Bericht aus Bulgarien (98)

Um kurz vor 18 Uhr habe ich gestern meinen Bürgermeister angerufen und ihn gefragt, wann ich mit Strom rechnen kann, woraufhin er „gleich“ gesagt hat. Kurz vor 19 Uhr hatte ich dann wieder Strom, ich war also keine 24 Stunden ohne Energieversorgung, was ich absolut in Ordnung finde. Die Verlässlichkeit meines bulgarischen Bürgermeisters gefällt mir gut, sie macht mir aber auch ein klein wenig Angst, denn sie ist so typisch Deutsch, was ich gar nicht mehr gewöhnt bin. Und dabei kann mein Bürgermeister die Deutschen nicht leiden. Verstehe mir einer den Bulgaren.

Sagte früher ein Bulgare „gleich“ zu einem, konnte man sicher sein, dass man nie wieder etwas von ihm hören oder gar sehen wird. Da hat sich einiges getan in Sachen Pünktlichkeit beim Bulgarien. Das kann man auf jeden Fall festhalten.

Gar nicht zu vergleichen mit dem Amerikaner, bei dem es nach einem lumpigen Sturm gleich mal einen ganzen Monat keinen Strom gibt. Gut, das war Ende letzten Jahres ein Schneesturm in Kalifornien. Das ist ein Unterschied. Aber der gestern in Bulgarien war auch nicht ohne. Bis zu 25 Meter in der Sekunde war der Sturm schnell hier. Das sind vier Sekunden für 100 Meter. Das wäre neuer Weltrekord, sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen, aber so schnell ist selbst der Bulgare nicht.

Später am Tag, ich hatte noch keinen Strom, störte der Anruf meines Berliner Bekannten meinen Mittagsschlaf. Seitdem er seinen Flug für nächsten Samstag nach Sofia gebucht hat, ist seine Depression wie weggeblasen. Heute hatte er allerdings einen Rückfall, da musste er in zwei Supermärkte in Berlin, wo er der einzige ohne Maske war. Obwohl das ab heute selbst in Deutschland wieder erlaubt ist, trägt der deutsche Michel weiterhin seine Gesichtswindel. Das hat ihn doch sehr mitgenommen, meinen Berliner Bekannten, was ich gut verstehen kann.

Ich war heute auch im Supermarkt, wo es nur einen Maskenträger gab. Also genau das umgedrehte Bild von Berlin. In Bulgarien ist wirklich vieles anders, und das meiste umgedreht. Vorher war ich an der OMV-Tanke, aber nicht wegen Sprit, sondern wegen Internet, das gibt es dort umsonst. Bei mir im Dorf gab’s keins wegen dem Stromausfall. Auf den Ösi ist, was das Internet angeht, verlass – im Gegensatz zur Impfpflicht. Auf dem Basar war heute auch eher tote Hose, vermutlich wegen dem Sturm. Immerhin keine Maskierten, nicht einen einzigen. Sind ja alle in Deutschland.

Nach meinem Mittagsschlaf, ich hatte immer noch keinen Strom, rief mich eine amerikanische Freundin aus Frankreich an, die eigentlich in Berlin lebt und neulich noch in Bulgarien war, weswegen sie alle drei Länder direkt vergleichen kann. Nirgendwo wäre die Angst größer als in Deutschland, sagt sie. Die German Angst, es gibt sie wirklich. (Auch als Buch, von Sabine Bode.)

Nachdem ich meinen Bürgermeister angerufen hatte und bevor der Strom wieder kam, bin ich in mein wildes Mineralbad im Wald gegangen. Am Vortag, nur wenige Stunden vor dem Sturm, habe ich die Kröte und den Salamander auf meinem Weg dorthin fotografiert. Beide waren wohl gerade dabei sich in Sicherheit zu bringen. Tiere spüren instinktiv, wenn ein Ungemach droht – im Gegensatz zum Menschen.

Bulgarien ist ein gutes Pflaster, nicht nur um Achtsamkeit zu lernen, sondern auch um seinen Instinkt wiederzubeleben. Keine Ahnung, ob das jetzt Instinkt oder einfach nur Gesundheitswahn oder gar Geiz ist, aber eine innere Stimme sagt mir, dass ich ab sofort jeden Tag ein Bad in meinem wilden Mineralbad im Wald nehmen und meinen Boiler auslassen soll. Das wenige Geschirr, das ich brauche, kann ich auch kalt abwaschen.

Mein Bekannter in Berlin, der mich über Ostern für eine Woche besuchen kommt, ist wegen seiner Bulgarien-Reise so guter Dinge, dass er versprochen hat „bedrucktes Papier“ fürs Benzin mitzubringen, worüber ich gar nicht fertig werde. Also über das „bedruckte Papier“. – Ist das neu in Deutschland? Sagt man das jetzt so? Oder ist das der Vorfreude meines depressiven Freundes geschuldet? Ist er vielleicht schon manisch? Also manisch-depressiv. Immerhin, würde ich dann sagen, denn eine Manie kommt selten allein. Eine Depression schon.

Nach meinem Mittagsschlaf und vor dem Mineralbad rief mich mein bester bulgarischer Freund aus Sofia an, dessen bester deutscher Freund ich bin, um mich über den Protest für die Neutralität Bulgariens zu informieren, von dem ich bereits wusste. Er hat gerade dieses äußerst interessante Interview mit der nicht nur gutaussehenden, sondern auch investigativen bulgarischen Journalistin Диляна Гайтанджиева gemacht. Glenn Greenwald, er hat die Snowden Sache gemacht, hatte auch schon darüber geschrieben. Die USA unterhalten, besser unterhielten, Bio-Labs in der Ukraine. Im Gegensatz zu Sadam Hussein im Irak. Der hatte nie welche gehabt, obwohl das der offizielle Kriegsgrund war und bis heute ist. Beim ersten Golfkrieg waren es noch Babys gewesen, die irakische Soldaten aus Inkubatoren genommen und auf die Erde geworfen haben sollen. Auch das eine ausgedachte Geschichte.
Kurz vorm Schlafengehen kam noch diese SMS von Facebook rein: „Use 416 378 to verify your Instagram account.“ – Vielleicht kann jemand etwas damit anfangen. Ich bin weder bei dem einen noch bei dem anderen Verein.
PS: Zwischen Basar und Mittagsschlaf habe ich „Vernichten“, den neuen Roman von Michel Houellebecq ausgelesen, eine Mischung aus Franzens „Korrekturen“ und Rosamunde Pilcher. Der beste Satz ist der letzte: „Ich bin glücklicherweise gerade zu einer positiven Erkenntnis gelangt; für mich ist es Zeit aufzuhören.“
PPS: 03:35 Uhr eine zweite Nachricht von Facebook, die ich erst jetzt lese, weil ich mein Handy Nachts ausschalte. Die Code lautet diesmal: 173 089 – interessant, oder?

Fotos&Text TaxiBerlin

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