Fotos&Text TaxiBerlin
In letzter Zeit muss ich immer öfter an Menschen denken, die mir ab Mitte der Achtziger in der DDR begegnet waren, und die sagten, dass sie nichts dem System geben würden, es nicht unterstützen würden, weder mit ihrer Arbeitskraft, noch mit Geld. Zugegeben, es waren ihrer nicht viele, aber es gab sie. Damals war es viel einfacher, mit wenig Geld über die Runden zu kommen als heute. Die Preise waren niedrig und die Mieten ebenso. An zwei von ihnen erinnere ich mich besonders gut. Auf ihren Fahrrädern brachten sie damals alten Menschen das Mittagessen nach hause, gekocht hat es die “Volkssolidarität”, die es bis heute gibt, und die die beiden vermutlich bar bezahlt hat. Andere wiederum haben nur von Flohmärkten gelebt. Für eine Schallplatte aus dem Westen konnte man dort damals 100 Mark der DDR oder mehr bekommen. Ich selbst habe auch schon mal fünf Schallplatten verkauft und konnte damit nach Bulgarien fahren. Einmal sind wir sogar per Anhalter gefahren. Doch zurück zu den Menschen, die in der DDR nichts dem System geben wollten. Für viele Zeitgenossen war das natürlich unvorstellbar, solche Ansichten zu vertreten und dann auch noch danach zu leben. Auch ich konnte und wollte es mir nicht so recht vorstellen damals. Dazu muss man wissen, dass die allermeisten Menschen in der DDR bis zum Schluss ein ganz normales Leben geführt haben. Praktisch so wie heute, solange man sich nicht mit dem System anlegt. Nach Wende und Mauerfall waren viele Menschen überrascht, dass es so etwas wie Stasi und Überwachung gab. Immerhin davon hatte ich eine Vorstellung bekommen, denn der Vater meiner ersten großen Jugendliebe war bei der Stasi, weswegen er unsere Freundschaft rasch unterband. Damals gingen die meisten, die das System nicht mehr mittragen wollten, in den Westen, wurden gar in den Westen hinausgeworfen oder von ihm freigekauft, hatten keinen Personalausweis mehr, konnten sich also innerhalb der DDR nicht frei bewegen, oder saßen einfach im Knast. Die meisten Menschen dachten damals genauso wie heute, dass das böse Menschen seien. Man hatte es ihnen gesagt und es stand auch so in der Zeitung. Es war nicht nur das Einfachste, daran zu glauben, sondern auch das Beste, wollte man sich nicht selbst in Schwierigkeiten bringen. Und warum sollte man sich in Schwierigkeiten bringen, wenn man nicht wusste, wann es mit dem System vorbei ist. Das wussten ja nicht einmal die allergrößten Experten im Westen. Komisch wurde es dann nach der Wende, als viele von diesen ehemaligen DDR-Menschen plötzlich behaupteten, es schon immer gewusst zu haben, dass der Sozialismus, das sozialistische System nicht funktionieren kann. Komisch war es vor allem deshalb, weil die Menschen selbst daran zu glauben schienen. Sie waren fest davon überzeugt, es schon immer gewusst zu haben. Und dagegen war nichts zu sagen, denn niemand, außer sie selbst, konnte wissen, ob es wirklich so war oder nicht. Was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass sie dieses Wissen zuvor nie zum Ausdruck gebracht hatten. Zumindest die allermeisten von ihnen nicht. Für den Außenstehenden sah es so aus, musste es so aussehen, dass man mal wieder von nichts gewusst hatte, von nichts gewusst haben wollte. Mir persönlich stieß vor allem die Penetranz dieser Menschen auf, die von einem Tag auf den anderen Dinge behaupteten, die zuvor zu keinem Zeitpunkt von ihnen zu vernehmen waren. Dass mir diese Geschichten gerade jetzt einfallen, erkläre ich mir damit, dass uns vermutlich etwas ähnliches bevorsteht. Klarkommen muss damit jeder selber. Das war damals so und ist heute nicht anders. Was ich aus meiner persönlichen Erfahrung sagen kann, ist, dass es Menschen gab und auch heute gibt, die diesen Selbstbetrug durchschauen, und damit auch die Heuchelei dieser Menschen. Das scheint mir ganz klar festzustehen.
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