Gestern war ich ich Sofia, wo ich eigentlich zu dem Stück “Holzfällen – Eine Erregung” von Thomas Bernhard wollte, ich hatte
hier darüber geschrieben. Ich kann es gleich vorweg nehmen: Dazu ist es nicht gekommen. Dass es nicht dazu gekommen ist, lag aber nicht an dem Protest gegen die amtierende bulgarische Regierung, den es gestern auf den Straßen Sofias gab. Warum ich nicht im Theater war, dazu später mehr. Zuerst einmal zum Protest, der von der drittgrößten Partei “Wiedergeburt” organisiert war. Ich erfuhr zufällig davon, als ich den Buchladen der Universität verließ. Da näherte sich der Protestzug dem Denkmal der Sowjetischen Armee in einem Park im Herzen Sofias und ich mich mit ihm. Knapp 1.000 Leute waren unterwegs, die mit Bussen aus allen Teilen des Landes angereist waren, wie ich später erfuhr. Als der Demonstrationszug den Park erreichte, in dem bereits viel Polizei wartete, machte die Spitze des Demonstrationszuges plötzlich einen Short Cut, also eine Abkürzung, zum improvisierten Zaun, den das Denkmal für die Sowjetische Armee seit einiger Zeit umgibt. Der Film zeigt diese Szene ab 2:55:48. Man sieht den Chef der Partei “Wiedergeburt”, Kostadin Kostaninow, und eine Frau mit roten Haaren, die auch auf dem Foto unten ganz entspannt im Kreise von Polizisten zu sehen ist. In den Filmaufnahmen geht es weniger entspannt weiter, denn Kostadinow erreicht praktisch zeitgleich mit der Polizei den improvisierten Zaun. An diesen werden nun von einem Sympathisanten der Demonstranten von innen die Schrauben gelöst, so dass es bald darauf ein Loch im Zaum gibt. Nun setzen Rangeleien zwischen den Demonstranten und der Polizei ein, die aber schlimmer aussehen, als sie in Wirklichkeit waren. Ich weiß das, weil ich direkt dabei war. Möglicherweise bin auch ich im Film zu sehen. Einigen wenigen Demonstranten gelang es, durch das Loch im Zaum zu schlüpfen, darunter Kostadinow, der dann von dort aus eine kleine Rede hielt. In seiner Rede betonte er, dass es für das Gerüst, das um das Denkmal für die Sowjetische Armee aufgebaut ist, keine Genehmigung gäbe. Seine Partei hätte mehrfach deswegen angefragt, aber man konnte ihr keine solche Genehmigung zeigen. Die Genehmigung für das Gerüst ist aber auch nur ein Nebenkriegsschauplatz. In der Sache geht es der Partei “Wiedergeburt” und den Demonstranten um den Erhalt des Denkmals, das abgebaut und irgendwo in der Nähe zur türkischen Grenze in einem “Museum des Kommunismus” wieder aufgebaut werden soll. Kostadinow und seine Partei sind der Meinung, dass es sich bei dem Denkmal für die Sowjetische Armee um ein Denkmal gegen den Faschismus handelt, denn es war die Sowjetische Armee, die Bulgarien 1944 vom Faschismus befreit hat. Wenn nun, so Kostadinow in seiner Rede weiter, ein Denkmal gegen den Faschismus demontiert werden soll, so können dies nur Faschisten tun. Das Denkmal für die Sowjetische Armee, von denen es in Berlin drei gibt, eins in Treptow, eins im Tiergarten und ein weiteres in Pankow, soll wegen dem Krieg in der Ukraine demontiert werden. Zumindest in Sofia – in Berlin (noch) nicht. Auch wenn die Bilder insbesondere beim “Kampf um den Zaun” dramatisch wirken, war es erneut ein friedliches und respektvolles Miteinander zwischen Polizei und Demonstranten. Die allermeisten Demonstranten gehen davon aus, dass die Polizei mit ihnen und ihrem Anliegen sympathisiert. Möglicherweise auch mit der Forderung, die amtierende bulgarische Regierung solle zurücktreten, die aber nicht im Vordergrund stand, auch wenn der Titel des Videos “Protest gegen die Regierung in Bulgarien” dies vermuten lässt. Nun zum Theater, das ich gestern in Sofia aufsuchen wollte, weswegen ich mich in die bulgarische Hauptstadt begeben hatte. Alles hätte so schön sein können, allen voran meine Reservierung, die mir telefonisch bestätigt wurde. Allerdings hatte ich mich in der Zeit geirrt, woran der Protest keine Schuld hatte. Jedenfalls kam ich zehn nach Sieben im Theater an, in der Vorstellung, das Stück würde um halb Acht starten. Es war zu dem Zeitpunkt aber schon zehn Minuten im Gange und zu spät Kommende wurden nicht mehr reingelassen. Bulgaren können manchmal deutscher als die Deutschen selbst sein. Kostadinow, der Chef der Partei “Wiedergeburt”, ist ein Beispiel dafür. Er will ernsthaft eine Genehmigung für den Aufbau eines Gerüstes sehen – in Bulgarien!