Bericht aus Bulgarien (323) – “Deutsche Schwermut”

Heute nachmittag

Am Nachmittag war endlich die Sonne herausgekommen, ich hatte sie seit über einer Woche nicht gesehen. Ich überlegte eine Wanderung zu machen, oder auch nur einen Spaziergang. Dann war plötzlich der Strom weg und mit ihm das Internet. Das nahm ich als Zeichen, das mich daran erinnerte, dass ich noch Holz machen muss. Ich zog meine Arbeitssachen an, holte die Motorsäge aus dem Keller und ging zum Stall. Lange hatte ich nicht mit der Motorsäge gearbeitet, so dass es galt, achtsam zu sein. Achtsam muss man in Bulgarien immer sein, aber bei einer Motorsäge besonders, insbesondere wenn man sie lange nicht benutzt hat. Nach eineinhalb Stunden hatte ich sieben Kisten mit Holz gefüllt. Das ist nicht viel, aber ein Anfang. Mit den sieben Kiste komme ich bis in die nächste Woche. Wie gesagt, ich wollte es nicht übertreiben. Ich brachte die Motorsäge zurück in den Keller und setzte mich hinter meiner Hütte auf die Bank, die mir ein Freund gebaut hat. Von der hatte ich diesen, obigen Ausblick aufs Gebirge. Die Sonne war gerade dabei unterzugehen. Irgendwann ging ich rein. Der Strom war immer noch weg. Ich entschied mich zu duschen, genug warmes Wasser hatte ich noch. Ich schalte den Boiler immer nachts an, dann ist der Strom um die Hälfte billiger, oder sogar mehr. Ich weiß es nicht genau, es ist aber nicht unerheblich. Nach dem Duschen wollte ich diesen Beitrag schreiben, aber es gab immer noch keinen Strom, obwohl es bereits nach vier war. Normalerweise kommt der Strom dann wieder, aber nicht heute. Ich begann zu lesen, dann wurde es zu dunkel zum Lesen. Was sollte ich tun, ohne Strom. Ich legte mich ins Bett. Im Zimmer war es kalt, aber im Bett dank eines Schaffells warm. Ich muss etwas eingenickt sein, denn ich hatte nicht mitbekommen, wann der Strom wiederkam. Normalerweise höre ich die Geräte, die ich gegen Siebenschläfer und Mäuse habe, die beim Einschalten piepen. Diesmal nicht. Mittlerweile war es dunkel geworden, die Sonne untergegangen. Ich machte mir etwas zu essen und hörte mir dabei diese Arte-Sendung über Romy Schneider an, die mich zu Tränen rührte. Romy Schneider erinnert mich immer an meine erste große Liebe, aus der nichts wurde, weil ihr Vater bei der Stasi war. Sie war Romy Schneider wie aus dem Gesicht geschnitten. Am Ende der sehenswerten Sendung erfuhr ich, dass jemand Romy Schneider die personifizierte deutsche Schwermut genannt hatte. Deutsche Schwermut. Ich weiß genau, was gemeint ist. Auch ich fühle diese deutsche Schwermut, auch wenn ich nur halber Deutscher bin.
PS: Habe mir gerade noch einmal das Ende der Doku angesehen und folgendes dort gefunden, das auch auf mich zutrifft: “Der ständige, totale Widerspruch”, was auch heißt: “immer absolut zu sein” – und auch: “man macht es sich nicht einfach”.
Foto&Text TaxiBerlin

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