Mein Mineralbad in den Schluchten des Balkans nochmal
Mein inneres Wahrheitsministerium hat sich gemeldet und mir gesagt, dass die Geschichte umgeschrieben werden muss. Also nicht DIE Geschichte, sondern diese Geschichte. Auch wenn der Anfang stimmt, wiederhole ich ihn noch einmal: „Ich habe mein eigenes Mineralbad in den Schluchten des Balkans. Mein Bürgermeister hat es extra für mich anlegen lassen. Zusammen mit Bänken, einem Tisch und einem Grill. Das ist einige Zeit her. Langsam verfällt auch dieser Ort, so wie in Bulgarien alles verfällt. Mein Becken musste ich mir heute bereits mit Fröschen und ihren Nachkommen, den Kaulquappen, teilen. Zurück in meiner Hütte lese ich nun von Heringen, die ihre Eier plötzlich hunderte Kilometer entfernt ablegen. “Fachleute vermuten kollektiven Gedächtnisverlust”, schreibt das ehemalige Nachrichtenmagazin.“ Dann kam folgende falsche Schlussfolgerung: „Das Kommende, denke ich sogleich: Heute die Heringe, morgen die Menschen.“ Die richtige Schlussfolgerung, also was mein inneres Wahrheitsministerium sagt, lautet so: „Hat es nach dem Menschen nun also die Heringe erwischt.“
Ich habe mein eigenes Mineralbad in den Schluchten des Balkans. Mein Bürgermeister hat es extra für mich anlegen lassen. Zusammen mit Bänken, einem Tisch und einem Grill. Das ist einige Zeit her. Langsam verfällt auch dieser Ort, so wie in Bulgarien alles verfällt. Mein Becken musste ich mir heute bereits mit Fröschen und ihren Nachkommen, den Kaulquappen, teilen. Zurück in meiner Hütte lese ich nun von Heringen, die ihre Eier plötzlich hunderte Kilometer entfernt ablegen. „Fachleute vermuten kollektiven Gedächtnisverlust“, schreibt das ehemalige Nachrichtenmagazin. Das Kommende, denke ich sogleich: Heute die Heringe, morgen die Menschen.
Aus meinen Schluchten des Balkans fahre ich jetzt immer mit dem Zug nach Sofia. Bei der Abfahrt sieht es so aus wie auf dem Foto oben. Gut, die Welt ist dort auch nicht in Ordnung, beispielsweise können manche, vor allem Ältere, von denen es in Bulgarien jede Menge gibt, nicht mitfahren. Denn sie kommen gar nicht erst in den Zug, einfach weil der Abstand zwischen Zug und Bahnsteig, soweit man ihn überhaupt als solchen bezeichnen kann, zu groß ist. Immerhin: die Landschaft ist OK. Im Gegensatz zu dem Bild, was sich bei der Ankunft in Sofia bietet. In dem Sinne haben die, die nicht in den Zug gekommen sind, nichts verpasst. Vielleicht liegt das Bild, das sich einem bei der Ankunft in Sofia bietet, auch einfach am Ankunftsgleis, es ist immer das allerletzte: Gleis 13.
Gestern gab es in mehreren Städten Bulgariens Proteste gegen die für nächstes Jahr geplante Euroeinführung, darunter in Sofia, wo obiges Foto entstand. Organisiert wurden sie wie in der Vergangenheit auch von der Partei „Wiedergeburt“. „Wiedergeburt“ steht der AfD nahe, ihr Vorsitzender Kostadin Kostadinow hat auch schon auf Veranstaltungen der AfD in Deutschland gesprochen. Der Umgang mit „Wiedergeburt“ in Bulgarien ist allerdings ein ganz anderer als der mit der AfD in Deutschland. Die Partei fordert seit langem ein Referendum, also eine Volksbefragung zur Euroeinführung. Am Europatag, dem 9. Mai, hat nun auch der bulgarische Präsident Rumen Radew ein solches Referendum gefordert. Darüber hinaus hat er diesen bemerkenswerten Satz gesagt: Es ist überraschend, dass Menschen, die als die größten Demokraten bezeichnet werden, sich gegen die Demokratie aussprechen. Das wurde auch höchste Zeit, denn der bulgarische Präsident wird im Gegensatz zum deutschen vom Volk gewählt, und die Mehrheit der Bulgaren will den Euro schon lange nicht. Nur, wen interessiert schon das Volk in einer Demokratie? Aber es wird noch verrückter. Wie sich auch wieder auf der gestrigen Demo zeigte, ist ebenso die bulgarische Linke nicht nur gegen den Euro, sondern auch gegen die EU.
Ich habe mir eine kurze Auszeit vom bulgarischen Wahnsinn am Fuße des Ätnas gegönnt. Von Sofia aus fliegt man keine zwei Stunden nach Catania. (Zum Vergleich: nach Berlin sind es zwei Stunden und zehn Minuten.) Bulgarien hat dieselben Farben in seiner Trikolore: Weiß, Grün und Rot, aber das nur nebenbei. Italien ist eine andere Welt, nicht nur was das Essen angeht. Auch in Italien funktioniert nicht alles so, wie es funktionieren sollte, aber das ist in Deutschland nicht anders. Dort ist vieles auch nicht mehr so, wie es einmal war. Ich sage gerne auch Balkanisierung dazu. So weit wie in Bulgarien ist sie aber nicht fortgeschritten, weder in Italien, noch in Deutschland. Das wurde mir einmal mehr bei meiner Rückkehr klar. Es ist, als würde man ein Land betreten, in dem kürzlich ein Krieg zu Ende ging oder in dem gerade ein apokalyptischer Film gedreht wird. Es grenzt an ein Wunder, dass überhaupt noch etwas funktioniert. Das bulgarische Wunder. Auf italienisch: Il miracolo bulgaro.
PS: Auch im deutschen Irrenhaus herrscht der Wahnsinn. Der bulgarische Wahnsinn ist aber dagegen echt, und – vielleicht das wichtigste – man weiß mit ihm umzugehen, er ist Alltag. Im Gegensatz zu Deutschland, wo viele mit ihm überfordert und deswegen kurz vorm Burn Out, vorm Durchdrehen oder eben vorm Auswandern sind.
Gerade bin ich auf diesen aktuellen Artikel auf dir.bg mit dem Titel „Deutsche Auswanderer in unserem Land: Bulgarien ist das bessere Deutschland!“ gestoßen. Dir.bg ist eine bekannte Internetseite, von der viele Bulgaren eine e-mail Adresse haben, vergleichbar mit gmx.de in der Heimat, auf der es auch Nachrichten gibt. Der Beitrag ist auf bulgarisch, aber man kann ihn sich mit Hilfe des Internets ins deutsche übersetzen lassen. Ein Spediteur, der regelmäßig mit Aufträgen zu verschiedenen Orte in Bulgarien fährt, erzählt dort, dass er viele Deutsche und ihre Gründe kennt, warum sie nach Bulgarien ausgewandert sind. Er sagt, dass viele der Meinung sind, dass sich die Politik in Deutschland nicht für ihre Meinung interessiert, dass sie sozusagen ungehört blieben. Ein Schweizer Rentner stellt begeistert fest: „Das Leben hier ist viel stressfreier und ich genieße meine Freiheit, die ich so liebe. Die Sonne scheint fast jeden Tag, die Menschen sind freundlich und hilfsbereit und die Berge und das Meer sind in der Nähe. Was will man mehr? Wir haben hier echte Lebensqualität.“ Eine Deutsche, die nach Bulgarien gezogen ist, sagt in dem Beitrag folgendes: „Lassen wir Bulgarien Bulgarien sein. Wir sollten nicht versuchen, alles zu germanisieren. Auch wenn ich im Land lebe und dort Steuern zahle, bleibe ich Gast in Bulgarien. Ich brauche kein deutsches Bier, keine deutschen Waren im Supermarkt. Ich erwarte auch nicht, dass die Leute Deutsch verstehen oder die gleiche Präzision und Pedanterie an den Tag legen wie in Deutschland. Das ist Bulgarien. Nehmen wir es so an, wie es ist.“ Es gibt aber auch kritische Stimmen, wie beispielsweise diese eines Deutschen, der nach Bulgarien gezogen ist: „Bulgarien ist ein wunderschönes Land, aber Vorsicht – das Leben hier ist nicht wie in Deutschland und man muss viele Kompromisse eingehen.“ Ein insgesamt lesenswerter Beitrag, dazu noch aktuell. Und wie bereits erwähnt, das Internet übersetzt ihn ganz ordentlich.
PS: Gerade erinnere ich mich an eine Todesanzeige, die jemand vor 40 Jahren im Osten geschaltet hatte, weil ein Freund von ihm in den Westen gegangen war, genau war es der Jugendpfarrer der evangelischen Kirche meines Heimatortes. Die Anzeige in der Tageszeitung „Freiheit“, heute „Mitteldeutsche Zeitung“, enthielt den Satz: „Er ist den Weg gegangen, den wir alle einmal gegen werden“. Da die Person nicht tot war, war der Satz an erster Stelle eine Provokation. Um genau zu sein, eine an die Stasi gerichtete Provokation. Wenn sie besser aufgepasst hätte, wäre diese Todesanzeige niemals erschienen. Zum Glück gibt es die Stasi heute nicht mehr. Ich kann also ohne Angst zu haben diesen Satz über deutsche Auswanderer, ganz egal ob sie nach Bulgarien oder in ein anderes Land auswandern, sagen: „Sie sind den Weg gegangen, den wir alle einmal gehen werden.“
Normalerweise trinke ich Tee aus eigener Produktion, meistens aus getrockneten Linden- oder Holunderblüten. Manchmal kaufe ich mir aber auch welchen, zum Beispiel Rooibos oder obigen Grünen Tee von der bulgarischen Firma „Bio-Programm“. Dann habe ich nicht nur 20 Teebeutel, sondern dazu die Verpackung. Habe ich die früher verheizt, mache ich heute Notizzettel aus ihnen. Ich kenne mich also etwas aus mit Verpackungen, und da gibt es Unterschiede. Oben zum Beispiel, das ist weiße Pappe. Auf der schreibt es sich besser. Dann gibt es noch graue. Auf der kann man auch schreiben, es sieht aber nicht so schön aus. Da die bulgarischen Verpackungen in aller Regel aus grauer Pappe sind, schreibe ich meistens auf der grauen Pappe. Auf der weißen Pappe schreibe ich nur zu besonderen Anlässen. Oder mit anderen Worten: Die weiße Pappe ist „für gut“ – so wie wir früher sagten.