Bericht aus Bulgarien (285) – “Mein erster Podcast”

Mein Bezugspunkt

Heute ist der erste Text von mir als Podcast erschienen. Bevor er vor wenigen Tagen auf Multipolar erschienen ist, hatte ich ihn verschiedenen deutschsprachigen Psychologie-, Psychotherapie- und Suchtmagazinen bzw. Zeitungen angeboten – keiner wollte den Text veröffentlichen, aus verschiedenen Gründen. – Mir selbst ist der letzte Satz der wichtigste. Es ist ein Zitat aus dem New-York-Times-Bestseller „When Society Becomes An Addict“ („Im Zeitalter der Sucht: Wege aus der Abhängigkeit“) von Anne Wilson Schaef, um den es in meinem Text geht: „Wir passen uns in dieses System nicht mehr ein, aber wir bekämpfen es auch nicht; es hat einfach keine Bedeutung mehr, es ist nicht mehr unser Bezugspunkt. Es ist nebensächlich geworden, weit entfernt, belanglos. Wir sind vollkommen von ihm abgetrennt. Wir haben einen Systemwechsel vollzogen und es hinter uns gelassen.“

Foto MiraSofia
Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (284) – “Sein, wie man ist vs. ordnungsgemäßem Tragen & Verhalten”

Sie lassen mich sein, wie ich bin
(unter Garantie und auch mit schwarzen Socken)

Nicht nur Bulgarien ließ mich immer so sein, wie ich bin, ich erwähnte das hier, sondern auch Tiere. Das ist mir einmal mehr im “Tal der Esel” im Süden Bulgariens nahe der Grenze zu Griechenland klar geworden, wo es nicht nur Esel, sondern auch Hunde, Katzen und Hühner gibt. Dass es in Deutschland anders ist, daran hat mich mein gestriger Besuch in einem Second-Hand Geschäft für Klamotten erinnert. Bulgarien hat zwar nicht die von mir geliebten deutschen Flohmärkte, dafür aber jede Menge Second-Hand Geschäfte mit Kleidung aus Deutschland. Viele der Klamotten, die es hier “für’n Appel und ‘n Ei” gibt, wurden bei meiner Abreise aus Deutschland auf Berliner Flohmärkten noch für viel Geld als “Retro” oder “Vintage” angeboten. Oft ist die Kleidung ungetragen, wie die schwarzen Strümpfe weiter unten, auf die es sogar Garantie gibt, aber nur “bei ordnungsgemäßem Tragen” – so steht es auf dem Etikett. Dazu muss man wissen, dass es in Bulgarien traditionell keine Garantie gibt. Sind es in Deutschland zwei Jahre, sind es in Bulgarien zwei Meter, und zwar vom Geschäft, aber nur, wenn man wirklich ganz großes Glück hat. Der Bulgare sagt bis heute gerne “Garanzija? – Franzija!”, was heißt, wer Garantie will, muss nach Frankreich gehen. Dass es nur “bei ordnungsgemäßem Tragen” Garantie gibt, das gibt es, so denke ich, nur in Deutschland. Früher musste dies dem Kunden in der Heimat mittels Etikett “Schwarz auf Gold” mitgeteilt werden. Heute hat der Deutsche nicht nur das “ordnungsgemäße Tragen” von Socken, sondern das “ordnungsgemäße Verhalten” an sich so verinnerlicht, dass es ihm niemand mehr sagen muss. Und wenn doch, dann wird immer gleich die Nazikeule herausgeholt. Unter dem tut es der Deutsche nicht. Wenn ich das hier Bulgaren erzählt habe, dann glaubten sie mir das nie, weswegen ich es aufgegeben habe. Jetzt verbringe ich meine Zeit lieber mit Tieren. Denen muss ich nichts erklären. Und ich kann unter Garantie so sein, wie ich bin.

Ordnung muss sein – auch beim Sockentragen
Fotos&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (283) – “Von der Arbeitslosenversicherung zur Dankbarkeit”

Ein cleveres Kerlchen wie ich

Immer wieder komme ich in die Situation, mich, meine Situation und damit auch das Modell der sozialen Marktwirtschaft wie wir sie kannten zu erklären. Dazu muss man wissen, dass dies niemandem in Bulgarien je erklärt wurde, und dass das wenige vorhandene Wissen – auch über Demokratie an sich – aus den Neunzigern stammt oder schlichtweg falsch ist. Beispielsweise wieviel man in einem ganz normalen Beruf wie Taxifahrer, Verkäuferin oder als Krankenschwester verdient. Dass man in Bulgarien oft immer noch davon ausgeht, man könne vier-, fünf- oder gar sechstausend Euro im Monat damit verdienen, ist weniger der Umstellung von D-Mark auf Euro geschuldet, sondern schlichtweg Wunschdenken. Dieses führt dann regelmäßig zu Überlegungen darüber, wie man seinem Glück auf die Sprünge helfen kann. Und da kommt dann oft auch die Arbeitslosenversicherung ins Spiel, von der vor allem derjenige nichts hat, der nicht arbeitslos wird. Das empfindet der Bulgare nicht nur als ungerecht, sondern an erster Stelle als dumm. Warum ausgerechnet der, der weil er eben nie arbeitslos wird, am wenigsten oder gar nicht davon profitiert, das versteht der Bulgare nicht. Das Argument, dass so Versicherungen funktionieren, lässt er nicht gelten. Mein persönliches Schicksal, meine Arbeit (und damit auch mein bisheriges Leben) verloren zu haben, wird hier gerne als besonders clevere Inszenierung (auch meinerseits) gesehen. Obwohl es nicht stimmt, fühle ich mich doch immer gleich besser, so gesehen zu werden. Was bin ich doch für ein cleveres Kerlchen. Und das stimmt dann wiederum, denn mein Leben ist hier noch einmal reicher geworden, als es bisher schon war. Jetzt nicht im materiellen Sinne – das nicht. Auch nicht nur an verrückten Meinungen und Lebensansichten wie die über den Sinn und Unsinn einer Arbeitslosenversicherung. Sondern vor allem reich an neuen Freunden, sowohl in Bulgarien, wo mir ein bulgarischer Freund einfach mal seine Ferienwohnung am Meer zur Verfügung gestellt hat, als auch in Deutschland, wo Freunde Pakete mit Büchern an mich auf den Weg bringen und sich um meine Post kümmern. Dafür bin ich sehr dankbar.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (282) – “Der Traum vom Corona-freien Leben”

Neuerdings macht das ehemalige Nachrichtenmagazin aus Hamburg Werbung für den Traum vom Corona-freien Leben in Bulgarien. Wow! Was wohl Onkel Bill als Spiegel-Geldgeber und Corona-Profiteur dazu sagt? Mit 262.467 Aufrufen und 1.395 Kommentaren in nur fünf Tagen ist die Doku auf reges Interesse gestoßen. Aber nicht nur das. Der für Arte produzierte Aufklärungsfilm hat manchen auch auf eine Idee gebracht, zum Beispiel Seray Yildiz auf diese: “Danke für diese Reportage, ich finde es sehr interessant und könnte mir auch vorstellen dahin zu ziehen.”
Video SPIEGELfürARTE
Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (281) – “Maaz neben Schwab”

Im Buchladen in Bulgarien

Selbst in dem Buchladen in der bulgarischen Kleinstadt Goce Deltshev nahe der Grenze zu Griechenland ist das neue Buch von Hans-Joachim Maaz “Angstgesellschaft” erhältlich. Etwa ein Monat ist es her, dass es auf bulgarisch erschienen ist, der Preis liegt bei neun Euro. Im Sommer hatte ich mit meinem besten bulgarischen Freund und Übersetzer Martin gesprochen, den ich im letzten Sommer an einem Buchstand auf der Straße von Sofia kennengelernt habe, und mit dem ich seither befreundet bin. Ich musste weder Martin noch seinen Verleger, den Inhaber des in Sofia ansässigen Ost-West-Verlages, von dem Buch vom “Therapeuten meines Vertrauens” überzeugen. Dass das Buch Wert ist, übersetzt zu werden, darauf waren sie schon selbst gekommen. Was die Geschichte beweist, ist, dass die Wege in Bulgarien manchmal ganz kurz sein können. Das liegt auch daran, dass es nicht mehr viele Bulgaren in Bulgarien gibt – jeder dritte Bulgare lebt im Ausland. Das ist übrigens das Thema meines nächsten Artikels, der in der nächsten Woche veröffentlich wird. Zurück zu dem neuen Buch von Hans-Joachim Maaz, das in dem kleinen Buchladen nicht nur erhältlich ist, sondern ausgerechnet auch noch neben einem von Klaus Schwab steht. Ob dies in der Heimat auch so ist, also dass das Buch von Maaz in einem kleinen Buchladen in der Provinz im Regal steht, das kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Möglicherweise gibt es dort einfach gar keinen Buchladen mehr, in denen die “Angstgesellschaft” im Regal stehen könnte.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (280) – “Und immer wieder das Grundgesetz”

Bereits vor zweieinhalb Jahren bei den ersten Demonstrationen auf dem Rosa-Luxemburg-Platz spielte unser Grundgesetz eine tragende Rolle, genauso wie in dem aktuellen Beitrag von Sahra Wagenknecht. Damals wurde man verhaftet, wenn man es hoch oder auch nur in der Hand hielt. Bis heute sind Menschen, die sich auf das Grundgesetz beziehen wie Sahra Wagenknecht keine Verfassungsgegner sondern im Gegenteil: ihre Verteidiger. Dass unsere Regierung gerne Gegenteiliges behauptet, erinnert an Bulgarien, wo viele Dinge umgedreht sind. So ist zum Beispiel Ja Nein und Nein Ja. Lassen sich die uns Regierenden vielleicht heimlich vom Balkan inspirieren, den sie offiziell gerne als korrupt verteufeln? Die Ukraine ist übrigens mindestens genauso korrupt wie Bulgarien, höchstwahrscheinlich aber korrupter. In Bulgarien weiß man das, immerhin ist das ukrainische genauso wie das russische ein Brudervolk der Bulgaren. Dass man dies in Deutschland nicht weiß, vermutlich noch nicht einmal, dass es Brüdervölker sind, beweist, wie naiv man in der Heimat ist. Sahra Wagenknecht gibt in ihrem Video viele Beispiele von Frauen, weswegen man eigentlich mit einem Aufstand aller frauenbewegten “Innen” in der Heimat rechnen könnte. Auch der bleibt aus, genauso wie der fürs Grundgesetz, so dass man davon ausgehen kann, dass Deutschland mal wieder erst untergehen muss, bevor auf seinen Trümmern etwas Neues entstehen kann.
Video SahraWagenknecht
Text TaxiBerlin

“Eine humorvolle Forderung nach Waffen aus Deutschland”


“Eine humorvolle Forderung nach Waffen aus Deutschland”, so nennt das ehemalige Nachrichtenmagazin aus Hamburg obige Kriegspropaganda. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass man in der Heimat nicht nur den gesunden Menschenverstand, sondern den Verstand an sich verloren hat, dann ist er nunmehr erbracht. Deutsche Politik wird nicht mehr in Berlin und europäische auch nicht mehr in Brüssel gemacht, sondern in Kiew, genauer in Washington. Wer Waffenlieferungen “geil” oder gar “supergeil” findet, der soll selber mit einer Waffe in der Hand an der Front kämpfen oder für immer schweigen. Diese deutsche Kriegslüsternheit, ja regelrechte Kriegsgeilheit, ist nicht mehr auszuhalten, bereitet mir selbst 2.000 Kilometer fern der Heimat in den Schluchten des Balkans noch körperliche Schmerzen. Nietzsche, der auch oft unter körperliche Schmerzen litt, allen voran Kopfschmerzen, hat es seinerzeit so formuliert: “Der Irrsinn ist bei Einzelnen etwas Seltenes, aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel.”
Video YouTube
Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (279) – “Ein Freund, ein guter Freund”

Ein Kätzchen in Not – auch ihm konnte in Bulgarien geholfen werden

Gerade erreicht mich folgende aktuelle und schier unglaubliche Geschichte aus Deutschland: Ein Mensch in Not fragt bei einem vermeintlichen Freund an, ob dieser ihn für ein paar Tage bei sich aufnehmen könne, er würde auch dafür bezahlen. Platz hat dieser genug, aber nur ein Bad, was auch als Grund angegeben wird, dass aus der Aufnahme nichts wird. Der Hauptgrund ist aber, dass der vermeintliche Freund gerade keine weiteren Einnahmen gebrauchen könne, und zwar wegen der Steuer. Mit den zusätzlichen Einnahmen ist das Angebot gemeint, für die Aufnahme zu bezahlen. Ein offizieller Mietvertrag wäre nicht nötig, aber beim Bezahlen muss offensichtlich deutsche Ordnung sein bei dem vermeintlichen Freund. Es wird einem also nicht immer gegeben, wenn man bittet, wie ich neulich noch behauptet hatte. Eine gute Schule, das Bitten zu lernen, ist es allemal. – Auch ich kenne diesen vermeintlichen Freund. Im Sommer habe ich in seinem Auftrag einen Text über ihn als Künstler geschrieben, der ihm aber nicht gefallen und den er dementsprechend auch nicht bezahlt hat. So etwas kommt vor. Immerhin hat er angeboten, dass wir in einem halben Jahr, das wäre Anfang nächsten Jahres, über den Text sprechen. Ich habe dem zugestimmt, auch wenn ich nicht recht verstanden habe, wozu das halbe Jahr Wartezeit gut sein soll. Mittlerweile glaube ich, dass sich der vermeintliche Freund sozusagen bulgarisch aus der Affaire ziehen will. Früher konnte man sicher sein, dass man einen Bulgaren, der einen darum bittet, nur einen Moment zu warten, nie wieder sehen wird. Aber das war früher. Ob heute ein Bulgare einen Freund wegen der Steuer nicht bei sich aufnimmt, darüber ist mir (noch) nichts zu Ohren gekommen. Meine Erfahrungen mit Freunden hier in Bulgarien sind jedenfalls andere. Aber darüber hatte ich bereits geschrieben.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (278) – “Das Suchtsystem”

Das Tal der Esel – Quelle meiner Inspiration

Während ich noch im Tal der Esel im Süden Bulgariens nahe der Grenze zu Griechenland weile, ist in der Heimat gerade ein neuer Artikel von mir erschienen und ein weiterer ist für Sonntag geplant. Der von heute, den das Online-Magazin Multipolar veröffentlicht hat, trägt den Titel “Das Suchtsystem”. Im Mittelpunkt des Artikels steht die Frage, ob sämtliche Mitglieder einer Gemeinschaft süchtig sein können, auch wenn der Einzelne gar keine Drogen nimmt? Die US-amerikanische Frauenrechtlerin und Psychotherapeutin Anne Wilson Schaef war der Überzeugung: Ja! Wie es funktioniert, beschrieb sie bereits Ende der Achtziger in ihrem New-York-Times-Bestseller „When Society Becomes An Addict“ (auf Deutsch: „Wenn die Gesellschaft süchtig wird“), das ich in dem Beitrag vorstelle. Der für Sonntag vorgesehene Artikel wird wieder den Fokus Bulgarien haben, und zwar die Massenauswanderung aus dem kleinen Land am Rand, denn jeder dritte Bulgare lebt im Ausland, unter den zwischen 20- und 45-Jährigen sogar jeder zweite. Bis dahin werde ich so wie auch meine bulgarischen Tierarztkollegen, sie haben sich fürs Hierbleiben entschieden, im Tal der Esel bleiben, denn es gilt: When you are in the valley, you have to do like the vets do.

Foto VetMira
Text TaxiBerlin

 

Bericht aus Bulgarien (277) – “Heute ist schulfrei”

Da kommt Freude auf

Die bulgarischen Schüler haben heute schulfrei, denn es ist der “Tag der bulgarischen Vordenker der Aufklärung”. Aktuell denken die bulgarischen Vordenker gerade die Gendersprache weiter, möglicherweise sogar zu Ende. In Deutschland sieht es so aus, dass es bald nur noch die weibliche Form geben wird, und zwar wenn die Pause vor dem Anhängsel “Innen” wegfällt. Dass sie wegfallen wird, halte ich sozusagen für alternativlos, denn sie ist unnatürlich, weswegen sie die, die sich mich Sprache auskennen, auch als Vergewaltigung bezeichnen. Eine Vergewaltigung, die nicht nur erlaubt, sondern auch gewollt ist. In Bulgarien geht es auch in der der Frage der Gendersprache nicht einfach nur anders, sondern genau entgegengesetzt zu. Hier wird seit einiger Zeit einfach die weibliche Form abgeschafft, so dass es bald nur noch die männliche geben wird. Ich will ein Beispiel machen, dann wird es klarer. Gab es bisher sowohl einen Kollegen (edna kolega) als auch eine Kollegin (edna koleshka), so wird nun nur noch die männliche Form gelehrt, also ein Kollege (edna kolega). – Um dies zu würdigen, ist heute schulfrei.

Foto&Text TaxiBerlin