Noch im Tal der Esel erreichte mich eine Interviewanfrage zu meinem Artikel über die Uber Files, der im September auf Multipolar erschienen ist. Gerne bin ich der Anfrage nachgekommen, auch weil sie von der Berliner Taxikollegin Sonja kam, die seit zwei Jahren meine Sendung “Hier spricht TaxiBerlin” weiterführt, die jetzt “Hier spricht TiffanyTaxi” heißt. Das Interview wird heute ab 19 Uhr deutscher Zeit auf Pi-Radio ausgestrahlt, in Berlin unter 88.4 MHz, weltweit als LiveStream im Internet. – Der Artikel ist mir alles andere als leicht gefallen ist, immerhin habe ich Uber meine Arbeitslosigkeit zu verdanken. Am Ende habe ich fast ein halbes Jahr an dem Text gearbeitet. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, was mir auch Freunde und Kollegen bestätigt haben, die mit Uber bisher nichts am Hut hatten. Das könnte sich sehr bald ändern, und zwar wenn auch sie ihre Arbeit verloren haben, auch sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können und auch sie demnächst, genauso wie Uber-Fahrer heute schon, in ihrem kleinen Bangladesh mitten unter uns leben. Das mag sich für manch einen noch unwahrscheinlich anhören, aber das waren die erste Uber-Fahrzeuge auf den Berliner Straßen für mich auch. Für uns Taxifahrer war es damals unvorstellbar, dass Uber damit durchkommen wird. Immerhin leben wir doch in einem Rechtsstaat, alles würde sich bald aufklären, sicherlich war alles nur ein Versehen. – Das war es nicht, im Gegenteil. Es war ein komplettes Versagen, das bis heute anhält und immer mehr Bereiche unseres Gemeinwesens erfasst. Viele haben die Uberisierung ihres Lebens bereits am eigenen Leibe erfahren, weitere wird es demnächst erfassen. Wer wissen will, was auf ihn zukommt, sollte die heutige Sendung auf keinen Fall verpassen.
Immer wieder komme ich in die Situation, mich, meine Situation und damit auch das Modell der sozialen Marktwirtschaft wie wir sie kannten zu erklären. Dazu muss man wissen, dass dies niemandem in Bulgarien je erklärt wurde, und dass das wenige vorhandene Wissen – auch über Demokratie an sich – aus den Neunzigern stammt oder schlichtweg falsch ist. Beispielsweise wieviel man in einem ganz normalen Beruf wie Taxifahrer, Verkäuferin oder als Krankenschwester verdient. Dass man in Bulgarien oft immer noch davon ausgeht, man könne vier-, fünf- oder gar sechstausend Euro im Monat damit verdienen, ist weniger der Umstellung von D-Mark auf Euro geschuldet, sondern schlichtweg Wunschdenken. Dieses führt dann regelmäßig zu Überlegungen darüber, wie man seinem Glück auf die Sprünge helfen kann. Und da kommt dann oft auch die Arbeitslosenversicherung ins Spiel, von der vor allem derjenige nichts hat, der nicht arbeitslos wird. Das empfindet der Bulgare nicht nur als ungerecht, sondern an erster Stelle als dumm. Warum ausgerechnet der, der weil er eben nie arbeitslos wird, am wenigsten oder gar nicht davon profitiert, das versteht der Bulgare nicht. Das Argument, dass so Versicherungen funktionieren, lässt er nicht gelten. Mein persönliches Schicksal, meine Arbeit (und damit auch mein bisheriges Leben) verloren zu haben, wird hier gerne als besonders clevere Inszenierung (auch meinerseits) gesehen. Obwohl es nicht stimmt, fühle ich mich doch immer gleich besser, so gesehen zu werden. Was bin ich doch für ein cleveres Kerlchen. Und das stimmt dann wiederum, denn mein Leben ist hier noch einmal reicher geworden, als es bisher schon war. Jetzt nicht im materiellen Sinne – das nicht. Auch nicht nur an verrückten Meinungen und Lebensansichten wie die über den Sinn und Unsinn einer Arbeitslosenversicherung. Sondern vor allem reich an neuen Freunden, sowohl in Bulgarien, wo mir ein bulgarischer Freund einfach mal seine Ferienwohnung am Meer zur Verfügung gestellt hat, als auch in Deutschland, wo Freunde Pakete mit Büchern an mich auf den Weg bringen und sich um meine Post kümmern. Dafür bin ich sehr dankbar.
Foto&Text TaxiBerlin
Selbst in dem Buchladen in der bulgarischen Kleinstadt Goce Deltshev nahe der Grenze zu Griechenland ist das neue Buch von Hans-Joachim Maaz “Angstgesellschaft” erhältlich. Etwa ein Monat ist es her, dass es auf bulgarisch erschienen ist, der Preis liegt bei neun Euro. Im Sommer hatte ich mit meinem besten bulgarischen Freund und Übersetzer Martin gesprochen, den ich im letzten Sommer an einem Buchstand auf der Straße von Sofia kennengelernt habe, und mit dem ich seither befreundet bin. Ich musste weder Martin noch seinen Verleger, den Inhaber des in Sofia ansässigen Ost-West-Verlages, von dem Buch vom “Therapeuten meines Vertrauens” überzeugen. Dass das Buch Wert ist, übersetzt zu werden, darauf waren sie schon selbst gekommen. Was die Geschichte beweist, ist, dass die Wege in Bulgarien manchmal ganz kurz sein können. Das liegt auch daran, dass es nicht mehr viele Bulgaren in Bulgarien gibt – jeder dritte Bulgare lebt im Ausland. Das ist übrigens das Thema meines nächsten Artikels, der in der nächsten Woche veröffentlich wird. Zurück zu dem neuen Buch von Hans-Joachim Maaz, das in dem kleinen Buchladen nicht nur erhältlich ist, sondern ausgerechnet auch noch neben einem von Klaus Schwab steht. Ob dies in der Heimat auch so ist, also dass das Buch von Maaz in einem kleinen Buchladen in der Provinz im Regal steht, das kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Möglicherweise gibt es dort einfach gar keinen Buchladen mehr, in denen die “Angstgesellschaft” im Regal stehen könnte.
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