Leben in Zeiten von Corona – Heute: Was Taxifahren und Uber mit Sexualität und Feminismus zu tun haben
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Nicht nur der Alttag, sondern auch die Sexualität soll ihre Masken haben. Das meint zumindest Camille Paglia, deren 855-seitigen Wälzer ich gestern auf der Straße gefunden habe, die auch weiterhin meine Universität ist, auf denen ich auch als Trockener Taxifahrer zu hause bin. Normalerweise lese ich solche dicken Bücher nicht, lasse sie eher liegen, weil ich der Meinung bin, wenn jemand nicht nach 300, 400 maximal 500 Seiten auf den Punkt kommt, dann ist dieses Buch nicht für mich. Mir geht es da ein wenig wie Kaiser Joseph II., der nach der Uraufführung von “Die Entführung aus dem Serail” zu Mozart gesagt hat: “Zu viele Noten, streiche er einige weg, und es ist richtig.” Mit Noten kenne ich mich nicht ganz so gut aus wie mit Worten, auch wenn ich in meinem Taxi, als ich mit ihm noch Fahrgäste auf den Straßen und Plätzen Berlins von A nach B befördert habe, viel Musik und da insbesondere Mozart und auch erwähnte “Entführung aus dem Serail” gehört habe. Mit Worten kenne ich mich auf jeden Fall besser aus, das würde sicherlich auch der ein oder andere Taxi-Fahrgast bestätigen können, wenn es ihn denn noch gäbe. Denn da ist es wirklich so: Kürzer ist besser. Meistens zumindest. Praktisch wie beim Rock einer Frau. (Auch da gibt es Ausnahmen!) Camille Paglia, die das dicke Buch “Die Masken der Sexualität” geschrieben hat, das ich wegen seiner vielen Seiten und seinem Gewicht von gut einem Kilo fast auf der Straße hätte liegen lassen, ist eine solche Frau. Camille Paglia, die in einer italienischen Einwandererfamilie aufwuchs (Achtung: Migrationshintergrund!), ist Jahrgang ’47 und eine US-amerikanische Kunst- und Kulturhistorikerin und Professorin für Geistes- und Medienwissenschaften. Ihren Wälzer “Die Masken der Sexualität”, der nicht nur dick und schwer ist, sondern auch viel zu viele Worte hat, erschien erstmals 1990 und heißt in der amerikanischen Originalausgabe “Sexual Personae. Art and Decadence from Nefertiti to Emily Dickinson”. Wichtig ist in dem Titel die Dekadenz, die bei mir Empathielosigkeit heißt, und über deren Zunahme ich mich auch in meinem Taxi immer wieder mit meinen Fahrgästen ausgetauscht habe. Dieser Austausch ist neben dem “on the road” sein “like a rolling stone” das, was mir heute als Trockener Taxifahrer am meisten fehlt. Was erwähnte Empathielosigkeit angeht, das sahen meine Fahrgäste meist ähnlich wie ich es bis heute sehe: Dass der Outlaw Uber, der Feind aller rechtschaffenen Taxifahrer, als praktisch Gesetzloser und in Wild-West-Manier auf unseren Straßen und Plätzen sein Unwesen treiben darf, hat auch viel mit Empathielosigkeit zu tun, und zwar die unserer Politiker gegenüber seinen ehrlichen, sich an Recht und Gesetz haltenden Taxifahrern und -unternehmern – aber eben auch mit Dekadenz. Deswegen sage ich auch seit einiger Zeit ganz klar, dass dies nicht mehr mein Land ist. Eine Aussage, die auch viele meiner Fahrgäste unterschrieben hätten. Viele sehen das bis heute so, also anders als es uns von offizieller Seite eingeredet wird, dass Uber geil sei, und alleine deswegen mit Uber auch alles in Ordnung sein muss. Mit dem, was nun Professorin Camilla Paglia über den Feminismus sagt, wird es insbesondere den Feministinnen aber auch den Feministen (sic!) jetzt vermutlich ähnlich gehen wie mit dem, was viele bis heute über Uber denken und sagen, dass Uber ein einfacher Krimineller ist, sozusagen die Mafia von heute, diesmal allerdings staatlich organisiert. Fast wäre das mit dem Feminismus an mir vorbeigegangen, und zwar wenn ich den 855-seitigen Wälzer der Autorin auf der Straße, meiner Universität, hätte liegen lassen, aber zum Glück wurde das Wichtigste auf der Rückseite des Buches mit wenigen Worten zusammengefasst. Die Professorin Camilla Paglia sagt dort etwas ganz Kluges, wie ich finde, was bis heute gilt und was auch von mir hätte sein können, wenn ich 1990 und die Jahre zuvor, als die Autorin an dem Buch schrieb, nicht mit Demonstrieren, Wende und Wiedervereinigung beschäftigt gewesen wäre, und zwar folgendes: “Die Sexualität dem Feminismus zu überlassen ist so, als gäbe man seinen Hund in den Ferien zum Tierpräparator.” Übertragen auf Uber und Taxi heißt das: Uber ist der Tier-Präparator des Taxis oder “Das Ende des Taxis”, wie Matthias Kreienbrink es bereits im November ’18 in der Zeit gut beschrieben und richtig festgestellt hat.
Fotos&Text TaxiBerlin