Bericht aus Bulgarien (205) – „Die Goldenen Zwanziger“

Die zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts werden gerne die Goldenen Zwanziger genannt, obwohl sie für viele gar nicht so Golden waren, sondern eher das Gegenteil, denn durch die Inflation haben ganz viele alles verloren. Die zwanziger Jahre jetzt, die für einige wenige auch Golden sind, haben das Potenzial, dass sich für die allermeisten das Szenario von vor hundert Jahren wiederholen könnte. Ich schreibe das nicht, um irgendjemandem Angst zu machen. Das Angst und Panik machen haben schon andere übernommen. Nein, ich schreibe das, weil dieser geschichtliche Rückblick heute bei den Überlegungen einer meiner Sponsoren eine Rolle gespielt hat. Bei den Anonymen Alkoholikern hatte ich keinen Sponsor, obwohl diese dort durchaus üblich sind, aber in den Schluchten des Balkans. Mein Sponsor ist in Deutschland und erwähnte Überlegungen ließen ihn zu dem Schluss kommen, mir prompt das Geld für die Reparatur meines Autos zukommen zu lassen. Den Besuch der Werkstatt, zu der mich am gestrigen Sonntag mein Bürgermeister begleitet hat, und die Diagnose des Maistors, habe ich hier beschrieben. Ich habe den Wagen in der Werkstatt gelassen und heute den ganzen auf den Anruf des Maistors gewartet, was zu zahlreichen Beiträgen hier auf meiner Seite geführt hat.Da mein Bürgermeister nach Montana gefahren ist heute, musste ich zur Fuß zur Werkstatt gehen und meinen Wagen abholen. Wäre er im Dorf gewesen, hätte er mich mit Sicherheit gefahren. Ein Taxi kann ich mir nicht leisten, und zu mir den Berg hoch würde auch keines kommen. Obiges Foto, auf dem gleich drei Taxis zu sehen sind, ist vor wenigen Tagen in Sofia entstanden – im Hintergrund das Vitosha-Gebirge. Mein Wagen, er wird demnächst 20 Jahre alt, steht jetzt wieder vor meiner Hütte. Die Kohle meines Sponsors, bei dem ich mich an dieser Stelle noch einmal bedanken möchte, muss ich morgen noch umtauschen. Der Maistor hat gesagt, das wäre kein Problem. Euro wollte er nicht haben.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (204) – „Wiedersehen mit Claus Kleber“

Claus Kleber spricht den Text in obiger Doku. Dieses Wiedersehen ist für mich überraschend. Ich hatte ehrlich gesagt nicht gedacht, mir noch einmal Claus Kleber anzuhören. Aber das Leben ist voller Überraschungen, wie auch Bulgarien – das Land der Überraschungen. Doch zurück zur Doku, die deswegen überraschend ist, weil dort ganz offen zugegeben wird, dass das Motto von Uber, sozusagen das Uber-Motto: „Frag nicht nach Erlaubnis – Bitte lieber um Entschuldigung“ (6:30), für das ganze Silikon Valley zutrifft. Die „Uber Files“ sind eine solche Bitte um Entschuldigung. Entschuldigen sollen wir, dass jahrelang galt und möglicherweise bis heute gilt: „Wir sind verdammt nochmal illegal“ und „Wir haben den Menschen in Wahrheit eine Lüge verkauft.“ Für Uber selbst, und vermutlich für alle Unternehmen im Silikon Valley, gilt, dass dies „unentschuldbar“ ist. Was sich wie ein Widerspruch anhört, ist keiner, weil selbst die versprochene Entschuldigung ausbleibt – das ist Teil des Konzeptes. Manch einer mag das nicht verstehen. Ob ihm ein Chip aus dem Silikon Valley in seinem Gehirn helfen wird? Immerhin würde er die dortige Leere füllen. Man sucht nicht graue Zellen, sondern graue Zonen. Der Insider Chris Anderson formuliert es so: „Wir sind anders als der Rest der Welt, vor allem Europa. Dort fragt man erst um Erlaubnis, Regeln, Gehorsam usw. Wir verstoßen auch nicht gegen Regeln. Wir suchen Stellen, wo sie nicht klar sind. Graue Zonen. Zum Beispiel Uber und AirBnB …“. – Uber kommt übrigens vom deutschen Wort „Über“. Oder mit anderen Worten: Im Silikon Valley ist der umstrittene Über-Mensch am Werk. Für mich sieht es eher aus wie die Werkstatt von Frankenstein. Nur, was hat Claus Kleber, ein Transatlantiker, dagegen? Hat er etwa die Fronten gewechselt? Oder nur eine neue Geldquelle aufgetan. Darüber würde ich gerne mehr erfahren. Der Rest der Doku ist dagegen Schnee von gestern.
Stimme ClausKleber
Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (203) – „Der Desillusionist in Aktion“

Zur Sicherheit habe ich meine Urkunde, die meinen Abschluss als examinierter Krankenpfleger attestiert (meine Ausbildung durchlief ich am Universitätsklinikum „Johann Wolfgang Goethe“ in Frankfurt am Main, aber das nur nebenbei), mit nach Bulgarien genommen, auch wenn ich erstmal mein Glück als „Desillusionist“ versuche. Dass ich meine Zukunft nicht in einem bulgarischen Krankenhaus sehe, liegt auch daran, dass ich viele Jahre raus bin aus dem Beruf, weil ich Taxi gefahren bin. Als ich im Juni in Deutschland war, hatte ich Gelegenheit, mit einer Krankenschwester zu sprechen, die wie Ricardo Lange auf Intensiv arbeitet. Damit sie keinen Shitstorm wie Ricardo Lange erleiden muss, schreibe ich nicht mehr über sie. Ich möchte so viel verraten, dass sie im Gespräch die Personal-Situation genauso beschrieben hat, wie Ricardo Lange dies in obigem Interview tut.
PS: Ricardo Lange bekam nach seinem Shitstorm u.a. auch Durchfall – Zufall?
Video RicardoLange
Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (202) – „Vorbereiten, aber wie?“

Kalt duschen im Winter – In Bulgarien bereits Realität

Ein wichtiges Thema in den Gesprächen, die ich mit Freunden und Bekannten führe, ist, wie es im Herbst weiter geht. Für mich ist es in gewisser Weise die Fortführung meiner Gespräche im Taxi, in dem man zwar nicht telefonieren durfte, dafür aber alles sagen – sogar die Wahrheit. Diese Gespräche im Taxi gehören der Vergangenheit an, sind sozusagen Geschichte, weil ich Uber-Corona-bedingt meine Arbeit als Taxifahrer verloren habe. Meine letzte Schicht, sie war Anfang März 2020, liegt über zwei Jahre zurück. Aus meinen aktuellen Gesprächen mit Freunden und Bekannten weiß ich, dass nicht alle Menschen einen so intensiven Austausch pflegen. Es soll auch solche geben, die bestimmte Thema aussparen, beispielsweise Corona, die Maßnahmen oder die Impfung. Bei manchen sollen diese Themen regelrecht tabu sein. Meine Gesprächspartner gehören nicht dazu, und trotzdem wissen auch sie nicht, wie es weiter geht, geschweige denn, wie sich sich auf das, was da auf uns zukommt, vorbereiten könnten. In Bulgarien sieht es da etwas anders aus. Hier bereiten sich vielen Menschen auf den Herbst und den kommenden Winter vor, indem sie jetzt schon Holz kaufen. Üblicherweise wird damit im September begonnen. Der Preis für Brennholz ist bereits um ein Drittel gestiegen, Tendenz weiter steigend. Auch in Deutschland gibt es Menschen, die sich vorbereiten. Sie kaufen aber kein Holz, sondern Diesel-Generatoren, mit denen sie im Winter heizen wollen. Oft sind es Klima-bewegte und Welt-retten-wollende Aktivisten, die sich jetzt solche stinkenden Generatoren in den Keller stellen, gegen dessen Gebrauch sie gestern noch auf die Straße gegangen sind. Im Sommer mag sich „Kalt Duschen für den Frieden“ gut anhören – im Winter sieht die Welt da schon anders aus. Das wissen auch sie, die immer noch denken, dass am deutschen Wesen die Welt genesen soll. Auch das Innenministerium in Berlin bereitet sich vor. Volksverräterin des Inneren Nancy Faeser ließ neulich verlauten: „Wir sind vorbereitet, auch auf mögliche neue Protestgeschehen.“ – Es stellt sich die Frage, auf WAS genau man sich WIE vorbereitet im Innenministerium gegenüber vom Berliner Hauptbahnhof. Kauft man neue Schlagstöcke, neue Wasserwerfer? Richtet man neue Verhaftungsstraßen ein oder baut man gar neue Gefängnisse? Denn Proteste sind praktisch garantiert. Schon jetzt wollen 44 Prozent der Deutschen im Herbst auf die Straße gehen. Ihre Zahl dürfte in den nächsten Wochen und Monaten weiter zunehmen. Die Frage nach der Vorbereitung ist auch deswegen von Interesse, weil, wie bereits erwähnt, keiner meiner Gesprächspartner in der Heimat sie derzeit für sich beantworten kann. Ich habe mich schon im letzten Jahr vorbereitet, indem ich im Sommer einen neuen Ofen, mit dem ich auch Brot backen kann, im Angebot gekauft habe. Holz für meinen Ofen habe ich auch noch genug, der halbe Stall ist voll Brennholz, weil ich in der Vergangenheit nur im Sommer hier war und deswegen kaum heizen musste. Aktuell trockne ich Kräuter, aber auch Brennesseln, um mir im Winter Tee daraus zu machen. Im Garten habe ich Tomaten angepflanzt, die langsam aber sicher reif werden. Da es mehr sind, als ich verbrauchen kann, werde ich einen Teil an meine Nachbarn verschenken und den Rest für den Winter einmachen. Im Herbst werde ich auch wieder Gemüse einlegen, man bekommt es dann auf dem Basar praktisch nachgeworfen. Außerdem versuche ich Strom zu sprachen, da dieser seit 1.Juli in Bulgarien teurer geworden ist. Meinen Boiler habe ich schon seit Monaten nicht eingeschaltet. Entweder nutze ich meine Sommerdusche oder gehe in mein eigenes Mineralbad im Wald (Foto). Dort kommt das Mineralwasser permanent mit gut 30 Grad aus der Erde. Ich kann also auch im Winter nicht nur warm duschen, sondern sogar warm baden gehen.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (201) – „Träumen mit Thomas Bernhard“

„Straße der Pariser Kommune“
früher Friedrichshain / heute Friedrichshain-Kreuzberg

„Wenn du Deutschland liebst, dann besuche es lieber nicht.“ Jorge Luis Borges

Dass Heinrich Heine nachts nicht schlafen konnte, wenn er an Deutschland gedacht hat, das ist bekannt. Dass der österreichische Autor Thomas Bernhard von Deutschland geträumt hat, das wissen schon weniger. Dass es sich dabei um apokalyptische Alpträume gehandelt hat, ist wiederum keine Überraschung, allerdings nur für diejenigen, die schon einmal etwas von dem Autor aus Österreich gelesen haben. Da die deutschen Alpträume des Österreichers Thomas Bernhard sehr meinen eigenen Träumen gleichen, veröffentliche ich sie nachfolgend :

„Ich träumte von Deutschland mit solcher Intensität, weil ich daraus geflohen bin, von Deutschland als von dem hässlichsten und lächerlichsten Land der Welt. Alles, was die Menschen in diesem Land immer als schön und bewundernswert empfunden haben, war nur mehr noch hässlich und lächerlich, ja immer nur abstoßend und ich fand nicht einen einzigen Punkt in diesem Deutschland, der überhaupt akzeptabel gewesen wäre. Als eine perverse Öde und eine fürchterliche Stumpfsinnigkeit empfand ich Deutschland. Nur grauenhaft verstümmelte Städte, eine nichts als abschreckende Landschaft und in diesen verstümmelten Städten und in dieser abschreckenden Landschaft gemeine und verlogene und niederträchtige Menschen. Es war nicht zu erkennen, was diese Städte so verstümmelt, diese Städte so niederträchtig, das Eine wie das Andere so abschreckend auf eine totale tödliche Weise, müssen Sie wissen. Sah ich Menschen, hatten sie nur gemeine Fratzen, wo sie ein Gesicht haben sollten, machte ich Zeitungen auf, musste ich an dem Stumpfsinn und an der Niedertracht, die darin abgedruckt war, erbrechen, alles was ich sah, alles was ich hörte, alles, das ich wahrnehmen musste, verursachte mir Übelkeit.

Zu wochenlangem Sehen und Hören dieses widerwärtigen Deutschlands war ich verurteilt, bis ich schließlich aus Verzweiflung über dieses tödliche Hören und Sehen bis auf die Knochen abgemagert war; ich hatte vor Widerwillen gegen dieses Deutschland keinen Bissen mehr essen, keinen Schluck mehr trinken können. Ich sah, wo ich auch hinschaute, nur Hässlichkeit und Gemeinheit, eine hässliche und verlogene Natur und hässliche und gemeine und verlogene Menschen, das absolut Schmutzige und Gemeine und Niederträchtige dieser Menschen. Und glauben Sie nicht, dass ich nur die Regierung und nur die sogenannte Oberschicht dieses Deutschlands gesehen habe, alles Deutsche war mir aufeinmal das Hässlichste, das Dümmste, das Abstoßendste. In schwergeschädigtem Zustand setzte ich mich schließlich, nachdem ich mehrere Male durch dieses hässliche und gemeine und dumme Deutschland gelaufen war, auf meine atemlose Art, auf einen Trümmerhaufen auf dem Berliner Teufelsberg, von wo ich auf die von ihren Bewohnern total abgestumpfte und von den Architekten total vernichtete, aber noch immer in ihrem perversen Größenwahn schmorende Stadt Berlin hinunterschaute.

Was haben die deutschen Menschen in nur vierzig oder fünfzig Jahren aus diesem europäischen Juwel gemacht?, dachte ich, auf dem Trümmerhaufen sitzend. Eine einzige Architekturscheußlichkeit, in welcher die Berliner als nihilistische Juden- und Ausländerhasser in ihrer schauerlichen Leder- und Lodentracht zu Zehntausenden hin- und herrannten. Auf dem Trümmerberg auf dem Berliner Teufelsberg musste ich sozusagen aus Welterschöpfung eingenickt sein, denn ich wachte aufeinmal auf dem Frankfurter Feldberg auf. Und stellen Sie sich vor, was ich vom Feldberg aus, nachdem ich aufgewacht war, zu sehen bekommen habe, nicht auf dem Trümmerhaufen wie auf dem Berliner Teufelsberg, sondern auf einer morschen Holzbank oberhalb der sogenannten Taunusstraße: dieses ganze widerwärtige, schließlich nurmehr noch bestialisch stinkende Deutschland mit all seinen gemeinen und niederträchtigen Menschen und mit seinen weltberühmten Kirchen- und Kloster- und Theater- und Konzertgebäuden ist vor meinen Augen in Flammen aufgegangen und abgebrannt.

Mit zugehaltener Nase, aber mit weit aufgerissenen Augen und Ohren und mit einer ungeheuerlichen Wahrnehmungslust habe ich es langsam und mit der größtmöglichen theatralischen Wirkung auf mich abbrennen gesehen, solange abbrennen gesehen, bis es nurmehr noch eine zuerst gelbschwarze, dann grauschwarze stinkende Fläche aus klebriger Asche gewesen ist, sonst nichts mehr. Und als ich von der deutschen Regierung, die, wie Sie wissen, immer die dümmste Regierung auf der Welt gewesen ist, und von den deutschen Professoren, der immer die gefinkeltsten auf der Welt gewesen sind, auch nurmehr noch kaum erkennbare christlich-soziale und katholische und protestantische Reste gesehen habe in dieser stinkenden grau-schwarzen Brandöde, atmete ich, wenn auch hustend, so doch erleichtert auf.

Ich atmete so erleichtert auf, dass ich aufgewacht bin. Zu meinem großen Glück in Bulgarien, in jenem Land, das mir aus allen Gründen von allen Ländern das nächste und also das liebste ist, wie Sie wissen. Wenn dieses lächerliche Deutschland auch schon seit vielen Jahrzehnten nicht und in keinem Falle mehr der Rede wert ist, so ist es doch vor allem für Sie interessant, mein Herr, wie ich denke, dass ich selbst nach so vielen Jahrzehnten wieder einmal davon geträumt habe.“

Traum ThomasBernhard
Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (200) – „Sieben auf einen Streich“

Von Nikolai Wassiljewitsch Gogol (Vorsicht, Russe!!!)
Am Nationaltheater „Iwan Vasov“ in Sofia

Komme gerade von der Werkstadt. Mein Bürgermeister hat mich am heutigen Sonntag persönlich hinbegleitet, was hilfreich war, vor allem deshalb, damit ich die Werkstatt auch finde. Denn bei mir auf dem Dorf gibt es keine Öffnungszeiten, hier arbeitet jeder praktisch immer. Die Werkstatt gehört Ivo, der mich immer freundlich mit „Gutten Tack“ begrüßt. Jetzt weiß ich, dass Ivo nicht nur etwas Deutsch kann, sondern dass er auch eine eigene Werkstatt hat, dass er Maistor ist. Warum ich kommen würde, wollte er als erstes wissen, das Auto würde noch fahren. Dann fuhr er selbst ein kurzes Stück und hatte sogleich das Problem erkannt. „OK, die Bremsen quietschen und müssen gemacht werden“, als er das sagte, war der Wagen schon angehoben und beide Vorderräder abmontiert. Dann die Manschetten, die sind durch, und noch ein Teil, aber nur rechts, dessen Namen ich nicht weiß, das hat zu viel Spiel und muss erneuert werden. Die Diagnose von Ivo samt Abbau sämtlicher Teile dauerte keine zwanzig Minuten, in der er sich dreimal die Hände gewaschen und alles alleine gemacht hat. Ich fragte ihn, ob er keine Arbeiter hätte. Doch, die vier um ihn herum seien seine Mitarbeiter, aber er arbeite auch noch. Da saß Ivo schon am Computer und bestellte die Teile. Das Teil, dessen Namen ich nicht weiß, ist das teuerste. Das soll 140 Lewa (70 Euro) kosten. Der Rest 110 Lewa (55 Euro), für die Arbeit will er 100 Lewa (50 Euro). Klingt alles ganz OK für mich, aber ich hab’s im Moment nur in Euro. Auch das kein Problem für Ivo, er muss sowieso auf die Teile warten. Die kommen morgen früh, wenn nichts dazwischen kommt, ist der Wagen morgen mittag fertig. Nun hätte mich mein Bürgermeister, der immer noch da war, eigentlich zurück fahren können, aber das Gespräch kam jetzt auf Frauen. Dass meine aus Kalifornien kommt, rief Begeisterung und auch Pfiffe hervor. Ivo hatte ein Foto von ihr gemacht, er saß uns bei der Geburtstagsparty des Bürgermeisters gegenüber, das er jetzt zeigte. Ob ich Frauen aus Kalifornien besorgen könnte, war die nächste Frage. Wieviel denn, fragte ich zurück. Jetzt wurde durchgerechnet, und man kam auf sieben. Für meinen Bürgermeister, Onkel Emil, war auch eine dabei, und für den sympathischen Dicken, er heißt Svetli und ist LKW-Fahrer, der immer lacht, zwei. Also sieben, sagte ich, aber dann brauche ich einen Bus. Der Bus wäre kein Problem, den könnte man im Laufe der Woche klar machen. Ich fand die Idee gut, vor allem weil ich dann ein Ausweichauto habe, falls sich Ivo nicht als der große Maistor entpuppt, als der er mir erscheint. Jetzt muss ich nur noch die Puppen, Verzeihung, die Frauen finden. Amerika ist ein bisschen weit. Außerdem glaube ich, dass es auch Deutsche tun würden. Die Zeit, dass Bulgaren nach Deutschland gegangen sind, ist zwar noch nicht vorbei, aber es machen sich auch immer mehr Deutsche in der Gegenrichtung auf den Weg. Es ist also nicht ganz so abwegig mal anzufragen, wer eventuell auf halber Strecke von mir mit einem Bus abgeholt werden möchte, um sich einmal in den Schluchten des Balkans umzusehen. Wie gesagt, Öffnungszeiten gibt es praktisch keine bei mir auf dem Dorf, darüber hinaus kann ich einen Willkommens-Empfang beim Bürgermeister praktisch garantieren.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (199) – „Meine Universität ist die Straße – manchmal aber auch YouTube“

Bisher war die Straße meine Universität, auf der ich auch Martin, meinen besten bulgarischen Freund kennengelernt habe. Das ist jetzt ein Jahr her, und es war am einzig verbliebenen Buchstand in dem kleinen Park vor dem Hotel „Rila“ in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Dort war neulich auch mein erstes Business Treffen, und zwar auf dieser Sitz-Garnitur im Stadtteil „Drushba“, was auf deutsch „Freundschaft“ heißt. Der ein oder andere erinnert sich, „Freundschaft“, also „Drushba“, war auch der Gruß der Freien Deutschen Jugend, der FDJ, in der DDR. Jede Gesellschaft hat ihre ganz eigene Sprache. Und jede Sprache drückt etwas anderes aus. Das ist mir noch nie so klar gewesen wie gestern, als ich mir obiges Interview mit Juni angehört habe. Juni studiert und verdient neben ihrem Studium ihr Geld als Escort. Darüber, also über ihre Erfahrungen als Escort, wird sie in dem Interview befragt. Und sie spricht darüber, als wäre es ein Vortrag an einer Universität, wo sie ja auch ist. Juni studiert und kann sich sehr gut ausdrücken, ist eine gute Rhetorikerin. Das eine bedingt nicht automatisch das andere. Es macht Spaß ihr zuzuhören, auch wenn es am Anfang etwas verstörend sein mag, wie sie über das Thema Escort spricht. Denn es ist eben kein wissenschaftlicher Vortrag, sondern an erster Stelle ihre persönliche Geschichte. Und zu der gelingt es Juni mittels der deutschen Sprache so eine Distanz aufzubauen, dass ich dies als Kunst bezeichnen würde. Das heißt nicht, dass ich das gut finde. So ist es nicht. Aber ich denke, dass dies nur die deutsche Sprache leisten kann. Und das, obwohl „intim sein“, wie Juni es formuliert, überall auf der Welt dasselbe ist. Da gibt es keine körperliche Distanz, nirgendwo. – Falls du eine andere Meinung hast, dann lass es mich wissen. Dazu musst du dir das Interview mit Juni anhören, was ich nur jedem empfehlen kann. Denn so wie ich im Taxi von jedem Fahrgast etwas gelernt habe, selbst wenn es der größte Idiot war, den man sich vorstellen kann, so kann man manchmal auch von YouTube etwas lernen. Davon bin ich felsenfest überzeugt.
PS: Das wichtigste habe ich auch bei diesem Beitrag wieder einmal vergessen. Dadurch, dass ich vorzugsweise am Abend und in der Nacht gefahren bin, hatte ich als Taxifahrer Kontakt zu Prostituierten und auch zu Escortfrauen, denn natürlich habe ich mich mit ihnen unterhalten, so wie ich mich mit all meinen Fahrgästen unterhalten habe, sofern sie nicht ihre Ruhe haben wollten, auch das kam vor. Was Juni sagt, ist so gesehen nichts Neues für mich. Wie sie es sagt, aber schon
Interview EscortJuni
Text TaxiBerlin