Einen ersten Eindruck von den Schluchten des Balkans bekam ich, als ich als Kind nach Bulgarien geflogen bin. Damals war fliegen noch etwas exklusives. Nicht ein jeder Hanswurst flog damals. Die Menschen im Flugzeug wussten noch, wo sie hinflogen. Das lag daran, dass sie Bulgaren waren, die im Ausland arbeiteten und zurück in ihre Heimat flogen, so wie mein Vater. Die Schluchten des Balkans waren schwarz, schwarz von Bäumen. Man sah vom Flugzeug aus praktisch jeden Baum. Da es Winter war wie jetzt, war auch weiß als Farbe dabei. Es sah so aus, als hätte jemand Puderzucker auf jeden einzelnen Baum verteilt. Die Flugzeuge damals hatten Propeller und flogen noch etwas langsamer als die von heute. Ausserdem war man bereits bei den Landevorbereitungen, als die Schluchten des Balkans zum Vorschein kamen. Bis heute fliegen die Flugzeuge über die beiden Spitzen (Foto oben) bei mir vor der Hütte, die heute morgen wieder zum Vorschein kamen, nachdem sie über eine Woche in Nebel gehüllt waren. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Piloten an den beiden Spitzen, die ich die bulgarischen Twin Peaks nenne, orientieren, denn man kann sie nur schwerlich mit anderen verwechseln. Hinzu kommt, dass kurz zuvor der Autopilot ausgeschaltet wird, weil Sofia keine 100 Kilometer mehr entfernt ist. Als ich neulich in der bulgarischen Hauptstadt war, habe ich auch wieder verschiedene Buchgeschäfte und -antiquariate aufgesucht. Dort fand ich dieses Buch von Karl May, der nie die Gelegenheit hatte, die Schluchten des Balkans im Winter von oben zu sehen. Das wäre ein Spaß gewesen, neben Karl May im Flieger zu sitzen und seinen Geschichten zu lauschen.
Meine Nachbarin Oma Milka ist gestorben. Oma Milka hieß wirklich Milka mit Vornamen. Milka ist also kein Spitzname, wie es sie in Bulgarien so zahlreich gibt. Die meisten Bulgaren haben gleich mehrere. Vor 20 Jahren, als ich Oma Milka kennengelernt habe, hatte Oma Milka noch eine Kuh. Hin und wieder habe ich Milch von Oma Milkas Kuh gekauft. Die war super. Irgendwann wurde die Kuh abgeschafft. Mit Oma Milka ging es bergab. Sie war immer seltener draußen zu sehen. Nur hin und wieder saß sie auf der Bank vor ihrem Haus. Einmal fragte sie mich, wo meine „Bulkata“ (Булката) wäre. Damals musste ich nachschlagen, was „Bulkata“ bedeutet. Es bedeutet „Die Braut“, und ich war damals ohne. Zu ihrer Beerdigung heute kamen knapp 40 Leute. Die Hälfte war Familie, der Rest Nachbarn und Leute aus dem Dorf, die Oma Milka, die in ihrem Zimmer aufgebahrt war, kannten. Es gab auch Klageweiber, das waren die Töchter von Oma Milka. Klageweiber sind wichtig bei einem Begräbnis, das wusste auch Alexis Sorbas. Alleine deswegen lohnt sich das Buch von Nikos Katzantzakis zu lesen. Den knappen Kilometer zum Friedhof wurde Oma Milka gefahren. Der Leichenwagen war ein alter Mercedes, bestimmt 50 Jahre alt. Der Wagen stammte aus Feuersbrunn, und zwar aus der dortigen Kellergasse 1-2. So stand es immer noch auf seinen Türen geschrieben. Feuersbrunn liegt am Wagram, gehört zur Marktgemeinde Grafenwörth und ist einer der ältesten und bedeutendsten Weinbauorte in Niederösterreich. Wikipedia ist weiter zu entnehmen, dass in Feuersbrunn 595 Einwohner in 209 Häusern leben. Es ist also etwas größer als mein Dorf, wo nur 350 Alte leben. Ob Feuersbrunn noch einen Leichenwagen hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Der 50 Jahre alte Mercedes leistet zumindest noch treue Dienste hier. Gut, angesprungen ist er erst beim zehnten Mal. Und die Vorrichtung, mit der man den Sarg einst aus dem Wagen herausziehen konnte, ohne ihn dabei anheben zu müssen, die funktioniert auch nicht mehr. Aber das ist normal in Bulgarien. Und es korrespondierte auch mit Oma Milkas Sarg, dessen Deckel partout nicht passen wollte. Er war zu klein. Dafür gab es einen Popen, der für Oma Milka die Messe las. Danach begann der übliche Leichenschmaus unter einem offenen Unterstand auf dem Friedhof. Das war der Moment, als ich das Begräbnis verließ. Ich habe Oma Milka die letzte Ehre erwiesen, habe sie noch einmal auf ihrem Totenbett gesehen. Sie ist den Weg alles Irdischen gegangen.
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Obiges aktuelles Grafitto aus Sofia mit der Aufforderung, seinem Führer zu folgen, zeigt einen Mann, der sich selbst eine Kugel durch den Kopf jagt. Meine erste Assoziation war „Don’t follow leaders – Watch the parkin‘ meters“ (1:30) aus dem Song „Subterranean Homesick Blues“, was auf deutsch „Unterirdischer Heimweh-Blues“ heißt, von Bob Dylan. Als nächstes musste ich an Karl Lauterbach und seine Impfkampagne denken, die er mit einer Pressekonferenz eröffnete, wo Margarete Stokowski als letztes Aufgebot, der „Volkssturm“ sozusagen, neben ihm saß. Das letzte Aufgebot deswegen, weil Margarete Stokowski mehrfach geimpft ist, aber trotzdem schwer erkrankt ist, angeblich an Corona. Angeblich deswegen, weil Margarete Stokowski nicht auf die Idee kommt, dass es sich bei ihrer Erkrankung einfach um einen Impfschaden, also um „Post-Vac“, handeln könnte. Wer sie darauf hinweist, wird von ihr in den „Sozialen Netzwerken“, wohl eher „asozialen Netzwerken“, „gecancelt“. So ist es dem Juristen Milosz Matuschek ergangen, der lange Zeit Kolumnist bei der Neuen Zürcher war. Margarete Stokowski wird sich also aller Voraussicht nach erneut impfen lassen. Früher hätte man sie eine „Unbelehrbare“, eine „Hundertfünfzigprozentige“ genannt. In Bulgarien ist das Impfen bereits vor über einem Jahr ins Stocken geraten. Seither liegt die Impfquote unverändert bei 30 Prozent. Dazu muss man wissen, dass das die offiziellen, besser „offiziellen“, Zahlen sind. Da nicht wenige Bulgaren sich die Impfung „gekauft“ haben, dürfte die wahre Quote eher bei 20 Prozent liegen, wenn überhaupt. Heute fiel nun folgender Satz im Bulgarischen Nationalradio „Christo Botew“, der diesem Beitrag auch seinen Titel gibt: „Am vergangenen Tag hat sich niemand impfen lassen.“ (10:17) Schon oft habe ich über dieses Radio geschrieben, und dass man dort wirklich alles sagen darf, im Gegensatz zu den Öffentlich-Rechtlichen Medien in Deutschland. Aber vielleicht irre ich mich auch. Möglicherweise wird dort auch den Deutschen mitgeteilt, wenn niemand im Land sich mehr impfen lässt – trotz Lauterbachs Impfkampagne und Margarete Stokowski, also „Gottes Werk und Teufels Beitrag“, mit anderen Worten. Wenn jemand etwas dazu sagen möchte, dann immer her damit, am besten als Kommentar, damit es andere auch lesen können. Und dann würde mich noch interessieren, was in Deutschland passiert wäre, also wie die Polizei reagiert hätte, wenn Demonstranten dort Eier auf den Sitz des Europäischen Parlamentes geworfen hätten wie am Samstag in Sofia. Auch da bin ich gespannt auf Eure Meinungen und Statements. Vielen Dank im Voraus!
Foto&Text TaxiBerlin
Gestern gab es in der bulgarischen Hauptstadt einen Protest gegen den Euro, der 2024 im Land eingeführt werden soll. In diesem kurzen Beitrag soll es nicht um das Pro und Kontra dazu gehen, sondern um die Stimmung auf dem Protest, an dem knapp 3.000 Menschen teilnahmen. Ich habe kurzfristig und durch Zufall von ihm erfahren. Um 8 Uhr morgens erhielt ich den Anruf eines Bekannten aus Montana, der mir eine Mitfahrgelegenheit anbot. Zu dem Zeitpunkt war ich bereits in Sofia, aber aus anderen Gründen. Der Protest, der vor dem bulgarischen Parlament und im Schatten des Reiterdenkmals begann, wo es mehrere Ansprachen gab, führte über das bulgarische Finanzministerium zum Sitz des Europäischen Parlamentes in der Rakowski Straße, in der auch einst meine Oma wohnte.
Auf dem Weg wurden die Demonstranten von Menschen auf Balkonen bzw. vom Fenster aus von Einwohnern der Stadt Sofia unterstützt, beispielsweise von diesen Studenten der Staatlichen Schauspielschule. Dazu muss man wissen, dass die Demonstration von der Partei „Wiedergeburt“ organisiert wurde, die in Deutschland immer als nationalistisch, wenn nicht gar ultranationalistisch bezeichnet wird.
Vor dem Sitz der Europäischen Kommission wurde eine Mülltonne mit der Europafahne beklebt und eine Handvoll Bengalos (rote und auch weiße) gezündet, was die Polizisten aber unbeeindruckt ließ. Und nicht nur das. Die Ordnungshüter machten darüber hinaus den Eindruck, nicht nur Verständnis für die Protestierenden und ihren Protest zu haben, sondern ihn insgeheim auch gutzuheißen.
Den obersten Ordnungshüter, das ist der Herr mit den zwei goldenen Sternen auf den Schulterstücken, kenne ich mittlerweile persönlich. Wir haben uns per Handschlag begrüßt und uns nach dem Befinden des jeweils anderen erkundigt, während er sein Walkie-Talkie am Ohr hatte. Wie man sieht, ließ auch ihn der Rauch der Bengalos unbeeindruckt.
Der Mann ist einfach eine Frohnatur, der immer guter Dinge ist. Seine Uniform trägt er aus Verbundenheit zu seinen Untergebenen, wie er mir mal erzählt hat.
An der guten Protest-Stimmung, sowohl bei der Polizei, als auch bei den Protestierenden, änderte auch nichts, dass Geldscheine verbrannt wurden, und zwar sowohl kleine,
als auch große.
Und auch nicht, dass ebenfalls Klopapier (ausgerechnet Klopapier)
und am Ende sogar Eier auf das Gebäude geworfen worden.
Der Protest verlief absolut friedlich, niemand wurde verhaftet, und die Eier liegen jetzt noch vor dem Eingang des Gebäudes. Ich bin heute extra nochmal vorbeigelaufen, um sicher zu gehen.
Fotos&Text TaxiBerlin