Ist Dir das auch schon aufgefallen: Von „Russland besiegen“ spricht irgendwie niemand mehr. Komisch, oder? Auch von Unterstützung der Ukraine mit Waffen auf Teufel komm raus, egal was die Wähler in der Heimat darüber denken. Letzteres mag mit der bevorstehenden Bundestagswahl zusammenhängen. Was die militärische Unterstützung angeht, hat der Westen in der Ukraine fast bis zum letzten Ukrainer kämpfen lassen. Die Ukrainer werden sich bedanken, zumal man jetzt noch an ihre Bodenschätze will. Natürlich nicht der Deutsche, dafür ist er zu dumm. Gemeinsam mit anderen Europäern ist er dem Amerikaner, für den der Krieg immer weit weg war und der ihm zum Dank den Gashahn abgedreht hat, mal wieder blind gefolgt. Zur Belohnung darf er jetzt den Wiederaufbau finanzieren. Man kann auch sagen: Er hat sich mal wieder schön f***en lassen.
Gerade war ich draußen, wo diese Bilder entstanden sind. Zweimal am Tag gehe ich raus, jeweils für 40 bis 50 Minuten. Also die Länge einer therapeutischen Sitzung. Beim Laufen kommen mir immer ganz gute Ideen, zum Beispiel dieser Beitrag. Auch weil ich ganz alleine hier bin, nur die Hunde von den Nachbarn sind noch da. Die bewachen mich. Die Nachbarn selbst kommen nur ab und zu, um nach dem Rechten zu sehen. Wäre ich einer ihrer Hunde, wäre ich ihnen schon längst an die Gurgel gegangen. Zum Glück gehen sie mir nicht an die Gurgel. Jetzt, wo ich darüber schreibe, frage ich mich, ob es nicht besser ist, ein Messer oder gar eine Axt mitzunehmen, wenn ich das nächste Mal rausgehe. Nur für den Notfall, falls die Bestien komplett ausgehungert sind. Ansonsten fühle ich mich sicher in meinem Denk- und Schreibkerker, in dem es sogar einen richtig warmen Raum gibt. Im Rest ist es so kalt wie draußen, auch im Schlafzimmer. Im Bett liege ich immer mit Schal und Wollmütze. Bevor ich ins Bett gehe, lege ich einen heißen Stein rein. Am Morgen ist der immer noch warm. Jetzt liegt er auf dem bullernden Ofen. Viele in der Heimat können sich so ein einfaches, zurückgezogenes Leben nicht vorstellen. Das höre ich immer wieder. Mir geht es genau umgedreht. Ich kann mir ein Leben mit Ablenkungen, Oberflächlichkeiten und Nothing-About-Nothing Mitteilungen nicht mehr vorstellen. In Bulgarien gibt es dafür sogar einen Ausdruck von Aleko Konstantinow. Das ist der Autor, dessen Bücher ich auf Deutsch herausgebe. Ganz genau ist es dieser Titel einer Kurzgeschichte von ihm, den praktisch jeder Bulgare kennt: „разни хора, разни идеали“ – „Unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Ideale“.
An dem Blau-Weißen Pfahl in der Mitte orientiere ich mich bei Schnee
Es ist kalt geworden in den Schluchten des Balkans. Bisher liegt nur auf den Bergspitzen Schnee, was sich heute ändern soll. So sagst es die Wettervorhersage, mit der ich diesmal mitgehe. Es liegt Schnee in der Luft, und ich habe vorgesorgt. Lebensmittelvorräte sind vorhanden, Holz liegt vor der Hütte und die zweite Gasflasche ist gefüllt. Wenn ich morgen nicht zum Basar kann, weil ich zugeschneit bin, ist das also kein Problem. Dann eben nächsten Freitag. Oder übernächsten …
Heute wurden gleich zwei Beiträge von mir veröffentlicht. In einem geht es um obiges Denkmal in Sofia, auf dem jetzt schon seit über einem Jahr die Figuren fehlen. Der andere Beitrag dreht sich um die bevorstehende Bundestagswahl und die Frage, ob ich wählen gehe. Der erste Beitrag ist zwar über Bulgarien, trotzdem kommt Berlin in ihm vor. Und obwohl der zweite über die Wahl in Deutschland ist, spielt in ihm auch Bulgarien eine Rolle. Die beiden Bilder dieses Blogbeitrags gingen auch online. Insgesamt wurden heute sieben Fotos von mir veröffentlicht. Das beste sind aber die Titel der Beiträge. Bei so viel „Kampf gegen Rechts“ in der Heimat darf ein wenig „Kampf um die Geschichte“ in Bulgarien nicht fehlen. Noch besser ist aber noch „Betreutes Wählen“.
In knapp zwei Wochen wird in Deutschland gewählt, und ich bin in Bulgarien. Lange habe ich über
Gerade ist Becky wieder bei mir, die Hündin meines englischen Freundes Jerry. Jerry ist in Sofia und gibt Musikunterricht. Jerry ist Musiker, sein Instrument ist das Saxophon. Eigentlich ist Jerry eine „cat person“, aber bei Becky, ein Straßenhund aus seinem Dorf, konnte er nicht Nein sagen. Und ich kann es auch nicht. Becky ist mein treuer Begleiter. Deswegen hat sie auch ihren eigenen Stuhl. Es ist kein einfacher Stuhl, sondern ein Thron. Der Thron ihrer Majestät Queen Becky.
Am Freitag war ich unter Menschen. Ich bin in die Stadt zu einem Klassik Konzert gefahren. Wie ich bereits schrieb, sind auch in Bulgarien die wurzellosen Städter sehr verwestlicht. Mit verwestlicht meine ich unverbunden. So wie die Dame neben mir, die nichts besseres zu tun hatte, als alle fünf Minuten ihr Smartphone herauszuholen, um zu sehen, ob da eventuell neue Nothing-About-Nothing-Nachrichten angekommen waren. Kein Gedanke daran, dass der Mensch neben ihr ungestört und ohne lästige Ablenkungen der Musik lauschen möchte. Obwohl das der Grund ist, warum man in ein Konzert geht. Zumindest ist das bei mir so. Bei der Frau offensichtlich nicht. Sie selbst fühlte sich vermutlich mit der Welt verbunden, aber eben nicht mit ihrem Nächsten. Ein kluger Kopf, wer genau habe ich gerade vergessen, meinte einmal: „Hell Is Other People“.
In Thomas Bernhards 1984 erschienen Roman „Holzfällen – Eine Erregung“ kommentiert der Ich-Erzähler in einem Ohrensessel sitzend eine Wiener Abendgesellschaft, zu der er eingeladen wurde. Ich habe keinen Ohrensessel, und bin auch nicht in Wien, sondern in den Schluchten des Balkans, wo es auch keine Abendgesellschaften gibt. Einladungen gibt es dagegen schon, so ist es nicht. Die bulgarische Gastfreundschaft ist bis heute sprichwörtlich – zumindest auf dem Land. Die Menschen in den großen Städten sind auch in Bulgarien verwestlicht, wenngleich zwischen meinem Berliner Stadtbezirk, dem Friedrichshain, und dem hipsten Stadtbezirk von Sofia Welten liegen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Grüne Partei, die es auch in Bulgarien gibt, überhaupt noch zu Wahlen antritt. 2014 erreichte sie bei den Parlamentswahlen 0,2 % also 7.456 Stimmen, und das landesweit.
Zurück zu mir und meinem Sessel in den Schluchten des Balkans, auf dem ich viel Zeit verbringe – alleine. Immer mehr Menschen können heute nicht mehr alleine sein. Auch dieses Phänomen ist in den großen Städten ausgeprägter als auf dem Land. Ich weiß, wovon ich rede. Ich hatte schon den ein oder anderen wurzellosen deutschen Städter bei mir zu Gast, der auf sich zurückgeworfen eine Schreibblockade entwickelte, dummes Zeug erzählte oder gar depressiv wurde. Seither schaue ich mir die Leute genauer an, die mich besuchen wollen. Im Ernstfall ziehe ich es vor, alleine zu bleiben. Für einen trockenen Alkoholiker ist das Alleinsein nicht ganz ungefährlich. Mit sich alleine ist ein Alkoholiker in keiner guten Gesellschaft, so sagt man. Ich muss also wirklich aufpassen.
Andererseits ist das Alleinsein auch eine Chance. Gerade höre ich einen Podcast über die Ideen von Carl Gustav Jung, dem neben Wilhelm Reich wichtigsten Schüler von Sigmund Freud. Jung ist vom in Sofia ansässigen Ost-West-Verlag komplett ins Bulgarische übersetzt. Das fällt mir ein, weil ich neulich in Sofia war und dort auch im „Ciela Books & Music Bookstore – Rektoratsunterführung“, also an der Universität. Natürlich ist auch Freud komplett übersetzt, bei Reich bin ich mir nicht sicher. Doch zurück zu Jung, an den ich bisher nicht rangekommen bin. Das ist gerade dabei, sich zu verändern. Der Grund dafür ist der bereits erwähnte Podcast und auch seine Kommentare.