Bericht aus Berlin (29) – “Schlimmer als bei den Kommunisten”
Rigaer Straße im Friedrichshain
heute Friedrichshain-Kreuzberg
Früher war das Verhalten Berliner Behörden seinen Bürgern gegenüber ein allgegenwärtiges “Leck mich!”. Es drückte sich unter anderem dadurch aus, dass man monatelang darauf warten musste, auf dem Bürgeramt die simpelsten Sachen erledigen zu können, beispielsweise eine Parkplakette zu beantragen. Einen Termin zu bekommen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Bis heute sind alle Termine auf die nächsten drei Monate ausgebucht. Weiter in der Zukunft können keine Termine gebucht werden im Internet. Früher konnte man mit etwas Glück noch telefonisch einen Termin bekommen. Das geht heute nicht mehr, weil die Telefonauskunft auch nur die freien Termine im Internet sieht, die man selbst auch sieht. Einfach eine halbe Stunde vor Öffnung des Bürgeramtes vor der Tür zu warten und als erster seine Angelegenheiten zu erledigen, ging früher, ist heute aber nicht mehr möglich. Will man jetzt einen neuen Reisepass beantragen, brauchte man bereits zwei Termine, den zweiten zur Abholung. Aus einer Formalität “neuer Reisepass” ist ein Happening geworden, besser: Russisch Roulette. Beschwert man sich, erhält man nun auch keine Antwort mehr, die man selbst von den Kommunisten bis zum Schluss bekam. Spätestens seit Corona gilt das Berliner “Leck mich!” für ganz Deutschland, und nicht nur auf den Bürgerämtern. Da heute immer alles Englisch sein muss, heißt es jetzt wie oben. Dass das neue Motto ausgerechnet an einer Schule, genauer an einem Gymnasium, bei mir im Kiez steht, spricht Bände. Wahrscheinlich muss man heute bereits erklären, was “spricht Bände” bedeutet.
PS: Neuerdings erreicht man auch telefonisch niemanden mehr auf den Ämtern.
Foto&Text TaxiBerlin