Bericht aus Bulgarien (273) – “Spätes Abendmahl”
So wie andere nach Feierband vorm Fernseher sitzen, stehen wir in der Küche und kochen zusammen. Hin und wieder setzt sich dabei einer von uns ans Klavier, auch in Ermangelung eines Fernsehers. Alles ist also gut, bis auf die Zeit der Esseneinnahme. In Bulgarien wird traditionell spät zu Abend gegessen. Auch das eines der vielen Dinge, die hier anders sind als in der Heimat. Dass ich es fast vergessen hatte, liegt aber nicht daran, dass ich die letzten drei Wochen in Griechenland war. Dass ich sie fast vergessen habe, liegt daran, dass ich zu hause in meiner Hütte in den Schluchten des Balkans diese bulgarische Tradition nicht pflege. Dort halte ich es mit der deutschen Gepflogenheit, nicht zu spät zu Abend zu essen oder sein Abendmahl sogar seinem Feind zu schenken. – Gerade frage ich mich, ob das mit dem Feind “beschenken” nicht wieder sehr deutsch gedacht ist, denn mit diesem Geschenk ist ja nichts Gutes, sondern was Schlechtes gemeint. Denn steht nicht geschrieben, dass man auch seine Feinde lieben und sogar denen Gutes tun soll, die einen hassen? Und dass man selbst um den Segen für die Menschen bitten soll, die einem Böses tun, und beten soll für alle, die einen beleidigen? – Manchmal ist es gut keinen Fernseher und kein Radio zu haben, ist mein Eindruck, denn dann hat man auch keine Feinde. Der Krieg in der Ukraine, an dem Bulgarien näher dran ist als Deutschland, ist hier praktisch kein Thema. Der Krieg ist aber nicht wie Corona der “Rosa Elefant” im Raum, über den keiner spricht, obwohl es eigentlich viel Redebedarf gibt. Nein, so ist es nicht. Den Krieg interessiert in Bulgarien deswegen keinen, weil weder der Russe, noch der Ukrainer Feinde sind für den Bulgaren. Deswegen erinnert der Krieg zwischen Russen und Ukrainer auch immer mehr an den jahrelangen Krieg zwischen dem Iran und dem Irak. Was war da eigentlich der Grund für diesen Krieg? Er will mir gerade nicht einfallen. Dafür dies: Wenn zwei sich streiten (bzw. Krieg führen), freut sich ein Dritter, so sagt es ein deutsches Sprichwort. – Der Bulgare ist es jedenfalls nicht.
Foto&Text TaxiBerlin