Lange war ich auf der Suche nach meiner Routine hier und bin es immer noch. Bulgarien ist ein Routinezerstörer, so wie Thomas Bernhard ein Geschichtenzerstörer war. Das ist die Wahrheit. Man macht besser keine Pläne in den Schluchten des Balkans. Oder man plant das Gegenteil von dem, was man eigentlich machen möchte. So mache ich es jetzt. Will ich ans Meer, plane ich einen Tripp ins Gebirge. Oder will ich nach Griechenland, plane ich, so wie letzten Herbst, im Land zu bleiben. Damit fahre ich sehr gut – im Moment. Bulgaren machen gar keine Pläne, sie lassen alles auf sich zukommen. Bei ihnen werden also keine Pläne zerstört, denn sie haben erst gar keine. Die hohe Kunst der Routinezerstörung, wofür man Nerven aus Stahlseilen braucht. Davon bin ich (noch) weit entfernt. Aber ich bin auf meinem Weg. Gerade arbeite ich an einer Endlosfassung von Brechts “Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens”: Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan, ’nen dritten Plan, ’nen vierten Plan, ’nen fünften Plan, ’nen sechsten Plan, ’nen siebenten Plan, ’nen achten Plan, ’nen neunten Plan … undsoweiter , sprich ထ unendlich, undsofort: Geh’n tun sie alle nicht. – Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlecht genug. Doch sein höheres Streben ist ein schöner Zug.
Auch wenn die Straße meine Universität war und immer noch ist, so habe ich auch ein paar Unis von innen gesehen, und nicht nur die Mensa. Ausgerechnet von einem Doktor aus Moskau, sein Name ist Manuach Messengießer, habe ich etwas fürs Leben gelernt. Doktor Messengießer, der wie gesagt erst in Moskau lehrte, bevor er nach Berlin kam, hat die vier Phasen der Planung entdeckt. Dazu muss man wissen, dass Doktor Messengießer, bevor er Moskau verließ, dachte, dass nur in einer Planwirtschaft wie in der Sowjetunion ein Plan gemacht wird. Kaum im Westen angekommen, musste Doktor Messengießer jedoch feststellen, dass auch im Westen geplant wird. Aber nicht nur das. Es gibt, das ist das große Verdienst von Doktor Messengießer, dies herausgefunden zu haben, die vier Phasen der Planung, die sowohl im Osten, als auch im Westen gelten. Diese sozusagen systemübergreifenden Phasen der Planung sehen laut Doktor Messengießer so aus: 1. Euphorie (über den Plan) 2. Ernüchterung (weil Plan ist nicht zu schaffen) 3. Suche nach den Schuldigen 4. Bestrafung der Unschuldigen – Doktor Messengießer hat aber nicht nur die vier Phasen, die wie gesagt systemübergreifend sind, erforscht, sondern darüber hinaus herausgefunden, dass wir uns die allermeiste Zeit in Phase Vier befinden. Ich habe Doktor Messengießer, der immer noch in Berlin leben soll, lange nicht gesprochen, weswegen ich seine aktuelle Analyse nicht kenne. Meine Analyse, aufbauend auf den Thesen von Doktor Messengießer, sieht so aus: Der Plan, Russland zu ruinieren, den Krieg zu gewinnen, oder auch nur die Ukrainer diesen Krieg für uns gewinnen zu lassen, wird nicht funktionieren. Das sage nicht nur ich, sondern auch Henry Kissinger, der viele Jahre eine wichtige Rolle in der Aussenpolitik der USA spielte, und zwar als Vertreter einer so genannten harten gewaltbereiten Realpolitik. In Deutschland, wo man die simple Wahrheit eines vom Saulus zum Paulus gewandelten Kissingers (noch) nicht offen aussprechen darf, macht sich seit einiger Zeit doch immerhin eine gewisse Ernüchterung breit. Nicht wenige geschichtsvergessene Ewiggestrige hatten auf einen Blitzkrieg samt Endsieg gehofft. Beides ist nun nicht eingetreten. Ein Winter, wenn er denn irgendwann noch beginnen sollte, voll Hunger und Kälte steht bevor. Die Suche nach den Schuldigen hat bereits begonnen, und auch schon die Bestrafung der Unschuldigen. Die Bestrafung der Unschuldigen, die ihre Arbeit verlieren, zur Tafel gehen müssen oder gar aus ihrer Wohnung fliegen, findet offiziell, beispielsweise in den Medien, natürlich nicht statt. Das ist klar. Die Unschuldigen sind immer selbst an ihrem Elend Schuld. Das ist nicht schön, aber nicht zu ändern. Das Schöne ist, dass es nach jedem gescheiterten Plan einen neuen Plan gibt. Und auf diesen Plan hoffe und warte ich. Vielleicht liege ich da aber auch verkehrt, und der dritte große Krieg bricht vorher aus. Möglicherweise ist er auch schon ausgebrochen, wir haben es nur noch nicht bemerkt. Das kann natürlich auch sein. Wir sollten auch darauf vorbereitet sein, auf diese Variante von Phase Vier.
Foto&Text TaxiBerlin
Die “Geschichten aus Balkanundeiner Nacht” gibt es wirklich. Sie sind ein Teil der “Geschichten aus Tausendundeiner Nacht”, eine Sammlung von morgen- und abendländischer Erzählungen, die ein Klassiker der Weltliteratur sind. Die Erzählerin Scheherazade erzählt dort im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben. Um das wäre es nämlich geschehen, wenn ihre Geschichten nicht mehr gefallen. Das ging immerhin 1.000 Tage lang gut, was uns der Titel “Tausendundeine Nacht” verrät, denn Scheherazade musste ihre Geschichten immer Nachts erzählen. Dazu muss man wissen, dass auf dem Balkan und im Orient immer spät zu Abend gegessen wird, also meist erst um 10 oder 11 Uhr. Danach, das ist heute immer noch so, beginnt dann das Kulturprogramm, was früher Geschichten waren, beispielsweise die von Scheherazade. – Scheherazade ging es ähnlich wie den Journalisten heute, die gute Geschichten erzählen müssen, um davon zu leben. Das sage nicht ich, sondern Balzac in seinem Roman “Verlorene Illusionen”, der genauso wie die “Geschichten aus Tausendundeiner Nacht”, von denen die “Geschichten aus Balkanundeiner Nacht” ein Teil sind, zur Weltliteratur gehört. Balzac, dessen Roman gerade neu verfilmt wurde, wusste, wovon er sprach, denn er war selbst Journalist gewesen. An einer Stelle wundert sich ein alter Journalist darüber, dass der junge Kollege wirklich das glauben würde, was er geschrieben hatte, weswegen er ihn erst einmal aufklären muss: “Aber wir treiben doch mit unseren Phrasen Handel und leben von diesem Geschäft.” – Was man auf jeden Fall sagen kann, ist, dass sowohl die Geschichten von Scheherazade, als auch die Geschichten von Journalisten gefallen müssen. Scheherazades “Geschichten aus Tausendundeiner Nacht” müssen dem König gefallen, der sich bei Nichtgefallen ihrer entledigen würde, um es mal so zu formulieren. Die Geschichten von Journalisten müssen dem Chef gefallen, dessen Aufgabe es ist, die Aktionäre der Zeitung reich zu machen. Journalisten, die dazu nicht in der Lage sind, ergeht es ähnlich wie es Scheherazade ergehen würde, wenn ihre Geschichten nicht mehr dem König gefallen. – Mir geht es mit meinen “Geschichten aus Balkanundeiner Nacht”, die wie gesagt ein Teil der “Geschichten aus Tausendundeiner Nacht” sind, ganz genauso. Meine redaktionelle Linie ist die von Balzacs Journalisten: Ich halte alles für wahr, was wahrscheinlich ist. Weiterhin versuche ich alles als ein Spiel zu betrachten. Meine Taufe im Namen des bösen Glaubens, des falschen Gerüchtes und der heiligen Werbeanzeigen zum Journalisten steht mir allerdings noch bevor.