Bericht aus einem gebrochenen Land (066)

Ruhe ist erste Bürgerpflicht, nicht nur in Ruhleben. Ruhe alleine reicht aber nicht mehr aus. Seit einiger Zeit muss man auch immer öfter viel Geduld haben. Tendenz weiter zunehmend. Beispielsweise beim Warten auf einen Handwerker. Und das, obwohl bereits alle Handwerker aus den Schluchten des Balkans in Berlin sind, nachdem zuvor schon die aus Polen alle Hände voll zu tun hatten hier. In der Krankenpflege sieht es kaum besser aus. Aber es hätte schlimmer können, wie man in Bulgarien sagt. Auch hier trifft die balkanische Weisheit zu. Stell dir vor, du bist Pole oder Bulgare und brauchst einen Handwerker oder eine Pflegekraft. Dann bist du besser beraten, selbst geduldig ein Handwerk oder die Altenpflege zu erlernen. 

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Bericht aus einem gebrochenen Land (065)

Das Leben ist bunt – in Berlin keine Selbstverständlichkleit

Die Berliner sind für ihre chronisch schlechte Laune bekannt. Sie ist sozusagen ihr Markenzeichen. Die schlechte Laune der Berliner ist einerseits dem Umstand geschuldet, dass es zu viele von ihnen gibt und sie darüber hinaus auf zu wenig Raum aufeinander hocken. Das macht nicht nur schlechte Laune, sondern auch aggressiv. Manch ein Berliner ist allerdings der Meinung, er könne in der Stadt auch noch Pflanzen anbauen und Tiere halten und alle Bewohner damit ernähren könne. Wenn diejenigen den großen Garten meiner Nachbarin Oma Bore in Bulgarien kennen würden, mit dem sie immerhin sich und ihre Familie ernährt, würden sie sogleich begreifen, dass ihre Idee nicht nur unrealistisch sondern einfach bescheuert ist. Die ersten haben dies wohl auch schon eingesehen, immerhin der Imkerei-Boom ist in Berlin vorbei. Oder mit anderen Worten: die blöden Bienen sind dem Berliner wieder egal. Genauso verhält es sich mit den Flüchtlingen, fällt mir gerade ein, zumindest in Pankow. Dort sind Bäume wichtiger als Flüchtlinge. Doch zurück zur schlechten Laune der Berliner und weiteren Gründen dafür. Neben dem Aufeinanderhocken ist es die fehlende Sonne, die auch zu einem Mangel an Vitamin D führt, der wiederum zu Knochen-, Gelenk- und Muskelschmerzen, aber auch Müdigkeit bewirkt, oder eben schlechte Laune. Kurz noch ein Vergleich zu Bulgarien, um die Größenordnung zu verdeutlichen. 1.746 Sonnenstunden und 106 Regentage im Jahr in Berlin stehen 2.261 Sonnenstunden und nur 68 Regentage in Varna am Schwarzen Meer gegenüber. Ein Meer fehlt Berlin, und natürlich auch die Berge, von denen es in Bulgarien so einige gibt, die dort für gute Laune sorgen und ein Aufeinanderhocken praktisch verunmöglichen.

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Bericht aus einem gebrochenen Land (064)

“Unnützer Mensch” in Berlin

Heute soll Cannabis legalisiert werden. Höchste Zeit, denn immer mehr Menschen haben immer mehr Gründe sich zu betäuben, und das permanent. Die Droge könne zu “Psychosen” (“nebenwirkungsfrei” hört sich anders an) führen, so ein Arzt im öffentlich/rechtlichen InfoRadio. Der Gesundheitsminister (ist er nicht auch Arzt?), der weder gesund aussieht noch sich gesund anhört, sprach zuvor von einer “Megakontrolle” im Zusammenhang mit Cannabis. Ich verstehe ihn so, dass sicher gestellt werden muss, dass genug Stoff für alle da ist. So wie es der israelische Historiker und Dozent an der Hebräischen Universität von Jerusalem Yuval Noah Harari bereits vor Jahren gefordert hat. Harari ist ein gefragter internationaler Redner und wurde schon mehrfach von Klaus Schwab zum World Economic Forum (WEF) nach Davos eingeladen. In einem Interview sagte er, dass die wichtigste Frage für Politik und Wirtschaft sein würde, was man mit all diesen “unnützen Menschen” (useless people) macht. Harari empfiehlt “eine Mischung aus Drogen und Computerspielen”. Ein Computerspielzeug hat mittlerweile jeder, und zwar ständig in seinen Händen. Es heißt Smartphone. Heute kommt die Droge hinzu.

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Bericht aus einem gebrochenen Land (063)

Dass es sich niemand mehr leisten kann in Berlin umzuziehen und deswegen der größte Vermieter von Umzugswagen, “Robben & Wientjes”, bereits dicht machen musste, darüber hatte ich hier geschrieben. Dass niemand mehr etwas zu verschenken hat in der Zentrale des deutschen Irrenhauses, das ist jetzt auch nicht neu. Neu ist, dass selbst die Kartons, in denen der Berliner dieses Nichts, das er zu verschenken hat, vor seiner Haustür abstellt, auch nicht mehr zu verschenken sind.

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Bericht aus einem gebrochenen Land (062)

Es gibt auch Positives und Gutes aus Berlin, der Zentrale des deutschen Irrenhauses, zu berichten. Beispielsweise das gerade auf dem Mittelstreifen am Potsdamer Platz, dem so genannten Boulevard der Stars, stattfindende Taxifilmfest. Organisiert wird das parallel zur UBERlinale stattfindende alternative Festival, auf dem in obigem Großraumtaxi Taxifilme gezeigt werden, vom Berliner Taxifahrer Klaus Meier, der dabei von weiteren Kollegen unterstützt wird. Das Medieninteresse ist groß an dem kleinen Taxifilmfestival, alleine gestern waren Journalisten vom RBB, der taz, dem Tagesspiegel und der New York Times da. Woher ich das weiß? Weil auch ich vor Ort war, und das den ganzen Abend lang. Gemeinsam mit meinen ehemaligen Kollegen habe ich mir im Taxi eine einstündige Reportage von 1980 über Taxifahrer in der Stadt Toronto in Kanada angesehen und erfahren, dass die Weisheit von Taxifahrern daher rührt, dass sie ständig unterwegs sind, was ich bestätigen kann. Also das mit dem unterwegs sein. Ob es in jedem Fall zur Weisheit führt, kann ich nicht sagen. Dass dies prinzipiell möglich ist, soweit würde ich aber schon gehen. Nach dem Vorfilm über Taxifahrer in Toronto stand der Klassiker “Taxidriver” aus dem New York von 1976 von Martin Scorcese, der gerade in Berlin ist, auf dem Programm. Obwohl ich, und mit mir alle anderen im improvisierten Taxikinosaal auf dem Boulevard der Stars, den Film schon mehrfach gesehen haben, sah ich ihn gestern mit anderen, ganz neuen Augen. Ich verstand den Kollegen Travis Bickle alias Robert De Niro noch einmal viel viel besser. Warum er böse wird, sich all die Waffen kauft und am Ende durchdreht. Auch wenn er zum Schluss genau deswegen als Held gefeiert wird, kann ich persönlich vom böse werden nur abraten. Das ist zugegeben nicht immer leicht, gerade in diesen Tagen, und insbesondere wenn die Alternative zum böse werden das krank werden ist. Trotzdem sollte man es jeden Tag immer wieder aufs Neue versuchen. – So viel zum Taxifilmfestival auf dem Potsdamer Platz, das heute weiter geht und wie die Berlinale am Sonntag mit einer Preisverleihung endet. Zum Schluss noch ein paar Fotos von gestern über das Filmfestival und was sonst noch in Berlin geschah.

Der Rote Teppich darf nicht fehlen

Kollege Klaus Meier lädt zum “Taxidriver” ein

Der Kinosaal ist ein Großraumtaxi auf dem Potsdamer Platz
In Toronto / Kanada

Blaulicht und Rote Karte für Uber

Und dann noch die “Free Assange” Demo am Brandenburger Tor
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Bericht aus einem gebrochenen Land (061)

Was sich nach fernem Balkan anhört, spielt sich gerade in Deinem Wohnzimmer ab. Recherchiert haben auch keine Bulgaren, sondern das öffentlich/rechtliche InfoRadio des RBB. Dort hat man nun endlich auch das herausgefunden, was Taxifahrer in Berlin bereits seit vielen Jahren sagen, und zwar dass es bei Uber und Co nicht mit rechten Dingen zugeht. Bemerkenswert ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe, immerhin ist Uber zum zweiten Mal in Folge Sponsor der gerade stattfindenden UBERlinale. Laut dem RBB sollen mindestens 1.000 Fahrzeuge von Uber, Bolt und Co illegal in der Zentrale des deutschen Irrenhauses unterwegs sein. Experten wie der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus Tino Schopf sprechen sogar von 2.000 illegalen Fahrzeugen. Dazu muss man wissen, dass es offiziell nur 4.300 Mietwagen in Berlin gibt. Als wenn das alles nicht schlimm genug wäre, weist das öffentlich/rechtliche InfoRadio darauf hin, dass Fahrgäste, die in einem Mietwagen ohne gültige Konzession zu Schaden kommen, nicht versichert sind. In Bulgarien sagt man in einem solchen Fall: “Garanzija – Franzija”, also wenn man Garantie will, muss man nach Frankreich gehen. Wobei Frankreich nur, weil es sich besser reimt als “Garanzija – Germanija”. Der Bulgare zieht es vor, nach Deutschland zu gehen, zumindest war das früher so. Richtiger wäre aber, hier in der Vergangenheitsform zu schreiben. Illegale Taxis, die den Namen Taxi nicht verdienen, gab es in Bulgarien zuletzt in den Neunzigern. Das aktuelle Geschehen in Berlin, der Zentrale des deutschen Irrenhauses, dürfte für den gemeinen Bulgaren vor allem eines sein – ein Déjà-vu.
PS: Im Interview mit dem RBB sagt der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus Tino Schopf, dass Uber den Preis der Fahrt vorgeben würde, wovon auch ich ausgehe. Offiziell macht das aber der Generalunternehmer Thomas Mohnke. Wie genau er das macht und wie viel er dafür bekommt, konnte, besser: wollte, er mir aber schon vor eineinhalb Jahren bei meiner Recherche “Wir haben den Leuten eine Lüge verkauft” nicht verraten.

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Bericht aus einem gebrochenen Land (060)

Am Straßenrand entsorgte Urinflaschen in Berlin

War bisher immer die Rede vom Fachkräftemangel, will man jetzt Hilfskräfte ins Land holen, und zwar indem man das neue Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung dafür nutzt: “Arbeitsagentur will 25.000 Hilfskräfte aus dem Ausland holen”. Ausbeutung von Amts wegen. Oder mit anderen Worten: Nachdem der letzte Arzt aus Indien nach Deutschland gelockt wurde, soll nun auch noch die Putzfrau folgen. Wer in indischen Krankenhäusern die Urinflaschen ausleert, das interessiert hierzulande mal wieder niemanden. Wer krank wird im Kapitalismus, ist selbst dran Schuld. Und überhaupt: Wie Kranke in Indien ohne Ärzte klarkommen, hat hierzulande auch noch nie jemanden ernsthaft gejuckt. Mein Tip an die Hilfskräfte: Bitte Urinflaschen aus Indien mitbringen. Die letzten deutschen Urinflaschen wurden in der Zentrale des deutschen Irrenhauses gerade auf der Straße entsorgt.

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Bericht aus einem gebrochenen Land (059)

Wenn mich Leute fragen, was ich in Berlin mache, sage ich immer, dass ich hier überwintern würde. Vorher dachte ich, es wäre ein Unterschied, ob ich immer mal wieder etwas Holz in den Ofen werfen muss, damit die Hütte warm bleibt, wie in Bulgarien. Oder ob ich nichts tun muss, damit die Wohnung warm wird, ausser meine Rechnungen zu bezahlen, wie in Berlin. Es gibt einen Unterschied, aber umgedreht wie erwartet, so wie in Bulgarien immer alles umgedreht ist. Denn nun kann ich sagen, dass ich lieber immer mal wieder ein Stück Holz in den Ofen werfe, wenn mir dafür der Anblick von den vielen Stadtaffen hier in Berlin erspart bleibt. Man darf die Stadtaffen nicht mit den Mühseligen und Beladenen verwechseln. Deren Anzahl hat auf jeden Fall zugenommen und ihr Anblick spricht sogleich mein Mitleid und meine Helfermacke an. Schlimmer sind aber die Stadtaffen, denn die bereiten mir körperliche Schmerzen. Gestern auf dem Flohmarkt zum Beispiel, wo ich erneut meine Bücher verkauft habe, um bereits erwähnte Rechnungen bezahlen zu können, waren wieder viele Stadtaffen unterwegs. In aller Regel treten sie zu zweit  und sich unterhaltend an den Bücherstand heran. In der einen Hand halten sie ihren Kaffee und mit der anderen Hand blättern sie in einem Buch, wobei blättern das verkehrte Wort ist. Es ist eher eine Art Daumenkino, was sie veranstalten. Dabei schauen sie aber nicht ins Buch beziehungsweise ins nicht vorhandene Daumenkino, sondern ihren Gesprächspartner, den anderen Stadtaffen, ins Gesicht. Als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, erzählen sie dabei von unsäglichen Dingen, die ich gar nicht wissen will, die ich mir aber anhören muss, weil man nicht absichtlich weghören kann. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Sicher wie das Amen in der Kirche ist, dass die Stadtaffen keine Bücher kaufen, was auch besser so ist, wenn sie diese so lesen, wie sie darin blättern, also wie in einem Daumenkino. Meine Dosis an Berliner Stadtaffen ist langsam erreicht. Lieber Alte und Zahnlose in den Schluchten des Balkans als Stadtaffen, die besser den Mund gehalten hätten, auch wenn in ihm noch alle Zähne vorhanden sind.
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Bericht aus einem gebrochenen Land (058)

Neulich sprach ich mit einem Berliner Bekannten, der für offene Grenzen ist. Ginge es nach ihm, solle jeder, der möchte und es sich leisten kann, kommen und bleiben können. Für ihn wäre das praktisch, weil er selbst sein zuhause nur ungerne verlässt. Und wenn alle kommen können, müsse er nicht mehr verreisen. Der Obdachlose mit Migrationshintergrund vor seiner Tür ging ihm dann aber doch irgendwann auf die Nerven. Warum, blieb unklar, wenn er selbst sein zuhause doch nur ungerne verlässt. Jedenfalls hat er den Obdachlosen vor seiner Tür vertrieben. Als er dies erzählte, sah er richtig traurig aus. Fast hätte er geweint. Und ich mit ihm. Denn er hat Recht. So Obdachlose liegen einem immer nur im Weg rum. Selbst wenn sie betteln, sind sie zu nichts zu gebrauchen. Gibt man ihnen nichts, fühlt man sich schlecht. Und gibt man ihnen etwas, fühlt man sich auch nicht besser. Was sollte der Berliner Bekannte anderes tun, als den Obdachlosen – Migrationshintergrund hin oder her – zu vertreiben. Jetzt liegt der Obdachlose nicht mehr vor seiner Tür, sondern auf der Straße. Ganz genau auf dem Bürgersteig. Vor einer anderen Tür. Einer Ladentür. Da liegt der Obdachlose gut, zumindest für den Moment. Denn der Laden hat zu. Wie lange er dort liegen kann, ist ungewiss. Das Versprechen, den Vertrag verlängern zu können, macht dem Obdachlosen mit Migrationshindergrund aber Hoffnung, nicht gleich wieder vertrieben zu werden.

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Bericht aus einem gebrochenen Land (057)

Oft komme ich mir in Berlin wie im falschen Film vor, manchmal ist der Film auch eine Oper respektive Operette, gelegentlich auch ein Musical. Dass ich den Eindruck habe, im falschen Film, Oper, Operette, Musical zu sein, liegt daran, dass es schwer geworden ist in der Zentrale des deutschen Irrenhauses, noch normale Leute zu treffen. Denn die allermeisten vertrauen immer noch den Verlautbarungen unserer Regierung. Im Gegensatz zu Bulgarien, wo ich viel Zeit verbracht habe in den letzten Jahren. Dort war und ist es bis heute ein Ding der Unmöglichkeit, jemanden zu finden, der der Regierung vertraut. Neuerdings gibt es nun auch hierzulande Zwischentöne. Gestern beispielsweise stellte jemand die Frage, ob dass denn erlaubt sei, dass anlässlich des Besuches des ukrainischen Regierungschefs Hubschrauber der Bundeswehr über Berlin kreisen würden, weil Einsätze der Bundeswehr im Inland verboten sind. Wenn das Motto der Bundeswehr “Wir kämpfen auch dafür, dass Du gegen uns sein kannst.” wirklich stimmt, habe ich persönlich nichts gegen den Einsatz der Bundeswehr im Inland. Im Gegenteil – aber das nur nebenbei. Neben der Geschichte mit den Bundeswehrhubschraubern habe ich noch gehört, wie jemand meinte, dass in der Ukraine gar nicht um unsere Freiheit, sondern um Bodenschätze und natürlich die Kornkammer gekämpft werden würde. Meine Überlegung, ob ich das jetzt melden muss, wurde jäh durch die leise ausgesprochene Befürchtung unterbrochen, dass es auch bei uns bald Krieg geben wird. Das hat mich dann wieder an Bulgarien erinnert, wo diese Befürchtung bereits bei Kriegsbeginn vor zehn Jahren laut ausgesprochen wurde.

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