Bericht aus Bulgarien (251) – „Berg Athos“

Blick vom Balkon

Der Grund, dass ich im Norden Griechenlands, also in Mazedonien bin, ist in gewisser meine Frau, die Amerikanerin ist. Obwohl wir verheiratet sind, muss sie Bulgarien spätestens nach 90 Tagen verlassen, da sie nur über ein Touristenvisum verfügt, und das, obwohl sie einen unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland hat. So viel zur EU. Auch meinem bulgarischen Freund Martin, er ist mit einer Russin verheiratet, erging es nicht besser. Er musste mit seiner Frau von Sofia aus nach Nisch in Serbien fahren, um für sie beim dortigen bulgarischen Konsulat ein so genannten Visa „D“ (das „D“ steht für „Dauer“) zu beantragen. Das kann man nur im Ausland machen und nicht in Bulgarien selbst. Da meiner Frau für diesen Antrag das wichtigste Dokument fehlt, und zwar ihr „Führungszeugnis“ aus Deutschland, ohne das der Antrag nicht bearbeitet wird, und auch weil mein bulgarischer Freund Konstantin uns hier seine Ferienwohnung angeboten hat, haben wir uns für Mazedonien entschieden. Wir haben die Entscheidung nicht bereut, immerhin blicken wir von seinem Balkon auf den berühmten Berg Athos. Es hätte wahrlich schlimmer kommen können. Meine Frau muss sich nun entscheiden, ob sie die nächsten drei Monate hier verbringt oder woanders. Nach Berlin zieht auch sie derzeit nichts zurück. Sie ist auch in den letzten beiden Jahren viel gereist, so war sie in Texas, auf Sizilien, in Süd-Frankreich und in Turin gewesen. Nirgendwo haben die Menschen so viel Angst wie Deutschland, so ihr Eindruck. Das Land der Dichter und Denker wird es also eher nicht sein. Jedenfalls darf sie erst in drei Monaten wieder nach Bulgarien einreisen. Ich werde mich Ende Oktober alleine auf den Weg zurück in die ärmste Region machen und ein paar Tage auf der Eselfarm meines Freundes Konstantin in Süd-Bulgarien verbringen, dem neben der Eselfarm auch die Ferienwohnung hier in Griechenland gehört.

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Bericht aus Bulgarien (250) – „Allein sein“

Mein Strand

Am meisten genieße ich das Alleinsein hier im Norden Griechenlands, die Region heißt Mazedonien, und natürlich auch die Ferienwohnung meines bulgarischen Freundes, wo außer mir niemand ist. Das hat dieser Ort gemeinsam mit meinem Ort im Norden Bulgariens. Dort bin ich auch meistens alleine, obwohl ich offiziell nicht nur zu einem Dorf gehöre, sondern der Teil des Dorfes, wo meine Hütte steht, das alte Dorfzentrum ist. Allein sein heißt nicht Einsam sein – das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Ich will nicht sagen, dass ich eine Menschenallergie entwickelt hätte, aber ein wenig Abstand zum Menschen kann manchmal gut tun, insbesondere wenn diese dabei sind ihren gesunden Menschenverstand zu verlieren. Den gesunden Menschenverstand verlieren kann auch ansteckend sein. Das passiert, wenn es gefährlich wird, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Sich seines eigenen Verstandes zu bedienen fällt leichter, wenn man sich vom Irrsinn, den die Masse befallen hat, fern hält. Das ist meine Erfahrung. Gerade frage ich mich aber, ob auch ich in einem „Safe Space“ lebe, wie die Woken in der Heimat. Irgendwie schon, so denke ich. Andererseits habe ich aber immer weniger Angst, meinen „Safe Space“ zu verlassen. Gestern beim Besuch des Geburtsortes von Aristoteles fragte ich mich nun, ob vielleicht die Woken demnächst gezwungen werden, ihren „Safe Space“ zu verlassen, weil sie in den Krieg ziehen müssen. Seitdem Deutschland wegen seiner Waffenlieferungen Kriegsteilnehmer geworden ist, ein nicht mehr auszuschließendes Szenario. Und überhaupt: Wer immer lauter nach Waffenlieferungen brüllt, muss irgendwann selbst eine in die Hand nehmen. Das ist nicht schön, aber nur fair.  Gerade stelle ich mir vor, wie Woke ihre „Safe Space“ Blase verlassen, aber nicht etwa zum kalt Duschen, was schlimm genug wäre, sondern weil sie an die Front sollen. Das ist keine schöne Vorstellung. Schreckliche Szenen spielen sich ab. Es ist nicht zum Aushalten. Ich muss aufhören.

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Bericht aus Bulgarien (249) – „Tapfer und großzügig“

Unweit der Ferienwohnung meines bulgarischen Freundes befindet sich der Geburtstort von Aristoteles, den ich heute aufgesucht habe. Bevor ich dazu komme, rasch ein paar Worte zu Griechenland, wo ich das letzte Mal vor gut zehn Jahren war, und damals auch nur durchgefahren bin auf meinem Rückweg von der Türkei. Gerade ist Nachsaison und dementsprechend ruhig ist es vermutlich nicht nur hier im Norden, in Mazedonien. Alle sind sehr freundlich und hilfsbereit, was ich gar nicht gewohnt bin. In meiner Region im Nordwesten Bulgariens haben die meisten Menschen chronisch schlechte Laune, so wie in Berlin. Nicht hier, was auch an der gerade zu Ende gegangenen Saison liegt, die sehr gut gewesen sein soll, wie mir ein Einheimischer versicherte. Die Preise sind mehr oder weniger wie in Deutschland, oder mit anderen Worten: alles ist praktisch doppelt so teuer als in Bulgarien.

Die Landschaft von Aristoteles‘ Geburtsort hat mich sogleich an Big Sur am Pazifik in Kalifornien erinnert, wo sich Henry Miller nach seiner Rückkehr aus Europa zum Schreiben zurückgezogen hatte. Ich war schon drei oder viermal in dem Ort am legendären Highway One zwei oder drei Stunden südlich von San Francisco.
Erdbeeren an Bäumen habe ich noch nie zuvor gesehen, geschweige denn probiert. Sie sind wirklich sehr lecker, so dass ich den Geburtsort von Aristoteles nicht nur wegen der Aussicht, sondern auch wegen seiner Früchte sehr empfehlen kann.

Nun zu Aristoteles selbst, über den es viel zu sagen gäbe, beispielsweise dass er ein Universalgelehrter war und als solcher wert aufs Disputieren legte, was leider in letzter Zeit etwas aus der Mode gekommen ist. Persönlich und auch ganz aktuell ist mir seine Tugendlehre wichtig, nach der der Mensch weder feige noch tollkühn, sondern tapfer, weder geizig noch verschwenderisch, sondern großzügig sein sollte.

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Bericht aus Bulgarien (248) – „Ohne Symptome und gesund“

Bitte um RUHE – Schild in ATLANTIS 

Mein LBB (Long Bacillus Bulgaricus) ist völlig symptomlos. Theoretisch und auch praktisch bin ich gesund. Das Anbringen der Schilder mit der Bitte um RUHE in deutscher Sprache war also gar nicht nötig. Ich muss auch nicht um fünf Uhr aufstehen und mit einem Badetuch meine Liege reservieren, wie das Deutsche gerne machen. Das liegt nicht daran, dass ich nur halber Deutscher bin, sondern dass ausser mir niemand hier ist. Und somit auch kein Arzt, der herausfinden könnte, was ich habe. Denn heutzutage gibt es keine gesunden Menschen mehr. Wer sich heute noch gesund wähnt, ist nur noch nicht richtig untersucht worden.

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Bericht aus Bulgarien (247) – „LBB“

ΑΤΛΑΝΤΙΔΑ – ATLANTIS

Erst dachte ich, es läge daran, dass ich dieses Jahr nicht am Schwarzen Meer war. Dann stellte sich heraus, dass ich LBB habe, also Long Bacillus Bulgaricus. Jedenfalls brauchte ich eine Ortsveränderung, und die habe ich in Griechenland gefunden. Das dortige Mittelmeer ist für mich näher als die bulgarische Schwarzmeerküste. Dafür ist der Krieg etwas weiter weg. Ein guter Freund hat mir seine Ferienwohnung zur Verfügung gestellt. Sein Refugium heißt auf griechisch „ΑΤΛΑΝΤΙΔΑ“ (auf deutsch „ATLANTIS“) und liegt direkt am Meer unweit des Geburtsorts von Aristoteles in Mazedonien. Es ist wichtig – auch und gerade in diesen Zeiten – gute Freunde zu haben. Meinen bulgarischen Freund und mich verbindet, dass wir beide verrückt nach Eseln sind. Eselverrückte sind immer gute Leute, das ist meine Erfahrung. Für meinen Rückweg nach Bulgarien hat er mich auf seine Eselfarm eingeladen. Wann das genau sein wird, lässt sich im Moment nicht sagen, was auch daran liegt, dass es praktisch keine Heilung gibt vom Bacillus Bulgaricus. Wer ihn einmal in sich trägt, der wird ihn sein Lebtag nicht mehr los.

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Wie Haltungsjournalismus funktioniert

und Haltungsjournalisten sind keine Journalisten

Ich erfahre gerade vom ehemaligen Nachrichtenmagazin, dass wieder Tausende Ostdeutsche gegen die Energiepolitik der Bundesregierung demonstrieren. Warum man in Hamburg über Randgruppen berichtet ist unklar, denn das Innenministerium kündigt genaue Zahlen erst für Dienstag, also für heute, an, wie ich aus dem zweiten Absatz erfahre. Dies bedurfte offensichtlich einer Wiederholung, denn im vierten Absatz erfahre ich noch einmal, dass die Polizei genaue Zahlen zu den Teilnehmern am gestrigen Abend nicht nannte. Nichts genaues weiß man also nicht – vielleicht das wichtigste Merkmal von Haltungsjournalisten überhaupt. Bloß nichts wissen, dafür aber immer die richtige Haltung haben. Trotzdem wird es noch interessant, denn der folgenden Satz beginnt mit „Allerdings“, wobei für mich als Leser zunächst unklar ist, worauf sich dieses „Allerdings“ bezieht. Auf die Teilnehmerzahl kann es sich nicht beziehen, denn die ist – wie ich mehrfach erfahren musste – nicht bekannt. Beim Lesen des ganzen Satzes: „Allerdings seien die Proteste weitestgehend ruhig verlaufen, sagte ein Polizeisprecher in Sachsen.“ wird klar, dass sich „Allerdings“ auf „ruhig verlaufen“ bezieht und ein Bedauern des Haltungsjournalisten, sein Name ist nicht angegeben, zum Ausdruck bringt. Ehrlicher wäre gewesen, er hätte „leider verliefen die Proteste friedlich“ geschrieben. Denn der Wunsch des Haltungsjournalisten war offensichtlich ein anderer, vermutlich das Gegenteil von „ruhig“. Ihm kann dies persönlich auch egal sein, er war sowieso nicht vor Ort beim Protest. Immerhin gibt es die deutsche Sprache, die immer mit im Spiel und darüber hinaus so genau ist, dass sie den enttarnt, der sie nicht richtig beherrscht – den Haltungsjournalisten.

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Bericht aus Bulgarien (246) – „Auswandern“

Junge Frau in Sofia
Der Sohn meines Nachbarn, er hat einige Jahre in Deutschland gearbeitet und besitzt auch eine Wohnung in der Nähe von Frankfurt am Main, war sich bereits vor zwei Jahren sicher, dass demnächst viele junge Deutsche ihre Heimat verlassen und einige auch nach Bulgarien kommen würden. Auch wenn das Szenario in dem Moment noch unvorstellbar war, wollte ich es nicht nur nicht ausschließen, sondern hielt es für absolut möglich und auch wahrscheinlich. Zunächst sind einmal so einige junge Bulgaren in ihre Heimat zurückgekehrt, insbesondere aus Deutschland und Österreich, wo die Folgsamkeit der Menschen am größten und der gesunde Menschenverstand dementsprechend am schnellsten abhanden gekommen ist seit Corona. Ich habe mit einigen Zurückkehrern gesprochen, nicht nur auf der Veranstaltung von David Engels, sondern auch auf den zahlreichen Protesten in Sofia, bei denen ich als Zeitzeuge zugegen war. Neulich las ich nun den Artikel Ein Land zum Davonlaufen“ von Roberto J. De Lapuente auf Rubikon. Der Artikel ist sehr persönlich, er handelt davon, wie der Autor Abschied von seiner Tochter nimmt, die nach Portugal geht, also auswandert. Da ich mit Roberto schon zuvor einen Austausch per e-mail hatte, und ich auch gerne seine Artikel lese, schrieb ich ihm kurzerhand, um ihm zu seinem gelungenen Artikel zu gratulieren. In seiner Antwort brachte Roberto seine Hoffnung zum Ausdruck, dass seine Tochter eines Tages zurückkommt, weil das Leben in Deutschland wieder lebenswert geworden ist. Das fand ich gut, es hat mir sofort gefallen, auch weil ich es selbst gar nicht auf dem Schirm hatte, weil seit Jahren der Weg Deutschlands ein anderer ist, und zwar zum Weglaufen. Das bedeutet aber nicht, dass ich als halber Deutschland nicht leiden würde deswegen. Ganz im Gegenteil. So, wie es momentan dort aussieht, bereitet es mir sogar körperliche Schmerzen. Dass ich diese Schmerzen empfinde, empfinden kann und auch muss, bedeutet, dass mir meine alte Heimat wichtig ist. Wäre sie mir egal, würde ich wohl kaum leiden. Nur, und dafür bin ich Roberto dankbar, habe ich bisher an eine Rückkehr nach Deutschland gar nicht gedacht gehabt, einfach weil es mit meiner alten Heimat seit Jahren nur in eine Richtung geht, und zwar abwärts. Das kann und wird sich eines Tages ändern, da bin ich mir auch nach Robertos Antwort sicher, nur eben nicht morgen oder übermorgen. Wann dies sein könnte, darauf hat mich der Artikel „In der Wahrheit leben“ von Michael Meyen ebenfalls auf Rubikon gebracht. Der Professor für Kommunikationswissenschaft an der LMU München, der neulich meinen Artikel „Wir haben den Leuten eine Lüge verkauft“ auf Multipolar kommentiert hat, meint in seinem Artikel über Vaclav Havel, dass wir uns in dessen Zeitachse gerade bei 1978 befinden würden, und dass sogar frühestens. Mit anderen Worten: Uns stehen einige Jahre bevor, bis wir ein erneutes 1989 erleben. Wir werden also noch viele insbesondere junge Menschen auswandern oder, wie im Falle Bulgarien, in ihre alte Heimat zurückkehren sehen. Der Rest, also die in der alten Heimat Verbliebenen, muss versuchen, die Nerven zu behalten und die Ruhe zu bewahren.
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