Gerade erreicht mich folgende aktuelle und schier unglaubliche Geschichte aus Deutschland: Ein Mensch in Not fragt bei einem vermeintlichen Freund an, ob dieser ihn für ein paar Tage bei sich aufnehmen könne, er würde auch dafür bezahlen. Platz hat dieser genug, aber nur ein Bad, was auch als Grund angegeben wird, dass aus der Aufnahme nichts wird. Der Hauptgrund ist aber, dass der vermeintliche Freund gerade keine weiteren Einnahmen gebrauchen könne, und zwar wegen der Steuer. Mit den zusätzlichen Einnahmen ist das Angebot gemeint, für die Aufnahme zu bezahlen. Ein offizieller Mietvertrag wäre nicht nötig, aber beim Bezahlen muss offensichtlich deutsche Ordnung sein bei dem vermeintlichen Freund. Es wird einem also nicht immer gegeben, wenn man bittet, wie ich neulich noch behauptet hatte. Eine gute Schule, das Bitten zu lernen, ist es allemal. – Auch ich kenne diesen vermeintlichen Freund. Im Sommer habe ich in seinem Auftrag einen Text über ihn als Künstler geschrieben, der ihm aber nicht gefallen und den er dementsprechend auch nicht bezahlt hat. So etwas kommt vor. Immerhin hat er angeboten, dass wir in einem halben Jahr, das wäre Anfang nächsten Jahres, über den Text sprechen. Ich habe dem zugestimmt, auch wenn ich nicht recht verstanden habe, wozu das halbe Jahr Wartezeit gut sein soll. Mittlerweile glaube ich, dass sich der vermeintliche Freund sozusagen bulgarisch aus der Affaire ziehen will. Früher konnte man sicher sein, dass man einen Bulgaren, der einen darum bittet, nur einen Moment zu warten, nie wieder sehen wird. Aber das war früher. Ob heute ein Bulgare einen Freund wegen der Steuer nicht bei sich aufnimmt, darüber ist mir (noch) nichts zu Ohren gekommen. Meine Erfahrungen mit Freunden hier in Bulgarien sind jedenfalls andere. Aber darüber hatte ich bereits geschrieben.
Foto&Text TaxiBerlin
Während ich noch im Tal der Esel im Süden Bulgariens nahe der Grenze zu Griechenland weile, ist in der Heimat gerade ein neuer Artikel von mir erschienen und ein weiterer ist für Sonntag geplant. Der von heute, den das Online-Magazin Multipolar veröffentlicht hat, trägt den Titel “Das Suchtsystem”. Im Mittelpunkt des Artikels steht die Frage, ob sämtliche Mitglieder einer Gemeinschaft süchtig sein können, auch wenn der Einzelne gar keine Drogen nimmt? Die US-amerikanische Frauenrechtlerin und Psychotherapeutin Anne Wilson Schaef war der Überzeugung: Ja! Wie es funktioniert, beschrieb sie bereits Ende der Achtziger in ihrem New-York-Times-Bestseller „When Society Becomes An Addict“ (auf Deutsch: „Wenn die Gesellschaft süchtig wird“), das ich in dem Beitrag vorstelle. Der für Sonntag vorgesehene Artikel wird wieder den Fokus Bulgarien haben, und zwar die Massenauswanderung aus dem kleinen Land am Rand, denn jeder dritte Bulgare lebt im Ausland, unter den zwischen 20- und 45-Jährigen sogar jeder zweite. Bis dahin werde ich so wie auch meine bulgarischen Tierarztkollegen, sie haben sich fürs Hierbleiben entschieden, im Tal der Esel bleiben, denn es gilt: When you are in the valley, you have to do like the vets do.
Die bulgarischen Schüler haben heute schulfrei, denn es ist der “Tag der bulgarischen Vordenker der Aufklärung”. Aktuell denken die bulgarischen Vordenker gerade die Gendersprache weiter, möglicherweise sogar zu Ende. In Deutschland sieht es so aus, dass es bald nur noch die weibliche Form geben wird, und zwar wenn die Pause vor dem Anhängsel “Innen” wegfällt. Dass sie wegfallen wird, halte ich sozusagen für alternativlos, denn sie ist unnatürlich, weswegen sie die, die sich mich Sprache auskennen, auch als Vergewaltigung bezeichnen. Eine Vergewaltigung, die nicht nur erlaubt, sondern auch gewollt ist. In Bulgarien geht es auch in der der Frage der Gendersprache nicht einfach nur anders, sondern genau entgegengesetzt zu. Hier wird seit einiger Zeit einfach die weibliche Form abgeschafft, so dass es bald nur noch die männliche geben wird. Ich will ein Beispiel machen, dann wird es klarer. Gab es bisher sowohl einen Kollegen (edna kolega) als auch eine Kollegin (edna koleshka), so wird nun nur noch die männliche Form gelehrt, also ein Kollege (edna kolega). – Um dies zu würdigen, ist heute schulfrei.
Foto&Text TaxiBerlin
In Bulgarien ist wie das meiste auch Halloween umgedreht. Es wird hier von den Tieren gefeiert. Dies ist aber kein Halloween-Kostüm, sondern echt. Wir, also meine Tierarztkollegen und ich als halber Tierarzt, vermuteten erst, der Hund hätte ein Auge verloren. Hatte er aber gar nicht, das Auge hatte sich nur “zurückgezogen”, in seinem Kopf versteckt, wenn man so will. Nachdem wir es dort gefunden und wieder freigelegt haben, musste wir nur noch das halb Lied annähen. Das ganze, nachdem wir zuvor 25 Katzen und 15 Hunde kastriert hatten. Beim Kastrieren lernen sich normalerweise Tierärzte kennen, so wie ich meine Leute einst im Taxi kennengelernt habe. Dies eine persönliche Erinnerung an vergangene, bessere Zeiten. Unsere Tierärzte-Halloween-Party war mit dem Finden des Auges vorbei.
Zur Erklärung: Wenn es mit dem Schreiben nicht voran geht, helfe ich in der Tierklinik meines Freundes und Tierarztes Kony im “Tal der Esel” aus. Ich mach das nicht des Geldes wegen, ich helfe freiwillig, sondern um auf andere Gedanken zu kommen. Da ich dies nicht zum ersten Mal mache, kann ich sagen, dass es mir hilft: die Arbeit in der Tierklinik, aber vor allem der Aufenthalt im “Tal der Esel”.
Foto&Text TaxiBerlin
Heute hatten wir einen Neuzugang im “Tal der Esel”. Eigentlich war das Asyl zuvor bereits mit 64 Tieren leicht überfüllt. Aber dann kommt es auf den einen mehr auch nicht an. Das hat mein Freund und Tierarzt Kony so entschieden, und auch den Namen für den Neuzugang: Rumen. Eigentlich heißt Rumen wie fast alle Esel in Bulgarien Marko. Aber da nicht alle Esel im Asyl Marko heißen können, brauchte unser Neuzugang einen neuen Namen. Dass Rumen da auf dem Foto noch etwas einsam und verlassen auf der Koppel rumsteht, hat aber nichts mit seinem neuen Namen zu tun. Esel sind sehr vorsichtige Tiere. Rumen muss zuerst einmal ankommen, und sich dann natürlich auch an seine neuen Kollegen gewöhnen. Esel sind sehr soziale Tiere, sie haben Freunde, aber auch Artgenossen, mit denen sie nicht so gut können. Deswegen sind sie aber nicht verfeindet mit ihnen. Ich mache mir wegen Rumen keine Sorgen. Auch er wird sich wie alle anderen Tiere rasch einleben im “Tal der Esel”. Dass Kony ihn zu meinem Namensvetter (auf bulgarisch “Adash”) gemacht hat, macht mich froh und ehrt mich. Jetzt habe ich einen Grund mehr, noch öfter im Esel-Asyl vorbeizuschauen, dessen Türen für mich immer offen stehen, wie Kony immer wieder gerne sagt, um nach meinem “Adash” zu schauen.
Foto&Text TaxiBerlin