man in Bulgarien aufgrund der langanhalten Proteste der Jahre 2020 und 2021, also mitten in Corona, viele Erfahrungen gesammelt habe. In dem Zeitraum zwischen dem 9.Juli 2020 und dem 16. April 2021 gab es nicht nur in der bulgarischen Hauptstadt, sondern auch in anderen größeren Städten des Landes praktisch täglich Demonstrationen, die das Ziel hatten, die damalige Regierung unter Boiko Borissow zu stürzen, die als korrupt galt.

Auf einigen Demonstrationen war ich damals zugegen, auch sie verliefen allesamt friedlich. Es gab auch Demonstrationen, auf denen dies nicht der Fall gewesen war, und auf denen Polizisten auch in Bulgarien eine Kampfausrüstung, Helm und Schild trugen. Nur, wegen dem Nichttragen einer Maske oder dem Nichteinhalten eines Mindestabstandes wurde in Bulgarien selbst zu Corona-Zeiten niemand verhaftet. Sie wurden verhaftet, weil sie mit Gewalt eine gewählte Regierung stürzen wollte.

Alexejew spricht mit einem Ordner hinter dem Parlament (Sofia, 6.4.22)

Diese hatte damals noch mehr Bulgaren hinter sich als die heutige. Trotzdem wurden die Proteste gegen sie im Westen weitgehend begrüßt. Die aktuellen Proteste gegen die amtierende Regierung unter Kiril Petkow werden dort dagegen nun unisono verdammt. Und noch etwas hat sich verändert. Hofften die Demonstrierenden damals auch noch auf Europa, so sind die aktuellen Proteste möglicherweise eine Hoffnung für den Kontinent.

Georgi Alexejew, der oberste sowohl für das Parlament als auch die Regierung Bulgariens zuständige Polizist, könnte eine solche Hoffnung sein. Am 6. April sprach er nicht nur mit mir, sondern auch mit Kostadin Kostadinow, dem Chef der Partei „Wiedergeburt“ und Anmelder der Demonstration. Was Alexejew und Kostadinow, die in dem kleinen Park hinter dem Parlament und am Rande des Protestes die Köpfe zusammensteckten, wie man so schön sagt, zu besprechen hatten, ist nicht bekannt.

Alexejew spricht mit Kostadinow hinter dem Parlament (Sofia, 6.4.22)

Möglicherweise hat Alexejew Kostadinow daran erinnert, dass es eine ähnliche Situation wie die, die sich am 6. April anbahnte, schon einmal gab in Sofia. Im November 2013 löste die Polizei eine Blockade von Demonstranten auf, die das Gebäude umzingelt hatten, um Minister und Volksvertreter aus dem Parlament zu befreien, sie vor ihrem Volk zu schützen.

Alleine die Tatsache, dass sie sich ausgetauscht haben, ist ein großer Unterschied zu Deutschland, wo man es vorzieht übereinander zu reden als miteinander zu sprechen. Zuvor hatte Alexejew sich bereits mit einer Demonstrantin unterhalten und einem Ordner des Protestes mit einer Armbinde in den nationalen Farben weiß, grün und rot etwas ins Ohr geflüstert, dem er dabei geradezu zärtlich über die Schulter um den Hals fasste. Vermutlich hat er so Kostadinow wissen lassen, dass er mit ihm sprechen wolle.

Alexejew spricht mit Kostadinow hinter dem Parlament (Sofia, 6.4.22)

Aber man spricht in Bulgarien nicht nur miteinander, sondern man kommt sich dabei auch zwangsläufig näher. Wahrscheinlich so nah, wie dies in Deutschland bis heute immer noch undenkbar ist, weil ohne Abstand, ohne Maske und ohne vorheriges Abfragen des Impfstatus. Der von Kostadinow, der den Impfstoff als „experimentelle Flüssigkeit“ bezeichnet, darf als bekannt angenommen werden, so denke ich.

Auch in Bulgarien ist die Polizei nah am Menschen, wenngleich auf einer etwas anderen Art und Weise als in Deutschland, wo Polizisten immer mehr ferngesteuerten Kampfmaschinen gleichen als Menschen aus Fleisch und Blut. Alexejews Credo „aufeinander zugehen – miteinander sprechen“ könnte nicht nur in Berlin und Deutschland hilfreich sein, sondern ebenso im Ukrainisch-Russischen-Bruderkrieg. Auf dem Protest wurden beide Völker als Brudervölker Bulgariens bezeichnet.

Alexejew spricht mit Kostadinow hinter dem Parlament (Sofia, 6.4.22)

Kostadinow und mit ihm die Protestierenden zogen am 6. April bald nach dem Gespräch mit Alexejew vom Parlament zum ein Kilometer entfernten Regierungssitz, wo der oberste Ordnungshüter sie in bester Laune mit seinen Leute erwartete. Alexejew hatte offensichtlich kein Problem gehabt, den das Parlament umgebenden Park zu verlassen.

Alexejew spricht mit Kostadinow hinter dem Parlament (Sofia, 6.4.22)

Auf dem „Machtdreieck“, wie der Platz vor der Volksversammlung, dem Sitz des bulgarischen Präsidenten und dem Ministerrat auch genannt wird, sprach Chef der Partei „Wiedergeburt“, Kostadinow, noch einmal zu den Protestierende, und auch zu den Polizisten, die im Normalfall ein Teil der Mehrheit sind, die seine Forderungen unterstützt: Neutralität Bulgariens und keine militärische Unterstützung der Ukraine.

Alexejew spricht mit Kostadinow hinter dem Parlament (Sofia, 6.4.22)

Zum Schluss erklang die bulgarische Hymne „Liebe Heimat“, die die Demonstranten textsicher mitsangen und die sowohl die Protestierenden, als auch die Polizisten für einen Moment still stehen ließ – mit ihnen Georgi Alexejew.

Kurz darauf habe ich mit ihm gesprochen. Verabschiedet haben wir uns am Ende mit einem Handschlag.

Fotos&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (107)

Bulgarien ist, ich hatte das mehrfach erwähnt, was seine Bevölkerung angeht, das am schnellste schrumpfende Land weltweit, ohne dass ein Krieg erklärt worden wäre oder gar stattgefunden hätte. Bei letzterem bin ich mir nicht mehr so sicher, auch das schrieb ich bereits. Zumindest zeitigt es die gleichen Resultate, egal ob offiziell ein Krieg stattfand oder nicht. Ein altes bulgarisches Sprichwort sagt, dass man aus allem Schlechten etwas Gutes machen kann. Genau das möchte ich mit diesem Beitrag versuchen, indem ich obige Ruine als Film-Kulisse anbiete. Ich bin also neuerdings auch Location-Scout, wobei ich dazu sagen muss, dass solche Berufsbezeichnungen in Bulgarien unbekannt sind. Das Angebot richtet sich auch nicht an Bulgaren, für die obige Ruine keine Filmkulisse sondern Realität ist.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (106)

Hatte ich letztes Jahr fünf Tomatenpflanzen, so habe ich dieses Jahr 10 gepflanzt. Genau sind es sogar 20, denn es sind jeweils zwei. Ich expandiere also hier in den Schluchten des Balkans. Letztes Jahr habe ich sie Ende Mai gepflanzt, weil ich da erst aus Deutschland gekommen war.
Das war etwas spät, weswegen ich am Ende viele grüne Tomaten hatte. Die habe ich eingelegt, musste aber feststellen, dass ich keine eingelegten grünen Tomaten mag. Eigentlich wollte ich Rosa Tomaten haben, Bulgarien ist wegen seinen Rosa Tomaten bekannt, aber der Typ auf dem Basar hat mir dummen Deutschen irgendwelche als Rosa Tomaten verkauft.
Angeblich waren es Rosa Büffelherz Tomaten, aber das war auch gelogen. Wenn man nicht aufpasst, macht der Bulgare mit einem, was er will. Dieses Jahr habe ich meine Tomatenpflanzen von einer Frau gekauft. Ihr Stand ist auf dem Basar der erste. Sie und auch ihr Stand machen immer einen guten Eindruck. Normalerweise gehört er eher zu den teureren, aber der Preis für die Tomatenpflanzen war ganz normal: 1,50 Lewa (75 Cent).
Genau genommen war er sogar günstig, weil es wie gesagt immer zwei Tomatenpflanzen sind. Was immer noch teuer ist in Bulgarien, ist deutsche Butter. Da bekommt man das Stück kaum unter 6 Lewa (3 Euro). Auch Sonnenblumenöl ist extrem teuer geworden. Zum Glück koche ich nicht mit Sonnenblumenöl wie die meisten Bulgaren, sondern mit Olivenöl, was auch immer mehr die Butter bei mir ersetzt.
Eier sind auch teurer geworden, man bekommt praktisch kein Ei mehr unter 30 Stotinki (15 Cent). Ich erwähne die Eier, weil Bulgaren gerne Tomaten zusammen mit Eiern und Sonnenblumenöl in der Pfanne zubereiten. Das ganze nennen sie „Misch-Masch“, eine deutsche Wortschöpfung.
Bulgarische Rosa Tomaten schmecken am besten als Salat, und da am allerbesten im traditionellen Schopska Salata. Natürlich nur in der Saison, das ist klar. Traditionell sind im Schopska Salata neben den Rosa Tomaten, Gurken, Zwiebeln und dem geriebenen Schafkäse darüber auch geröstete und geschälte Paprika.
Jetzt, also in kapitalistischen Zeiten, sind die Paprika im Schopska Salata aber meist roh. Sie vorher zu rösten und zu schälen ist wahnsinnig viel Arbeit, die sich aber lohnt, genauso wie die eigenen Rosa Tomaten.
Ob meine wirklich Rosa Tomaten sind diesmal? Ich lasse mich überraschen. Bulgarien ist ja auch als Land der Überraschungen bekannt.
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Bericht aus Bulgarien (105)

Seit gestern Abend bin ich nun ohne Wasser. Erst war nur der Wasserdruck weg, was ich mir anfangs damit erklärte, dass am Nachmittag Nachbarn aus Sofia gekommen waren, um das Wochenende in ihrem Haus zu verbringen. Dann wurde ich skeptisch und bin noch mal raus, um der Sache auf den Grund zu gehen.

Ich hatte den richtigen Riecher, bei Mitko an der Ecke sprudelte das Wasser nur so aus dem Boden. Mitko ist Busfahrer in der Hauptstadt und kommt nur alle paar Wochen nach Hause. Sonst wäre er es wohl gewesen, der das geplatzte Rohr vor seiner Toreinfahrt bemerkt hätte. Das Wasser sprudelte nur so heraus, als wäre jemand auf eine Wasserader gestoßen.

Sofort rief ich meinen Bürgermeister an, der meinte, dass man das heute nicht mehr reparieren könne, weil es zu spät sei, die Leute Feierabend hätten. Ich solle einen Damm errichten, der das Wasser ableitet, damit der Belag auf unserem Weg nicht sogleich wieder runtergespült wird.

Im letzten Jahr hatte mein Bürgermeister drei LKWs mit Resten von Bitumen herankarren lassen, die bei irgendwelchen Straßenbauarbeiten übrig geblieben waren, und die wir mit unseren Schaufeln und Schubkarren auf unserem Weg verteilt hatten.

Das ist ein reißender Strom, sagte ich ihm, da kann man keinen Damm bauen. Er würde kommen und sich das anschauen. Vorher kam ein Arbeiter von Wasser und Kanalisation (W&K) vorbei und meinte, dass das eine ernste Havarie sei und das halbe Dorf ohne Wasser. Ich sollte den Nachbarn bescheid geben, damit sie sich rasch Wasser abfüllen, bevor er es abstellt.

Als ich von den Nachbarn zurück kam, war mein Bürgermeister bereits dabei seinen Damm zu bauen. Gemeinsam haben wir es irgendwie geschafft. Dann ließ der reißende Strom auch schon nach. Heute soll der Schaden schon repariert werden. Danach kann ich den gemeinsam errichteten Damm wieder abreißen, hat mein Bürgermeister gesagt.

Mal sehen, wie ich das zeitlich hinkriege. Um 13 Uhr bin ich bei den Nachbarn zum Mittagessen eingeladen und später muss ich meinen Berliner Freund abholen. Von wo genau, weiß ich noch nicht. Er kommt um 14 Uhr mit dem Flieger aus Berlin in Sofia an und versucht mit den Öffentlichen so weit zu kommen, wie er kann. Dazu muss man wissen, dass die Öffentlichen in Bulgarien fahren wie sie wollen und Fahrpläne meist nur Vorschläge sind.

Vielleicht lasse ich meinen Freund den Damm einreißen, muss ja nicht heute sein. Mein Freund bringt nämlich seine Depression aus Deutschland, dem Land der Despressionen, mit. Aus meiner Erfahrung als Krankenpfleger und Taxifahrer weiß ich, dass Depressive beschäftigt werden müssen.

Mir wird schon irgendwas einfallen, wie ich ihm diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahme verkaufe. Bisher ist mir immer was eingefallen. Bulgarien ist nicht nur das Land der geplatzten Rohre und Überraschungen, weswegen man besser keine Pläne macht, sondern auch das Land der guten Ideen und Einfälle.

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Bericht aus Bulgarien (104)

Auf dem Protest am Mittwoch, den 6. April, in Sofia wurde kein Alkohol getrunken so wie neulich noch auf dem für den Frieden in der Ukraine, wo praktisch jeder zweite ein alkoholisches Getränk in der Hand hielt. Auf dem Protest für die Neutralität Bulgariens im Ukraine-Krieg am Mittwoch in der bulgarischen Hauptstadt Sofia bei schönstem Sonnenschein und Temperaturen um die 20 Grad hatten einige von den männlichen und weiblichen Demonstranten und Protestanten eine Flasche Wasser dabei. Das war’s. Protest und Alkohol passen meiner Meinung nach nicht zusammen. Ich zumindest kann einen Protest, auf dem Alkohol getrunken wird, nicht (mehr) ernst nehmen. Einfach weil es keine Ästhetik hat, sich voll laufen lassen ist immer unästhetisch, und auf die Ästhetik kommt es bekanntlich an beim Widerstand. Besonders bei den Bildern.

Was mussten meine Augen für schlimme Bilder von Protestierenden in der Heimat sehen. Hysterisch kreischende Frauen auf dem Berliner Rosa-Luxemburg-Platz. Warum damals keiner und auch keine der zahlreichen Feministen und Feministinnen in unserem Land aufgestanden ist dagegen, das ist mir bis heute ein Rätsel. Auch was der taz-Tagesspiegel-Fotograf sich dabei gedacht hat. Vermutlich nichts. Sie taten mir weh, seine Bilder. Ganz ohne Text, der von einem so genannten Journalisten im Home-Office geschrieben war. Der tat auch weh, aber nicht so sehr wie die Bilder. Alleine, wenn ich daran zurück denke, wird mir schlecht, bekomme ich körperliche Schmerzen. Meine Bilder sind Widergutmachung, aber auch Notwehr. Deswegen sind sie gut – manche zumindest. Denn sie zeigen nicht nur „Die Ästhetik des Widerstands“, sondern auch den Sex, das Geschlecht, in dem Fall das weibliche, des Widerstands – dem „Ursprung der Welt“.

 Fotos&Text TaxiBerlin