Tote auf Urlaub

Oft ist der Text klüger als sein Autor, sagt man. Manchmal auch sein T-Shirt. Dem Mann oben ist, geht es nach seinem T-Shirt, sein Leben SCHEISSEGAL. Obwohl er offensichtlich noch lebt, spricht er/es bereits in der Vergangenheitsform. Um diesen Umstand nicht mitzubekommen bzw. zu ertragen, muss er sich betäuben. Spricht man ihn darauf, lacht er nur: Ha Ha Ha. Früher hätte man gesagt, der lacht noch, wenn’s Haus brennt.

Bisher kannte ich nur LIVE FAST – DIE YOUNG. Sowohl aus LIVE FAST – DIE YOUNG, als auch aus LIVE FAST – EAT TRASH spricht eine Todessehnsucht bzw. ein Todeswunsch. Woher diese/dieser kommt, wissen die Träger solcher T-Shirts meist nicht zu beantworten. In aller Regel verstehen sie die Frage gar nicht. Es soll irgendwie witzig sein. Wenn’s irgendwann ans Sterben geht, finden sie es dann aber meistens nicht mehr witzig: Ha Ha Ha.

Texte und Sprüche von Frauen sind anders, aber nicht unbedingt besser. Für sein EMOTIONALES GEPÄCK eine extra Tasche vorm Bauch zu haben (in Bulgarien heißt sie Quersack, aber das nur nebenbei), kann nicht schaden, auch wenn diese oft viel zu klein ist. Die allermeisten brauchen einen großen Rucksack, den sie auf ihrem Rücken tragen, ohne es jedoch zu wissen. Wenn man sie darauf anspricht, lachen sie dann auch wieder nur: Ha Ha Ha.

„Als-Ob“ und andere Persönlichkeiten

Am Freitag war ich in einer Kirche. Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass sie sich im Prenzlauer Berg befindet. Am Eingang erwartete mich obiges Bild, besser Spruch, mit Kreide an die Wand geschrieben, das Ganze zweifarbig. So weit, so normal. In der Kirche selbst stieß ich dann auf eine Person mit diesem T-Shirt in schwarz/weiß.

Die Kirche war wie gesagt im Prenzlauer Berg, weswegen sich meine Überraschung ob des Shirts in Grenzen hielt. Andererseits, nicht nur der Prenzlauer Berg ist voll von, ich nenne sie „Als-Ob-Persönlichkeiten“, wobei „Persönlichkeit“ eine Übertreibung meinerseits ist. „Als-Ob-Persönlichkeiten“ zeichnen sich dadurch aus, dass sie das Eine sagen bzw. meinen, und das Andere tun, ihnen selbst aber dieser Widerspruch gar nicht auffällt. Anders bei Michel Houellebecq, der kein großer Fan von Nietzsche ist, von dem der Ausspruch „Gott ist tot ist“ stammt. Ich persönlich halte dies für den größten Fehler von Michel Houellebecq, der Nietzsche einst zerstören wollte, und weil ihm dies nicht gelang, er ihn nicht leiden kann und Schopenhauer den Vorzug gibt. Genau das ist der Fehler, meiner bescheidenen Meinung nach, denn Schopenhauer war der Lehrer, und sein Schüler Nietzsche ist um einiges weiter gegangen als sein Erzieher. Trotzdem hat sich Houellebecq vor einiger Zeit sehr positiv über Nietzsche geäußert, wo man auf den ersten Blick meinen könnte, dass auch Michel Houellebecq eine von diesen „Als-Ob-Persönlichkeiten“ aus dem Prenzlauer Berg ist. Ich denke das nicht, aber das nur nebenbei. Es ist jetzt ziemlich genau fünf Jahre her, dass sich Michel Houellebecq wie gesagt positiv über Nietzsche geäußert hat. Weiter zurück liegt, dass Nietzsche nicht nur „Gott ist tot“ gesagt hat, und zwar in seinem „Zarathustra“, sondern in seinem „Antichristen“ auch die gesamte Kirche verteufelt hat. Nicht so lange her ist, genau war es 2020, dass das Buch „Was tun? Leben mit dem Niedergang Europas“ des belgischen Historikers David Engels erschienen ist, den ich die Ehre hatte in Sofia persönlich kennenzulernen. David Engels war zu einer Lesung in der bulgarischen Hauptstadt, sein Buch ist ins bulgarische übersetzt und war dort ein Bestseller. In Deutschland ist es weitgehend unbekannt geblieben, und das obwohl ihm diese bemerkenswerten Worte Houellebecqs vorangestellt sind: Es ist mir der seltsame, sogar unpassende Gedanke gekommen, dass Nietzsche, wenn er heute lebte, vielleicht der erste wäre, der eine Erneuerung des Katholizismus wünschen würde. Während er damals hartnäckig das Christentum als eine Religion der Schwachen bekämpfte, würde er heute einsehen, dass die ganze Kraft Europas in jener Religion der Schwachen begründet war, und dass Europa ohne sie verloren ist.

Auf meinem nach-Hause-Weg vom Prenzlauer Berg

„Computerspiele & Drogen“ statt „Sex & Rock’n Roll“

Waren meine Landsleute in der deutschen Hauptstadt bisher nur chronisch müde, ausgebrannt und zunehmend orientierungslos, ich hatte hier darüber berichtet, sind sie nunmehr apathisch und hilflos. Yuval Noah Harari, Autor von „Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen“, hat dies bereits vor Jahren kommen sehen. In diesem Interview beantwortet er die Frage, was man seiner Meinung nach all den durch die so genannte vierte (?) industrielle Revolution hervorgebrachten „unnützen“ und „überflüssigen“ Menschen verabreichen sollte: eine Mischung aus Computerspielen, beispielsweise ein Smartphone, und Drogen, zum Beispiel Rotwein (auf den Fotos Dornfelder). Das Ganze natürlich nur zu ihrem Besten, um ihrem Leben zumindest noch irgendeinen Sinn zu geben. Denn, geht es nach Harari, sind sie „meaningless“ (bedeutungslos) und „worthless“ (wertlos). – Ich erwähne Harari, weil ich gestern o.g. Buch gefunden habe, und ich es morgen auf dem Flohmarkt verkaufe. Es gibt viele, die ganz scharf sind auf Harari, obwohl sie noch nie eine Zeile von ihm gelesen haben, oder vielleicht gerade deswegen. Wenn ich ihnen dann sage, dass ich Hararis Ansichten für menschenverachtend halte, schauen sie mich immer ganz ungläubig an. So, als hätte ich Gott gelästert. Verkaufen tut sich das Buch auf jeden Fall, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Auf dass sich jeder seine eigene Meinung bilden kann, indem er es liest.

Vorhin bei den Schwurblern

Vorhin war ich bei den Schwurblern im Babylon. Das Kino war praktisch ausverkauft. Das hat mich stutzig gemacht. Ist Schwurbeln vielleicht plötzlich Mainstream? Und woher kommt überhaupt das Wort Schwurbeln? Wer hat es eingeführt? Zurück zur Veranstaltung, eine Buchpremiere für 15 Euro Eintritt. Ich hab‘ mir nichts dabei gedacht und gezahlt. Jetzt im Nachhinein kann ich sagen: Außer Spesen nichts gewesen. Irgendwie wurde nicht richtig geschwurbelt, zumindest nach meinem Geschmack. Die Schwurbelei war reichlich weichgespült. Immerhin habe ich erfahren, dass, geht es nach Wendehals Nikolaus Blohme, jetzt nicht mehr die ganze Republik mit dem Finger auf Ungeimpfte zeigen möge. Nur wer will, soll noch mit dem Finger auf sie zeigen. Das wurde irgendwie als Erfolg gefeiert. Ich hätte eher das hier erwartet: Wehrt euch, leistet Widerstand, gegen den Faschismus hier im Land, auf die Barrikaden, auf die Barrikaden. Wehrt euch, leistet Widerstand, gegen Hass und Hetze hier im Land, haltet fest zusammen, haltet fest zusammen.

„Noch mehr sparen“ geht nicht

Früher sagte man, dass es ein guter Schnitt sei, ein Drittel für die Miete auszugeben. Heute bleibt vielen oft nur noch ein Drittel, nachdem sie die Miete bezahlt haben – wenn überhaupt. Wer sich die Miete nicht mehr leisten kann, lebt auf der Straße. „Noch mehr sparen“ geht wirklich nicht.