Leaving Berlin (054)

Jetzt bin ich auch so einer geworden, der Etiketten auf sein Eingemachtes klebt. So weit ist es gekommen. Gut, es sind keine gekauften Etiketten, sondern dieses Klebeband, das Maler verwenden. Auf Bulgarisch heißt das Klebeband Tickso. Keine Ahnung, wie es auf Deutsch heißt. Langsam vergesse ich die Muttersprache. Für die Beschriftung meiner Gläser habe ich bereits eine Geheimsprache gewählt. Jetzt habe ich Sorge, dass irgendwer den Code knackt. Oder dass ich ganz und gar meine eigene Geheimsprache vergesse. Das wär’s noch. Gut, ich könnte einfach das Glas aufmachen und den Inhalt probieren. Aber dann bräuchte ich keine Etiketten. Was ich eigentlich sagen will: Ich bin jetzt auch unter die Prepper gegangen. Ein Bekannter hat mich neulich darauf gebracht. Der Bekannte machte sich darüber lustig, dass sein Bruder, er lebt in Amerika, ein Prepper sei. Ich erlaubte mir, ihn darauf hinzuweisen, dass ich damit kein Problem hätte. Immerhin ist Mark Zuckerberg auch ein Prepper, wenn er sich für 260 Millionen Dollar einen Bunker auf Hawai bauen lässt. Das ließ der Bekannte nicht gelten. Reiche können keine Prepper sein. Prepper sind immer nur arme Irre. Dabei sind reiche Prepper die wahren Irren. So denke ich zumindest. Worüber ich mir keine Sorgen mache, ist, dass Zuckerberg meinen Code knackt. Das schafft der nicht. Überhaupt hat Zuckerberg ganz andere Probleme. Nämlich dass andere seinen Code knacken könnten. Das größte Problem, was Reiche in solchen Situationen haben, ist aber die Frage, ob sie denen, die sich beschützen sollen, auch wirklich vertrauen können. Dagegen sind meine Sorgen wahrlich banal.

Leaving Berlin (053)

Das ist mein drittes Sauerteig-Brot. Für den dritten Versuch ist es ganz ordentlich geworden. Für ein Sauerteig-Brot braucht man ein so genanntes Anstellgut. Das Anstellgut muss man füttern. Es wird dann immer mehr. Manchmal hatte ich Angst, das Anstellgut wird zum süßen Brei, der immer mehr wird und am Ende mich frisst.

Das ist zum Glück nicht passiert. Und wenn man regelmäßig ein Brot backt, dann ist die Angst auch unbegründet. Wenn ich kein Brot backen will, stelle ich das Anstellgut in den Kühlschrank. Dann fühle ich mich nochmal sicherer. Von einem Anstellgut, das im Kühlschrank steht, aufgefressen zu werden, ist sehr unwahrscheinlich.

Im Moment habe ich erstmal genug Brot. Ob ich mich auch an Brötchen versuche, weiß ich noch nicht. Diese hier unten sind auf jeden Fall gekauft. Bei Kaufland, wo sie für fünf Cent das Stück im Angebot waren. Die Konfitüre auf ihnen ist von mir. Von den wilden Sauerkirschen bei mir im Garten, die eigentlich nur als Sichtschutz dienen sollten, damit ich das in sich zusammenfallende Haus des Nachbarn nicht ständig sehen muss, was mich regelmäßig runter gezogen hat. Jetzt produziert der Sichtschutz den Rohstoff für einen leckeren Brotaufstrich.

Leaving Berlin (052)

Eigentlich wollte ich nur runter ins Dorf, um im kleinen Dorfladen Pektin für meine Konfitüre zu besorgen, die ich aus meinen wilden Sauerkirschen mache. Da das von mir gewünschte in unserem kleinen Dorfladen ausverkauft war, machte ich mich auf den Weg ins fünf Kilometer entfernte Nachbarstädtchen. Das ganze zu Fuß. Ich bin davon ausgegangen, dass es Pektin immer gibt. Außerdem wollte ich einen Autofreien Sonntag machen. Als obiger Jeep russischer Bauart neben mir hielt, ich hatte unser Dorf noch nicht verlassen, konnte ich nicht widerstehen. Der Fahrer kennt mich, und ich ihn. Er brauchte noch Baumaterial, hatte also denselben Weg. Er hat unter Tage gearbeitet, wurde mit 45 berentet und hat nun genug Zeit und auch etwas Geld. Unter der Haube seiner Russenkuh sei ein Mercedes-Motor, erzählte er mir voller Stolz. Gurte zum Anschnallen gab es nicht, aber das war kein Problem. Nicht nur, weil er langsam fuhr. Sondern vor allem, weil er alle Polizisten kennt. Da waren gestern nur die pensionierten auf der Straße, die sich etwas dazu verdienen wollten und wohl auch müssen.

Nachdem das mit dem Pektin erledigt war, ich hatte plötzlich ein Fahrzeug samt Fahrer, die vor dem Supermarkt auf mich warteten, ging’s weiter zum Baumarkt. Der ist in einer alten Halle aus Blech und es herrscht Ordnung, zumindest für bulgarische Verhältnisse. Ganz wichtig ist der Kaffee-Automat links im Bild, der natürlich funktioniert, und an dessen Seite ebenfalls Produkte aus dem umfangreichen Angebot angebracht sind. Mein Fahrer wollte nur sechs Sack Zement, die er selbständig in sein Auto lud. Der Verkäufer zählte nur die Säcke.

Dann ging es auch schon zurück zur Baustelle bei mir uns Dorf. Dort das übliche Bild, das man auch auf Berliner Baustellen immer öfter antrifft, vorausgesetzt es gibt dort überhaupt irgendeinen Arbeiter. Hier gab es gestern insgesamt sieben Arbeiter, von denen immerhin einer arbeitete, was ein sehr guter Durchschnitt ist. Nachdem mir mein Fahrer den bereits erwähnten Mercedes-Motor unter der Motorhaube seiner Russenkuh gezeigt hatte, musste ich mir auch noch die Baustelle ansehen, die ich bei der Gelegenheit gleich abgenommen habe.

Zum Schluss bin ich noch zu meinem kleinen Mineral-Freibad gegangen, wo ich seit meiner Rückkehr noch nicht gewesen bin, und was ich gestern wohl wieder nicht geschafft hätte, hätte ich nicht meinen Fahrer gehabt. Mein Mineral-Freibad ist OK, mein Bürgermeister hat es am Samstag im Rahmen eines Subbotniks für mich herrichten lassen. Unweit gibt es ein Hotel, wo der Eintritt zum Mineral-Freibad für Nicht-Gäste jetzt 20 Lewa (10 Euro) kostet. Die habe ich gespart. Neben dem Autofreien Tag hatte ich mir auch vorgenommen, kein Geld auszugeben. Das ist mir fast gelungen, sieht man von dem Zucker und dem Geliermittel von Doktor Oetker ab.

Pektin zum Gelieren ist teuer geworden in der Heimat. Neulich in Berlin wollte man mehrere Euro für ein kleines Paket. Hier kostet die Tüte 1,39 Lewa (70 Cent), was OK ist. Der Zucker schlägt mit 2,09 Lewa (1,05 Euro) zu Buche. Zusammen habe ich 2,45 Euro (4,90 Lewa) ausgegeben. Dafür, dass ich nichts ausgeben wollte, ist das natürlich zu viel. Berücksichtigt man, dass ich einen Fahrer und jede Menge Spaß hatte, geht das absolut in Ordnung. Nicht zu vergessen der Besuch in meinem kleinen Mineralwasser-Freibad, den ich sonst nicht geschafft hätte und bei dem ich 20 Lewa (10 Euro) gespart habe. Zugegeben, es war alles ganz anders geplant. Aber das ist gerade das schöne in Bulgarien. Es ist nicht nur alles umgedreht, sondern es kommt auch immer anders als man denkt.

Leaving Berlin (051)

Als ich die Bäume einfach wachsen ließ, wusste ich nicht, dass es wilde Sauerkirschen sind. Normalerweise hätte ich sie abgeschnitten oder einfach herausgerissen, als sie klein waren. Das muss ich machen, damit mein Grund nicht zum Dschungel wird und die auf ihm stehende Hütte nicht zuwächst wie ein Dornröschenschloss. Die wilden Sauerkirschen habe ich stehen lassen, damit ich nicht permanent die Hütte auf dem Nachbargrundstück sehen muss, die dabei ist in sich zusammenzufallen. Sie sind aber nicht nur ein Sichtschutz, sondern tragen dieses Jahr ganz viele leckere Sauerkirschen. Gestern habe ich zwei Eimer geerntet. Bei der Ernte ist die Leiter zur Seite weggeknickt, und ich bin auf den Rücken gefallen. Ich hatte Glück, mir ist nichts passiert. Die Leiter ist aber im Arsch. Zusammengebrochen ist sie, weil der Untergrund uneben ist. Vor allem aber, weil ich nicht achtsam war. Es stimmt wirklich, wenn man in Bulgarien eines lernen kann, dann ist es Achtsamkeit. Manchmal vergesse ich das. Dann braucht man einen Schutzengel, so wie ich gestern. Danke, lieber Schutzengel! Dass ich die Sauerkirschen heute noch einmal einkochen muss, weil die Konfitüre aus Mangel an Pektin nicht fest geworden ist, ist Teil des Lernprozesses. In einem ähnlichen Lernprozess befinde ich gerade beim Brot backen. Dass ich die Leiter wegschmeißen kann, ist traurig, aber nicht zu ändern. Auch dies ein Teil des Lernprozesses.

Leaving Berlin (050)

Andere gehen ins Stadion oder in die Kneipe – ich gehe in meine Bibliothek. Mittlerweile haben sich so viele Bücher hier in Bulgarien angehäuft, dass ich Bücherregale brauche. Ich habe auch bereits einen bulgarischen Maistor damit beauftragt, und er war auch schon da und hat Maß genommen. Danach war er, wie es oft vorkommt in Bulgarien, nicht mehr gesehen. Ich war auch zweimal bei ihm, er war aber nicht zuhause oder hat einfach nicht aufgemacht. Ich will mich aber nicht beklagen über die kleinen Unwägbarkeiten des Lebens, die es nicht nur in Bulgarien gibt. Auch in Deutschland sind sie im Zunehmen begriffen. Kaum etwas funktioniert in der Heimat noch so, wie es einmal funktioniert hat. Bei vielen ist das noch nicht angekommen. Sie leben, wenn man so will, in der Vergangenheit. Auch ich lebe in der Vergangenheit. Denn ich halte an einer Sprache fest, die es so nicht mehr geben soll. Zumindest, wenn es nach den Genderisten geht. Um es ganz klar zu sagen: Ich glaube nicht, dass sich das Gendern durchsetzen wird. Wenn ich von der Sprache spreche, dann ist die gute alte Muttersprache gemeint. Meine Muttersprache bedeutet mir sehr viel. In Bulgarien wird mir das mit jedem Tag aufs Neue klar. Klarer als es mir in der Heimat schon war. Übrigens: Gendern gibt es auch in Bulgarien, wenngleich umgedreht, wie so vieles umgedreht ist in Bulgarien. Ein Beispiel: die Doktorin, auf bulgarisch “Doktorka”, will nicht länger “Doktorka” genannt werden, sondern Doktor. Dasselbe gilt für die Professorin, die “Pofessorka”. Komisch, oder? Doch zurück zur Muttersprache, die, so wie wir sie kennen, in Deutschland abgeschafft werden soll. Nur, mit der Abschaffung der Muttersprache, egal ob durchs Gendern oder durchs Englische, wird ebenso die Mutter abgeschafft. Auch deswegen halte ich an der Muttersprache fest. Deutsch ist dabei nicht nur Mutter, sondern auch Heimat für mich. Das hört sich pathetisch an, und ist es in gewisser Weise auch. Andererseits gilt aber auch: Wehe dem, der keine Heimat hat. Wer keine Heimat hat, ist nicht einfach nur ein heimatloser Geselle, wie man früher sagte. Er ist ein bedauernswerter Tropf, was so mit das bedauernswerteste ist, was Mann und auch Frau sein kann. Bei meinem letzten Besuch in Berlin hatte ich den Eindruck, dass die Stadt bevölkert ist von bedauernswerten Tröpfen. Dabei meine ich erst einmal nur ihre chronisch herunter hängenden Mundwinkel. Wenn sie dann noch den Mund aufmachten, habe ich immer gedacht: Hätten sie besser geschwiegen. Einen Hoffnungsschimmer gibt es wohl. Junge Menschen haben aktuell in der Heimat nicht so gewählt, wie man das von ihnen erwartet hat und weswegen man das Wahlalter auf 16 gesenkt hatte. Statt der Grünen haben sie die AfD gewählt. Angeblich sind das alles Nazis, aber was heißt das schon? Aus eigener Erfahrung, ich wurde von selbst ernannten Nazi-Jägern auch schon mal als Nazi bezeichnet, weiß ich es: Nichts! Und das scheinen die jungen Leute auch zu wissen. Ich erwähne das nicht, weil ich der Alternative für Deutschland nahe stehe – Gott bewahre. Ich erwähne die AfD, weil in ihrem Namen ein Stück Heimat steckt. Rein sprachlich, meine ich. War es denn nicht Deutschland, weswegen es die Einheit gibt? Es heißt doch noch “Deutsche Einheit”, oder? Von anderer Seite ist dagegen folgendes zu vernehmen: “Ich wusste mit Deutschland noch nie etwas anzufangen und weiß es bis heute nicht.” Und das hier: “Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen.” Wenn das so ist, dann kann der Russe doch kommen. Dann haben wir doch nichts zu verlieren, oder? Wie Robert Habeck, unser grüner Wirtschaftsminister, zur Muttersprache steht, immerhin hat er Kinderbücher in ihr verfasst, ist nicht bekannt. Vermutlich findet er sie auch zum Kotzen. Deswegen kann ich mit Robert Habeck nichts anfangen. Was er mit der Wirtschaft veranstaltet, interessiert mich dabei nicht. Aber immer mehr Unternehmer sollen gegen ihn aufstehen in der Heimat, so wie junge Menschen gegen die Grünen stimmen. Beides macht mir Mut. Noch scheint die Heimat und mit ihr die Muttersprache nicht verloren.

Leaving Berlin (049)

Neulich hatte ich kein Wasser. Das kommt häufiger vor, denn die Rohre, die das Wasser runter ins Dorf befördern, sind alt und gehen oft kaputt. Aussehen tun die Rohre, als wären sie aus der Türkenzeit. In Wahrheit sind sie aber aus sozialistischen Zeiten. Geht ein Rohr kaputt, so ist das kein Notfall in Bulgarien. Die Leute von “Wasser und Kanalisation” kommen frühestens am nächsten Tag, manchmal auch erst Tage später. Sie sagen auch nicht vorher bescheid, dass sie kommen, wie es in Deutschland üblich ist. Vielleicht sollte ich besser sagen: war. Wenn sie kommen, machen sie “ganze Arbeit”. Dann wird auch schon mal die Straße verlegt, wobei Weg es besser trifft. Manchmal wird die Baustelle nach getaner Arbeit auch abgesperrt, wenngleich sehr bulgarisch, aber immerhin mit rot/weißem Absperrband. Anfangs sah es so aus, als hätte jemand Bäume auf dem Weg gepflanzt. Aber nach ein paar Tagen, als die Blätter vertrocknet waren, wurde auch dem Ortsfremden klar, dass die vermeintlichen Bäume nur zum befestigen des Absperrbandes dienten. In Berlin ist man, im Gegensatz zu Bulgarien, Weltmeister im Absperren. Dort wird Jahre vorher abgesperrt, bevor sich der erste Arbeiter auf der Baustelle zeigt. Auch dies ist in Bulgarien anders. Dort kommen zuerst die Arbeiter. Abgesperrt wird nach Lust und Laune – meistens nicht. Man ist gut beraten, stets mit offenen Augen unterwegs zu sein. Oder wie ich immer sage: Bulgarien ist perfekt, um Aufmerksamkeit zu lernen. Haben die Arbeiter ihre Arbeit beendet, heißt das noch lange nicht, dass man auch wieder Wasser hat. In meinem Fall war es so, dass es nur für kurze Zeit da war. Danach war es wieder weg wie zuvor, was daran lag, dass die Arbeiter vergessen hatten, den Hahn für unseren Abschnitt des Weges zu öffnen. Zum Glück wissen wir mittlerweile, wo sich der Hahn für unseren Abschnitt befindet, so dass wir ihn selber öffnen konnten, denn die Arbeiter von “Wasser und Kanalisation” saßen bereits im Dorf beim wohl verdienten Feierabendbier. Und das kann ich auch nur jedem in der Heimat empfehlen. Merkt Euch, wo die Hähne für Euren Abschnitt sind und lernt die wichtigsten Handgriffe. Dann wird alles gut. Garantiert.

Leaving Berlin (048)

Seit gestern habe ich einen Hund, genauer eine Hündin. Mein englischer Freund Jerry hat mir Becky vorbeigebracht, die er in seinem Dorf auf der Straße gefunden hat. Über den Umgang der Bulgaren mit Tieren, allen voran mit ihren Hunden, könnte man Bücher schreiben. Er ist, so viel kann ich verraten, ähnlich miserabel wie der Umgang mit der Natur im Allgemeinen. Doch bleiben wir bei Becky, die noch nicht alt ist, aber für die Hundeschule dann doch nicht jung genug. Mit Hunden ist es wie mit Menschen: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Es gibt Ausnahmen, die aber nur die Regel bestätigen. Jerry fährt heute übrigens nach Sofia, um sich eine Wagner-Oper anzusehen, aber vor allem anzuhören. Seine erste Wagner-Oper hat er mit 13 gesehen, wie ich gestern erfahren habe. Eigentlich auch zu spät, aber offensichtlich noch nicht zu spät. Auf jeden Fall beweist die Sache mit der Wagner-Oper, zu der Jerry extra nach Sofia fährt, in eindrucksvoller Weise, dass mein englischer Freund wirklich am Liebsten Deutscher wäre. Wenn es stimmt, was er sagt, ist Jerry sogar besser als ein Deutscher, denn als Engländer verfügt er über alles, was einen Deutschen ausmacht, darüber hinaus aber auch noch über Humor. Humor muss auch ich haben, wenn ich mit Becky über die Felder laufe. Da Jerrys Hündin wie gesagt zu alt für die Hundeschule ist, gilt für Becky das, was Otto Waalkes einst über seinen Hund sagte: “Mein Hund gehorcht mir aufs Wort. Wenn ich sage: Komm her oder nicht – dann kommt er her oder nicht.”

Leaving Berlin (047)

In Bulgarien muss man außerhalb geschlossener Ortschaften zu jeder Tages- und Nachtzeit mit Licht fahren. Daran erinnert das Schild rechts im Bild am Ortsausgang von Montana. Das Schild ist kein offizielles Verkehrsschild, auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht. Immerhin gibt es ein Ausrufezeichen vor der Aufforderung, das Licht einzuschalten. Darunter der Hinweis, dass Licht Leben rettet – ebenfalls mit Ausrufezeichen. Die Schilder gibt es schon länger. Heute würde man vermutlich mit Licht nicht nur Leben, sondern auch das Klima retten. Wie dem auch sei, am Ende handelt es sich bei dem Schild um Werbung des Halbleiter- und Leuchtmittelherstellers Osram. Das Unternehmen war bis 2013 eine hundertprozentige Tochter der Siemens AG. Das Geschäft mit LED-, Halogen- und Energiesparlampen zur Allgemeinbeleuchtung, das 40 Prozent des Gesamtumsatzes erzielte, wurde 2016 an ein chinesisches Konsortium verkauft. Und das ist ein Problem, oder könnte eins werden. Denn Globalisierung ist nur so lange gut, wie der Chinese – wahlweise auch der Russe – nicht von ihr profitiert. Sobald das passiert, ist Globalisierung ganz schlecht. Mir ist das egal. Mir wird schlecht, wenn ich Schilder am Straßenrand sehe, die vorgeben, sich um mein Leben zu sorgen, mir aber nur etwas verkaufen wollen. Und das völlig unabhängig davon, wer mir da wieder etwas verkaufen will.

Leaving Berlin (046)

Willkommen auf meiner neuen Seite und bei einem weiteren Fundstück meines heutigen Flohmarktbesuchs in Montana. Es ist warm geworden in Bulgarien. Um einen klaren Kopf zu behalten, kühlt man diesen besser ab. Am Besten unter kaltem Wasser oder direkt im Schwarzen Meer. Um dabei keine Zeit für die Kriegsvorbereitung zu verschwenden, empfiehlt sich dieser schwimmende Panzer. In ihm kann man unten die Füße durchstechen, was eine gute Übung ist, um später dem Feind die Gurgel durchzustechen. Böse Zungen in Bulgarien behaupten, dass das mit dem Krieg für die Füße sei. Man könne einen Krieg gegen Russland nicht gewinnen, auch nicht mit Booten wie diesen. Sie seien lediglich ein Himmelfahrtskommando und der sichere Weg in den Tod.

Leaving Berlin (045)

Mein Favorit bei den aufgegebenen Bahnhöfen Bulgariens ist bis heute dieser hier. Der wurde so stilvoll aufgegeben, regelrecht beispielhaft. Einfach nur zu sagen, der letzte möge das Licht ausmachen, ist ganz nett und auch witzig. Aber die Frage, wie und in welchem Zustand man seinen Laden hinterlassen soll, wird damit nicht beantwortet. Und diese Frage wird mit jedem Tag dringlicher, in Deutschland mehr als in Bulgarien. Bulgarien wurde schon vor vielen Jahren dicht gemacht. Nun geht es auch in der Heimat bergab, und das mit stündlich zunehmendem Tempo. Auch dies keine Überraschung, denn wer hoch steigt, fällt in der Regel tief. Mir ist klar, dass die meisten in der Heimat dies bis heute nicht wahrhaben wollen. Ein Blick von außen kann da sehr hilfreich sein. Nicht nur in Bulgarien schüttelt man die Köpfe über Deutschland. Für viele ist es ein Dé­jà-vu, wiederholt sich gerade etwas. Denn das hatten wir schon mal, dass am Ende keiner von irgendetwas gewusst haben wollte. Im selben Moment aber ein jeder es schon immer gewusst hatte. Das sollte niemanden verwirren, es sind nur die zwei Seiten ein und derselben Medaille. In dem Zusammenhang fällt mir ein, dass ich vor wenigen Tagen einen Beitrag mit dem Titel “Sie wollen den totalen Krieg” gelesen habe, der mit einem Zitat von Albert Einstein endet. Bisher kannte ich nur dieses Gedicht von Bertolt Brecht: “Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.” Das Zitat von Albert Einstein hat dasselbe Thema, nur ein anderes Ende: “Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.” – Hatte ich mir bisher vorgestellt, dass Nachgeborene eines Tages verlassene Bahnhöfe wie obigen ausgraben und sich über die Ordnung wundern, stelle ich mir nun vor, wie Fellbekleidete dort mit Stöcken und Steinen kämpfen und dabei Urlaute ausstoßen.

Foto&Text TaxiBerlin