Bericht aus Bulgarien (244) – „Was ich jedem Autor und Schriftsteller wünsche“

„Konferenzsaal 1“ im Herzen Sofias

Ende September, genau war es der 28., ich hatte hier darüber berichtet, war ich zu einer Veranstaltung des „Ost-West-Verlages“ in Sofia, zu der der Historiker David Engels eingeladen war, dessen Bücher mein Freund Martin ins Bulgarische übertragen hat. Unter den knapp 50 Besuchern der Veranstaltung waren viele junge Bulgaren, die bis vor kurzem noch in Deutschland oder Österreich gelebt hatten und dementsprechend Deutsch sprachen. Nach der Veranstaltung unterhielt ich mich mit einem jungen Mann, der zuvor 13 Jahre in Regensburg gelebt hatte und im November nach Bulgarien zurückgekehrt war, weil er es in Deutschland nicht mehr ausgehalten hat. Wie ihm geht es einige Bulgaren insbesondere in den beiden deutschsprachigen Ländern, in denen die Corona-Regen besonders streng gehandhabt bzw. von den Bewohnern besondern gerne befolgt werden. Meinem Gesprächspartner wurde schnell klar, dass man sowohl in Deutschland als auch in Österreich dabei ist, den gesunden Menschenverstand zu verlieren. Die Rückkehr nach Bulgarien fiel dem jungen Mann nach 13 Jahren in Deutschland nicht leicht, aber es blieb ihm keine andere Wahl. Immerhin hat er noch Familie in Bulgarien. Das habe ihm geholfen, und auch ein Artikel, den er Ende Dezember gelesen hatte und in dem jemand von Deutschland nach Bulgarien gegangen war. Dieser habe ihm aus dem Herzen gesprochen. Spätestens als er das sagte, wurde mir klar, dass er von meinem Beitrag „Bulgarien – die große Freiheit“ sprach. Der junge Mann war mindestens genauso überrascht, dass er gerade mit dem Autor genau dieses Beitrages sprach, wie ich überrascht war, mit einem Leser meines Beitrages zu sprechen. Immerhin, es war nicht meine Veranstaltung, sondern die von David Engels. Unser Aufeinandertreffen war also absolut zufällig. Und das ist es auch, was ich jedem Autor und auch Schriftsteller wünsche. Dass er mit seinen Lesern spricht, ohne dass diese wissen, dass er der Autor ist, dessen Bücher sie gelesen haben.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (243) – „Angstgesellschaft“

von Hans-Joachim Maaz

Anfang Mai ist „Angstgesellschaft“ von Hans-Joachim Maaz auf Deutsch erschienen, jetzt, also nur fünf Monate später, erscheint es auf Bulgarisch, und zwar beim „Ost-West-Verlag“ in Sofia. Mein Freund Martin Petrushev, den ich vor gut einem Jahr am letzten auf den Straßen der bulgarischen Hauptstadt verbliebenen Buchstand kennengelernt habe, hat es übersetzt. Martin plant auch ein Interview mit Hans-Joachim Maaz zu führen, das ich, wenn es so weit ist, auch auf meiner Seite veröffentlichen werde. Vor zehn Tagen hatte ich nun auch Gelegenheit, Martins Chef, den Inhaber des „Ost-West-Verlages“, bei einem gemeinsamen Abendessen kennenzulernen. Ich war etwas in Sorge um ihn, weil ich gehört hatte, dass er wegen der von ihm herausgegeben Bücher angefeindet wird in Bulgarien. Nachdem ich ihn persönlich kennenlernen durfte, bin ich beruhigt, denn der Verleger ist nicht nur ein Freigeist, sondern auch ein stabiler Typ und dementsprechend satisfaktionsfähig. Doch zurück zu Hans-Joachim Maaz, der vielleicht auch nach Bulgarien kommen wird, um sich den Fragen seiner bulgarischen Leser zu stellen, so wie neulich der Historiker David Engels. Dessen Veranstaltung vor zehn Tagen fand im Zentrum von Sofia statt, so dass ich davon ausgehe, dass die von Hans-Joachim Maaz auch genau dort stattfinden würde. Kann man sich momentan ähnliches in der deutschen Hauptstadt Berlin vorstellen? Ich kann es mir aufgrund des derzeitigen gesellschaftlichen und politischen Klimas in der Heimat ehrlich gesagt nicht, wobei die Frage bleibt, woran es liegt, was die beiden Autoren und ihre Bücher für Deutschland so gefährlich macht, und warum man ausgerechnet in Bulgarien alles sagen darf, und das sogar noch öffentlich?

Cover Ost-West-Verlag
Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (242) – „TaxiBerlin in der Epoch Times oder Wider dem Haltungsjournalismus“

In der bulgarischen Hauptstadt Sofia

Morgen erscheinen zwei Beiträge von mir in der Printausgabe der „Epoch Times“, die sich beide mit der Wahl in Bulgarien beschäftigen. Ich war nicht nur erneut vor Ort, die Neue Zürcher berichtet gerne schon mal aus Istanbul über Bulgarien, sondern habe auch mit Menschen gesprochen, warum sie nicht wählen waren. Diesmal sind noch einmal mehr Bulgaren nicht wählen gegangen, rund zwei Drittel. Bei den Interviews mit Nichtwählern hat mir meine Praxis im Taxi geholfen, in dem ein jeder alles sagen durfte, sogar die Wahrheit. Bei meinem eigentlichen Bericht über die Wahl halte ich mich nicht mit Schlagwörtern wie beispielsweise „pro-russisch“ oder „nationalistisch“ auf, sondern führe aus, was die Partei* will, die als solche bezeichnet wird im Westen. Es sind dies die Beibehaltung der Landeswährung anstelle des Euros, Neutralität im Ukraine-Krieg, also Verzicht auf militärische Unterstützung, Austritt aus der Nato und der EU, dafür eine Mitgliedschaft in der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), in der u.a. auch die Schweiz ist. Was der Leser davon zu halten hat, das mag ich ihm nicht vorschreiben. Meine Vorstellung von Journalismus hat mit dem üblichen Haltungsjournal nichts zu tun. Der Leser kann selber denken und sich seine eigene Meinung bilden. Meine Berichterstattung ist auch Notwehr gehen die Nicht- und Falschinformation von Haltungsjournalisten. Mein Artikel trägt den Titel „Bulgarien: Das erwartete Patt“, meine Interviews mit bulgarischen Nichtwählern, eine Juristin aus Sofia, die seit sieben Jahren in London lebt, und ein Produktionsarbeiter und seine Frau, den Titel „Warum war ich nicht wählen?“, beide Beiträge stehen auf Seite sechs der morgigen Printausgabe (8.10.22) der „ET“.

* Gemeint ist die Partei „Wiedergeburt“, die die meisten Zugewinne bei dieser Wahl erzielen konnte, und deren Namen ich in den geschichtlich relevanten Kontext setze, auch weil dies von Haltungsjournalisten in aller Regel verabsäumt wird.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (241) – „We Are Lucky“

Wir sind glücklich

We Are Lucky ist mein neues Mantra. Drauf gebracht hat mich mein englischer Freund Jerry, der auch glücklich ist – genauso wie ich. Heute zum Beispiel habe ich einen Spiegel gefunden. Der Spiegel ist rund und wie neu. Gefunden habe ich ihn auf der Straße, wo ich viele Jahre zu hause war. Ich musste den Spiegel nur nach hause tragen. Zwischendurch durfte es noch die ein oder andere Fotosession sein, beispielsweise mit dieser schönen Nymphe, die auch glücklich ist – We Are Lucky.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (240) – „Brecht vs. Jesus“

Die Natur des Balkans
Ein Gespräch über Bäume sei fast ein Verbrechen, schreibt Bertolt Brecht in seinem Gedicht „An die Nachgeborenen“, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt. Geht es nach Brecht, ist jener, der dort ruhig über die Straße geht, nicht mehr erreichbar für seine Freunde, die in Not sind. Ich kann das nicht bestätigen. Im Gegenteil, meine Erfahrung ist, dass ich, wenn ich um Hilfe bitte, mir diese auch zuteil wird. Wahrlich, ich habe wirklich gute Freunde. Viele von diesen Freundschaften habe ich erst in den letzten zwei Jahren geschlossen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich die Natur mit Geduld sehe und auch die Liebe nicht achtlos pflege, wie Brecht es tat. Brecht war der Meinung, dass es noch nicht so weit sei, dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist. Auch das deckt sich nicht mit meiner Beobachtung. Es gab und gibt Menschen, die helfen, und es wird sie geben, solange es Menschen gibt. Ich halte es da mit Jesus, der gesagt hat: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.“

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (239) – „Bacillus Bugaricus“

Infizierter Schafjoghurt mit Blaubeeren

In den Schluchten des Balkans befällt regelmäßig der Bacillus Bulgaricus die Milch von der Kuh, der Ziege und auch die vom Schaf, macht aus ihr den berühmten bulgarischen Joghurt. Den besten mit dem Bacillus Bulgaricus infizierten Schafjoghurt in unserer Region im Nordwesten gibt es im „Komplex Stalin“ bei mir um die Ecke. Der Bacillus Bulgaricus macht die Milch besonders sauer, aber nicht nur das. Auch Menschen können sich mit dem Bacillus Bulgaricus anstecken. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Wer sich einmal den Bulgaricus Bulgaricus eingefangen hat, der wird ihn sein Leben lang nicht mehr los. Als Betroffener kann ich vor dem Bacillus Bulgaricus nur warnen. Der Bacillus Bulgaricus macht den Menschen nicht nur spontan, sondern sprunghaft, regelrecht unberechenbar und oft auch unkontrollierbar.   –   Das Schlimmste, was einem heute passieren kann.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (238) – „Nach der Wahl“

Der Rebellen-Wasserfall

Nachdem ich meine Stimme abgegeben hatte, es gab diesmal keine Wahlautomaten bei uns im Dorf, hat mich Jerry, der gestern Geburtstag hatte, mit seinem Lada „Niva“ russischer Bauart vom Wahllokal abgeholt und wir sind in die Natur gefahren. Stundenlang sind wir durch den Wald gelaufen, ohne dass wir auch nur einer Menschenseele begegnet wären. Am Ende kamen wir zu den Heiducken-Wasserfällen, was ich jetzt einfach mal mit Rebellen-Wasserfällen übersetze, auch wenn wir uns gar nicht wie Rebellen gefühlt haben, sondern eher wie die letzten Überlebenden oder so ähnlich. Weil wir Hunger hatten, und auch um doch noch unter Leute zu kommen, sind wir danach noch zum Genossen Stalin gefahren. Bevor Jerry für jeden von uns eine Forelle bestellt hat, für die der Genosse Stalin bekannt ist, hat sich Jerry bei Frau Stalinowa, das ist die Tochter vom alten Stalin, dafür entschuldigt, dass wir an einem Sonntag in ihrem Komplex, der früher einfach nur Grill hieß – „Grill Stalin“, aufgeschlagen waren, aber wir hatten einfach Hunger gehabt, wir zwei Überlebenden. Frau Stalinowa versteht auch Englisch, denn sie ist sehr serviceorientiert. Sie hat ihre Ausbildung bei den kalifornischen Genossen genossen. Dass sie mir irgendwann mal geraten hatte, nicht am Wochenende zu kommen, hatte den Hintergrund, dass man ihr am Wochenende die Forellen praktisch vom Kopf frisst. Das war zum Glück gestern nicht der Fall, obwohl der „Komplex Stalin“, wie der Grill jetzt heißt, sehr gut besucht war. Eine bestimmte Besucherzahl macht manche Küche noch besser, als sie eh schon ist. So weit meine gestrige Beobachtung als kleiner Gourmet. Zum Schluss gab’s Stalins berühmten Schafjoghurt mit von als Heiducken verkleideten Kommunisten gepflückten Blaubeeren vom Rebellen-Wasserfall, über den ich morgen berichte.

Foto&Text TaxiBerlin