Bericht aus Bulgarien (413) – “Njama Tok”

Bulgarisches Stillleben

Seit zwei Tagen wütet ein Orkan im Nordwesten Bulgariens. Das Epizentrum des Orkans ist mein Dorf, weswegen es jetzt auch in den Nachrichten des Staatlichen Nationalen Radios “Christo Botew” erwähnt wird. Mein Dorf kannte vorher schon jeder Bulgare, und zwar wegen der Mineralquelle im Zentrum, aber vor allem wegen meinem Bürgermeister. Aber selbst der konnte nicht verhindern, dass wir seit letzter Nacht keinen Strom (няма ток – njama tok) hatten. Als ich ihn heute Mittag traf, lachte er nur und sagte: “Das wird schon!”. Zwei Stunden später hatte ich wieder Strom, was eine Spitzenzeit ist. (Meine Schwiegermutter in Kalifornien war vor genau einem Jahr einen ganzen Monat ohne Strom.) Auch sonst bin ich wohlauf. Ein Ziegel auf meinem Dach liegt etwas queer, aber was soll’s! Es gibt schlimmeres. Heizen muss ich auch nicht, denn der Wind ist ein Fön, der aus dem Süden kommt und warme Luft mit sich bringt. Knapp 20 Grad waren es heute Mittag. Das Wetter meint es wirklich gut mit mir, mal abgesehen vom Gott des Windes. Warum der nun ausgerechnet in die ärmste Schluchten des Balkans so stark reinblasen muss? Hängt es vielleicht mehr mit der Polverschiebung als mit dem Klimawandel zusammen? Ist letzterer gar eine Folge von erstem? Bloß nicht daran denken und vor allem keine Frage stellen! Wenn man in Deutschland eines gelernt hat in den letzten Jahren, dann war es das. Niemand kann es ihnen aus dem Hirn blasen, nicht einmal der stärkste Wind. Auch ich kann meinen Landsleuten nur das weitergeben, was mein Bürgermeister zu mir sagte: “Das wird schon!”.

Foto&Text TaxiBerlin

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