Während ich in den Schluchten des Balkans zwar kein Apfelbäumchen, aber immerhin drei Erdbeeren pflanze, wächst in der Ukraine die Angst vor dem Showdown. So Kollege Lukas Moser von der Berliner Zeitung, der vor Ort ist und exklusiv über die Situation berichtet. Titel seines Berichtes: „Die Russen kommen – wir haben kaum Chancen“. Im Untertitel heißt es, dass sich die Lage im Nordosten der Ukraine immer weiter zuspitzt. Mit anderen Worten: Wer sich jetzt nicht auf den Weg macht, in der Ukraine “unsere” Demokratie zu verteidigen, der kommt zu spät. Und wer zu spät kommt, den bestraft bekanntlich das Leben, möglicherweise mit dem Russen in Berlin. Ich werde als nächstes wohl wieder Gras mähen und Unkraut jäten müssen, es hat die letzten Tage viel geregnet.
Wer erinnert sich noch an die Babys, die angeblich aus Brutkästen gezerrt und auf den Boden geworfen worden waren? Immerhin wurde deswegen ein Krieg angezettelt! Das mit den Babys ging später als “Brutkastenlüge” in die Geschichte ein. Sie war eine Erfindung der US-amerikanischen PR-Agentur Hill & Knowlton. Heute in Sofia wurden keine Babys aus Brutkästen gezerrt und auch keine kleinen Mädchen vom Arm der Mutter gerissen. Selbst die Demonstrationen gehen in den Schluchten des Balkans recht zivilisiert zu. Vielleicht sollte ich “noch” dazu sagen. Keiner weiß, was der morgige Tag bringt. Die nächste Demo gegen den Euro ist übrigens schon am Mittwoch um 8:30 Uhr. Da kommen Emissäre der Europäischen Gemeinschaft nach Bulgarien. Die martialisch gekleideten Polizisten haben heute schon keinen mehr an das Gebäude, ein Glaspalast in der Rakowskistraße, herangelassen. Nicht mal kleine Mädchen auf dem Arm ihrer Mutter. Diese Geschichte ist keine Lügengeschichte.
Es war heute ganz schön was los in Sofia, aber nicht nur dort. Auch in anderen bulgarischen Städten gingen die Menschen auf die Straße, beispielsweise in Varna, Smoljan, Jambol, Sliven, Silistra, Veliko Tarnovo, Gabrovo, Pernik, Blagoevgrad, Gotse Delchev, Sandanski, Petrich, Garmen, Lovech, Kjustendil, Stara Zagora, Tutrakan, Kardschali und sogar auf dem Pass der Republik. Es ging gegen den Euro, aber eigentlich für den Lew. Die bulgarische Währung soll erhalten bleiben, zumindest vorerst. So will es die Mehrheit des Volkes. Aber das interessiert die Volksvertreter nicht. Die sagen, dass ein Referendum gegen die Verfassung verstößt. Mich erinnert das an Zeiten, wo man in der Heimat verhaftet wurde, nur weil man die Verfassung hoch hielt. Ist noch gar nicht so lange her. So weit ist man in Bulgarien noch nicht. Damit es nicht soweit kommt, werden schwere Geschütze aufgefahren. Beispielsweise die Titanic, zu der der Euro das Ticket sein soll. Das meint zumindest der Mann mit seinem Schild. Man kann es so verstehen, dass spätestens wenn Bulgarien der Eurozone beitritt, es sich mit dem Euro erledigt hat. Das mag sich erst einmal unwahrscheinlich anhören, aber es könnte durchaus sein, dass das bulgarische Orakel wieder zuschlägt. Das bulgarische Orakel hatte immerhin schon in zwei Weltkriegen Recht behalten. Bulgarien hat sich zweimal mit Deutschland verbündet, und zweimal ist Deutschland den Bach runter gegangen. Glaubt man an das Orakel, muss Deutschland sogar ein Interesse daran haben, dass Bulgarien nicht der Gemeinschaftswährung beitritt. Andere Länder haben sie auch nicht, obwohl sie in der EU sind, zum Beispiel Rumänien, Ungarn, die Tschechische Republik und Polen, aber auch Dänemark und Schweden. Nun, ich will den Teufel nicht an die Wand malen, zumindest nicht für die Bulgaren. Es kann nämlich auch sein, dass der Euro ganz ohne sie den Bach runter geht. Dann hätte es sich auf jeden Fall gelohnt, dass man heute auf der Straße war.
Neulich in Sofia war ich in der Ausstellung eines bulgarischen Künstlers, der bereits 1968 obiges Bild mit dem Titel “Apokalypse” gemalt hat. An ihm fällt einerseits das Gewehr auf, das der Mensch in der Hand hält. Darüber hinaus aber auch der im Verhältnis zu seinem massigen Körper sehr kleine Kopf, in dem es zwangsläufig um die Gehirnmasse nicht gut bestellt sein kann. Im Hintergrund die Ruinen erinnern an Berlin am Ende des Zweiten Weltkriegs. Der böse Russe, der aktuell mit Angriffen auf Berlin droht, war in der Stadt. Wird er es demnächst wieder sein? Das Skelett vor den Ruinen ist kein menschliches, sondern gehört einem Tier mit Hörnern. Genau ist es ein Paarhufer, was mich an die Kamelzehe erinnert. Auch das Kamel ist ein Paarhufer. Hier dürften wir es eher mit einer Kuh zu tun haben. Warum musste sie dran glauben? Weil sie mit ihrem Methan dem Klima schadet? Wurde sie eventuell ganz bewusst getötet? Vielleicht von einem von diesen Soja-Naschern und Hafermilch-Schlürfern? Fest steht, dass in Kriegszeiten immer auch alte bzw. offene Rechnungen beglichen werden.
Fürs “Emotionale Gepäck” steht auf der gelben Tasche, die ich neulich in Sofia gesehen habe. Zu Hause scheint es jetzt ähnliches fürs “Ideologische Gepäck” zu geben, um es mal so zu formulieren. Zumindest deute ich so das Interview mit einer Ostdeutschen Punkband, die nun auch von den woken Großstadtlinken genervt ist, deren Rumgeheule keine Sau ertrage. Dieses Zitat gefällt mir auch gut: Wenn ich mir vorstelle, ich wäre jetzt sechzehn, ich würde bestimmt nicht zu den Zecken gehen. Am besten finde ich aber diesen Satz: Wir waren jung und wussten über alles Bescheid / Stumpfe Parolen konnten nicht stumpf genug sein. – Jetzt, wo ich ihn vor mir sehe, denke ich, dass das Ende der Stumpfheit noch lange nicht erreicht ist. Es geht immer noch stumpfer.
Wer kennt es nicht, das bekannte Anti-Kriegs-Lied. Ursprünglich von Pete Seeger, bekannt geworden durch Marlene Dietrich. Pete Seeger, der das Lied im Oktober 1955 schrieb, soll sich beim Donkosaken-Lied “Koloda Duda” bedient haben, also beim Russen. Da ich mir nicht sicher bin, ob es noch gesungen werden darf, habe ich den Titel leicht abgeändert. Ich finde ihn trotzdem passend, nicht nur zum Foto, einem Denkmal in Montana. An dem ist interessant, dass das erste Kind ein Junge mit einer Trommel ist. Ob er nur ein harmloser Trommler ist oder für den Krieg trommelt? Ich weiß es nicht. Gefolgt wird der Junge von einem Mädchen. Auch hier die Frage: Wohin? Am interessantesten ist meiner Meinung nach das dritte Kind, wieder ein Junge. Er schaut nach oben, sucht den Blickkontakt zur Mutter, vermutlich um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist. Der Blick der Mutter ist kalt und leer. Eine Antwort auf den fragenden Blick des Jungen ist dort nicht zu finden. Dem Jungen folgt noch einmal ein Mädchen, das sich umgedreht hat und zurückschaut. Man sieht das nicht auf dem Foto, weswegen ich es schreibe. Überhaupt ist das Denkmal in Montana nur schwer komplett zu fotografieren. In dem bekannte Anti-Kriegs-Lied von Pete Seeger spielen Mädchen eine besondere Rolle, an die erinnert werden soll: Where are the girls? They’ve all taken husbands. Where are the men? They have gone off to war.
In Bulgarien gehören sie zum Alltag, in Deutschland muss man sich erst noch an sie gewöhnen. Gestorben wurde immer nur woanders. Der Tod ist aus dem Leben der meisten Landsleute verbannt – bisher zumindest. Das ist dabei sich zu ändern. Ich gehe regelmäßig auf bulgarische Friedhöfe, die mit Friedhöfen in Deutschland nur wenig gemein haben. Im Sommer sind sie ein Jungle und gerade ein Gottesacker – wahrsten Sinne des Wortes. Ich gehe hin, weil meine Vorfahren dort liegen. Bald könnten die eigenen Kinder auf ihnen begraben werden. Es ist jetzt ein knappes Jahr her, dass mein Artikel Bulgarien hat keinen Bock auf „schon wieder Ostfront“ erschien. Die Kriegsgefahr, die viele hier bereits damals spürten, scheint in der Heimat noch nicht wirklich angekommen zu sein. Wie betäubt tanzt man weiter auf einem Vulkan in den nächsten großen Krieg hinein, so mein Eindruck aus der Ferne. Einige sollen sogar schon richtig geil drauf sein, in einen Krieg ziehen zu dürfen: zu morden, zu rauben, zu brandschatzen, zu vergewaltigen und am Ende zu sterben. “Sie haben nichts zu verlieren – außer ihr Leben” (im Osten sagten wir: “außer ihre Ketten”). Ihren gesunden Menschenverstand haben sie schon verloren.