Wie Haltungsjournalismus funktioniert
Ich erfahre gerade vom ehemaligen Nachrichtenmagazin, dass wieder Tausende Ostdeutsche gegen die Energiepolitik der Bundesregierung demonstrieren. Warum man in Hamburg über Randgruppen berichtet ist unklar, denn das Innenministerium kündigt genaue Zahlen erst für Dienstag, also für heute, an, wie ich aus dem zweiten Absatz erfahre. Dies bedurfte offensichtlich einer Wiederholung, denn im vierten Absatz erfahre ich noch einmal, dass die Polizei genaue Zahlen zu den Teilnehmern am gestrigen Abend nicht nannte. Nichts genaues weiß man also nicht – vielleicht das wichtigste Merkmal von Haltungsjournalisten überhaupt. Bloß nichts wissen, dafür aber immer die richtige Haltung haben. Trotzdem wird es noch interessant, denn der folgenden Satz beginnt mit “Allerdings”, wobei für mich als Leser zunächst unklar ist, worauf sich dieses “Allerdings” bezieht. Auf die Teilnehmerzahl kann es sich nicht beziehen, denn die ist – wie ich mehrfach erfahren musste – nicht bekannt. Beim Lesen des ganzen Satzes: “Allerdings seien die Proteste weitestgehend ruhig verlaufen, sagte ein Polizeisprecher in Sachsen.” wird klar, dass sich “Allerdings” auf “ruhig verlaufen” bezieht und ein Bedauern des Haltungsjournalisten, sein Name ist nicht angegeben, zum Ausdruck bringt. Ehrlicher wäre gewesen, er hätte “leider verliefen die Proteste friedlich” geschrieben. Denn der Wunsch des Haltungsjournalisten war offensichtlich ein anderer, vermutlich das Gegenteil von “ruhig”. Ihm kann dies persönlich auch egal sein, er war sowieso nicht vor Ort beim Protest. Immerhin gibt es die deutsche Sprache, die immer mit im Spiel und darüber hinaus so genau ist, dass sie den enttarnt, der sie nicht richtig beherrscht – den Haltungsjournalisten.
Foto&Text TaxiBerlin