Bericht aus Bulgarien (237) – “Zu optimistisch”

Unser Brunnen mit Mineralwasser im Dorfzentrum

Erste Hochrechnungen haben ergeben, dass die Wahlbeteiligung bei der heutigen Parlamentswahl in den Schluchten des Balkans bei noch nicht einmal 35 Prozent gelegen haben soll. Dann wäre ich mit meinen 36,8 Prozent von heute Nachmittag also noch zu optimistisch gewesen. Meine andere Prognose dürfte aber stimmen, und zwar dass es keine neue Regierung geben wird in Bulgarien. Komischerweise nähert sich die Wahlbeteiligung immer mehr der Impfquote in Bulgarien an. Die liegt bei 30 Prozent. Vielleicht leben auch nur noch 35 Prozent der Bulgaren. Den Rest hat möglicherweise Corona dahingerafft – es hat nur noch niemand bemerkt.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (236) – “Wasser statt Wahlen”

Taxi mit Brunnen und Bürgermeisteramt
Die Wahllokale schließen in Bulgarien um 20 Uhr, also 19 Uhr deutscher Zeit. Das Wahllokal ist in unserem Dorf im Bürgermeisteramt. Das ist der Plattenbau rechts im Bild. In der ersten Etage, wo draußen die bulgarische Fahne hängt, ist das Büro von meinem Bürgermeister. Da ist heute das Wahllokal, wo man seine Stimme abgeben kann. Wahlautomaten gab es heute nicht in unserem Dorf. Es wurde wie früher mit Stimmzettel gewählt. Ein Chaos wie bei der letzten Wahl in Berlin gab es nicht. Es fand aber auch kein Marathon statt. Es gab nur den üblichen Run auf unseren Brunnen mit Mineralwasser. Täglich halten dort Menschen an und füllen sich Flaschen ab. Manche Autos sind voll mit Plastikflaschen, die abgefüllt werden werden wollen. Da der Andrang am Brunnen größer war als der im Wahllokal, sind meine persönlichen Prognosen 36,8 Prozent Wahlbeteiligung und keine Regierung nach der Wahl. Diese wurden von unserem Dorforakel Sarah bestätigt, und zwar durch dreimaliges Bellen. Sarah ist die Hündin, die den Brunnen bewacht, und die, wenn es das Geschehen am Brunnen zulässt, sich auch ihr Wasser von dort holt.

Unser Dorforakel Sarah am Brunnen

 Fotos&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (325) – “Wir sind im Krieg mit Russland”

Jetzt ist es nicht nur raus, sondern auch sicher, denn unser Gesundheitsminister hat es gesagt: “Wir sind im Krieg mit Putin.” – Auch du! Du brauchst dich nicht mehr für Waffenlieferungen in die Ukraine einzusetzen. Du kaufst dir besser selbst eine Knarre. Die kannst du auch auf deinem E-Roller benutzen. Lass dich durch die Fotos nicht irritieren. In Bulgarien kann man sich einen E-Roller nur nicht leisten.

Fotos&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (324) – “Das redundante Ich”

Ne glasuvam – (Ich) wähle nicht (früher)

Redundant bedeutet, dass etwas doppelt oder mehrfach vorhanden ist. Der Begriff leitet sich von dem lateinischen Wort redundare ab (re = „zurück“ und unda = „Welle“) und steht im übertragenen Sinne für „überreichlich“, „wiederholt“ oder „überzählig“. In der bulgarischen Sprache betrifft die Redundanz regelmäßig das Personalpronomen, das man demzufolge einfach weglässt, um sich nicht zu wiederholen, obwohl man sich eigentlich gar nicht wiederholt, denn welche Person gemeint ist, ergibt sich nur aus dem Verb. Folgendes, aktuelles Beispiel soll dies veranschaulichen: Ne glasuvam (не гласувам) heißt genau genommen nur “wähle nicht”, meint aber “ich wähle nicht” – das “ich” wird einfach weggelassen. Weitere Beispiele wären: du wählst nicht =  не гласуваш (ne glasuvash) und: wir wählen nicht = не гласуваме (ne glasuvame). Dass im Bulgarischen redundant sein soll und praktisch auch ist (im Deutschen ist es das nicht, ich kann nicht sagen “wähle nicht” anstelle von “ich wähle nicht”), wer wählen geht, ist merkwürdig und schreit förmlich nach einer Erklärung, die über das rein sprachliche hinausgeht. Eine Möglichkeit ist, dass die einzelne Person, um die es geht, einfach nicht wichtig ist, oder mit anderen Worten: die Person ist nichts wert. Angesichts des Lebens hier, von dem nicht wenige Bulgaren meinen, es sei keine fünf Stotinki (2,5 Cent) wert, erscheint dies sogar logisch. Man sollte allerdings nicht den Fehler machen, der im Westen gerne gemacht wird, zu denken, dass das, was nichts wert ist, automatisch dumm ist. Das ist auch nicht besonders intelligent, sondern einfach nur materialistisch gedacht. Meine Erfahrung hier in Bulgarien jedenfalls ist, dass es möglicherweise einfach nur “dumm gestellt”* ist, um eine schlimme Zeit zu überbrücken, so wie die Bulgaren die Zeit unter türkischer Herrschaft überlebt haben, indem sie aus Ja Nein und aus Nein Ja gemacht haben. Ob das stimmt, und ob es bei der heute stattfindenden vierten Wahl in eineinhalb Jahren erneut zutrifft, indem nochmals weniger als bei der letzten Wahl wählen gehen, da waren es bereits nur 40 Prozent gewesen, wird man sehen. Ich rechne fest mit einer Wahlbeteiligung unter 40 Prozent und denke deswegen, dass es an der Zeit ist, die Kompetenz und auch die Legitimation der sich zur Wahl stellenden ernsthaft in Frage zu stellen, aber vor allem zu fragen: Cui bono? – Wem zum Nutzen?

* Bei “dumm stellen” muss ich an folgendes Sprichwort denken: “Der aus dem Osten ist schlau und stellt sich dumm, bei dem aus dem Westen ist es anders rum.”
Ne glasuvam – (Ich) wähle nicht (heute)

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Bericht aus Bulgarien (323) – “Politisch Inkorrekt im Staatlichen Bulgarischen Nationalradio”

Es ist wirklich so: Man kann in Bulgarien alles sagen – sogar im Staatlichen Bulgarischen Nationalradio “Christo Botew”. Hier ein Interview von dreien, was David Engels vor der abendlichen Veranstaltung im Konferenzsaal Nr. 1 im Zentrum von Sofia gegeben hat. Das Interview geführt hat Petir Volgin in seiner regelmäßigen Sendung “Politisch Inkorrekt”, übersetzt hat es Martin Petrushev, der auch die Bücher von David Engels ins Bulgarische übertragen hat. Da wir in besonderen Zeiten leben, in der Selbstverständliches nicht mehr selbstverständlich ist, erlaube ich mir folgendes hinzufügen: Es geht nicht darum, in allem mit David Engels übereinzustimmen. Wer dies meint zu müssen, hat Demokratie nicht verstanden. Es geht darum, dass er dies sagen darf, nicht nur im Staatlichen Bulgarischen Nationalradio, sondern beispielsweise auch bei Öffentlich/Rechtlich in Deutschland, was mir derzeit allerdings mehr als unwahrscheinlich erscheint.
Video RationalerWiderstand
Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (322) – “Freedom of Speech in Großbritannien und Bulgarien vs. Neue Impfkampagne in Deutschland”

Vidin – Lom – Sofia

Ich komme gerade aus der nächst größeren Vraca, wo ich für meinen nächsten Artikel Menschen zu den morgigen Wahlen interviewt habe. Am Bahnhof traf ich eine junge Anwältin, die in London arbeitet. Nachdem ich sie befragt hatte, wollte sie von mir wissen, ob ich irgendwann nach Deutschland zurückkehren werde. Sie war neugierig, weil es in Großbritannien genauso ist wie in Bulgarien, was die Redefreiheit und das Impfen angeht. Auch im Vereinigten Königreich könne man alles sagen und es gäbe keinen Druck auf Ungeimpfte und auch keine Diskriminierungen wie in Deutschland und Österreich. Die junge Juristin wusste, dass es in den beiden deutschsprachigen Ländern anders ist, weswegen viele Bulgaren bereits von dort in ihre Heimat zurückgekehrt sind oder gerade dabei sind zurückkehren. – Gerade lese ich im ehemaligen Nachrichtenmagazin aus Hamburg, dass in Deutschland eine nächste größere Impfkampagne vorbereitet wird. Ab 1. Oktober ist grundsätzlich eine Auffrischimpfung – also eine dritte Spritze – nötig, um als »vollständig geimpft« zu gelten. Der Corona-Zirkus geht also wie erwartet weiter in der Heimat, allerdings nur für Geimpfte. Als nicht Geimpfter geht er an mir vorbei, weil ich nicht “vollständig geimpft” sein kann. Das gebietet die Logik. Geimpft bin ich aber trotzdem, und zwar gegen Angst- und Panikmache. Ich verbringe viel Zeit an der frischen Luft, was auch dem Denken guttut. Das kann ich auch nur jedem empfehlen, beispielsweise indem er auf die Straße geht, auf der ich mein halbes Leben zuhause war.  –  So meine Antwort auf die Frage der Anwältin.

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Bericht aus Bulgarien (321) – “Neulich im Goethe-Institut in Sofia”

Konstantinow neben Markow
Als ich am Mittwoch in Sofia war, war ich auch im Goethe-Institut, um Bücher zurückzubringen, die ich mir aus der dortigen Bibliothek ausgeliehen hatte. Das Goethe-Institut befindet sich in der Budapester Straße 1 im Zentrum der bulgarischen Hauptstadt in einer alten Villa, die Bibliothek ist dagegen ganz modern. Alleine dieses Kontrastes wegen lohnt sich der Besuch, aber natürlich auch der Bücher wegen. Für mich war es eine besondere Ehre zu sehen, dass das von mir herausgegebene “Nach Chicago und zurück” von Aleko Konstantinow neben den beiden Romanen von Georgi Markow, “Die Frauen von Warschau” und “Das Porträt meines Doppelgängers”, steht. Das zweite von mir herausgegebene Buch, “Bai Ganju, der Rosenölhändler”, war offensichtlich ausgeliehen. Sowohl die Bücher von Aleko Konstantinow, als auch die von Georgi Markow hat der Wieser-Verlag in Klagenfurt herausgebracht. Es gibt aber noch eine andere Verbindung zwischen den beiden Autoren. Beide sind einem Attentat zum Opfer gefallen. Georgi Markow auf der Waterloo-Bridge in London. Das Attentat auf ihn ist auch als “Regenschirm-Attentat” bekannt. Konstantinow saß in einer offenen Kutsche, als er unweit der Stadt Peschtera in Bulgarien erschossen wurde. Beide Autoren hatten also auch Feinde. Sie sind darüber hinaus, sowohl was ihre Persönlichkeit, als auch was ihr Werk angeht, Ausnahmepersönlichkeiten. Im Ausland sind sie leider kaum bekannt. Entsprechend schwer war es, einen Verlag für Aleko Konstantinow zu finden. Herausgegeben wird nur, was sich lohnt, womit man Geld verdienen kann. Bevor ich nach mehr als einem Jahr intensiver Suche endlich im österreichischen Klagenfurt einen Verlag für die beiden Bücher Konstantinows fand, hatten zuvor 50 von mir kontaktierte Verlage in Deutschland deren Veröffentlichung abgelehnt. Die Entscheidung der Verlage war rein betriebswirtschaftlich. Sie hatte mit dem Autor und den Büchern selbst, ihrem Inhalt und Wert, rein gar nichts zu tun. Wie auch, denn die Verlage in Deutschland kannten weder Konstantinow, noch sein Werk.
Foto&Text TaxiBerlin