Bericht aus Bulgarien (417) “Hilferuf aus der Heimat”

Worauf wartest du?

In den letzten Tagen erhielt ich mehrere Anrufe aus der Heimat, die eines gemeinsam hatten. Der Anrufer brach während des Telefonats in Tränen aus, wofür aktuelle Gründe die Ursache zu sein schienen. Materiell geht es den Anrufern gut, oder vielleicht sollte man besser “noch gut” sagen. Keiner von ihnen hat bisher finanzielle Probleme. Das war also nicht der Grund für ihren Schmerz. Ich habe das getan, was ich auch in meinem Taxi getan habe. Ich habe einfach nur zugehört, Fragen gestellt, mich mit Kommentaren, Ratschlägen oder gar Urteilen zurückgehalten, denn ich wollte verstehen, wo der Schmerz bei meinen Anrufern herrührt. Auch sie sind erschöpft, keine Frage, wie es schon vor gut einer Woche in einer e-mail an mich stand. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass sowohl die Anrufer, als auch der Verfasser der e-mail, unter einer so genannten posttraumatische Belastungsstörung leiden. Dabei handelt es sich um eine psychische Erkrankung, die als Folge auf ein traumatisches Erlebnis auftreten kann. Das traumatische Erlebnis ist in dem Fall Corona, eine als lebensbedrohlich dargestellte Erkrankung, die angeblich die eigene Sicherheit und die von anderen bedroht. Aber nicht nur das. Der sichere Tod wurde uns allen praktisch garantiert, und das fast drei Jahre lang. Ein Trauma ist da nur folgerichtig. Und wer heute in der Heimat nicht traumatisiert ist, der sollte sich fragen, was mit ihm nicht stimmt. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich selbst habe mich vor diesem Trauma in den Schluchten des Balkans in Sicherheit gebracht. Spätestens nachdem mich aktuell die Hilferufe aus der Heimat erreicht haben, gehe ich nunmehr mit Sicherheit davon aus, dass demnächst weitere Landsleute diesen Weg auch gehen werden. Nämlich dann, wenn sie hungern oder frieren müssen (oder beides), weil die Kohle hinten und vorne nicht mehr reicht, denn die Inflation wird auch in Deutschland weiter voranschreiten. Habe ich mich anfangs gefragt, ob mein Gang nach Bulgarien eine Flucht war, komme ich nun immer mehr zu dem Schluss, dass ich damit nur erneut eine Vorhut darstelle. Früher war es der Gang nach Berlin, als sich noch keine Hipster und Party People dorthin trauten. Heute ist es der Umzug nach Bulgarien, was vielen demnächst bevorsteht. Und da kann ich alle beruhigen, die sich mit diesem Gedanken tragen oder gar schon auf gepackten Koffern sitzen. Es erwartet euch ein aufregendes Abenteuer in den Schluchten des Balkans, das euch gesund werden lässt und eure erlittenen Traumata heilen kann. Ihr braucht dazu nicht viel Geld, ihr müsste nur offen für Neues sein. Nur eines solltet ihr nicht tun. Noch länger in der Heimat warten, bis alle anderen sich auch auf den Weg machen, wie es mit Berlin passiert ist. Dann ist es zu spät. Deswegen möchte ich allen Unentschlossenen Mut machen. Fasst euch ein Herz. Habt keine Angst mehr. Und vergesst nicht: Das wichtigste im Leben sind die Veränderungen.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (416) – “Hipster trifft Zigeuner”

Im Café “Berlin”

Mein Dorf Spa wird unter Insidern auch der Kurort vom Kurort genannt, womit das Nachbarstädtchen gemeint ist. Kurort ist auch in Bulgarien das Wort für Kurort, wobei hier wiederum nur Insider wissen, dass Kurort aus dem Deutschen kommt. Im Kurort nebenan gibt es neben vielen Hotels und Pensionen auch das Gästehaus “Berlin”, was sich über dem Café “Berlin” befindet. Im Café “Berlin” habe ich mir früher immer mein Frühstück gekauft, eine Banitsa mit Boza. Das ist jetzt einige Zeit her. Bevor auch dort vor einem Jahr alles teurer wurde, war zuvor schon die Qualität der angebotenen Speisen schlechter geworden. Einfach deswegen, weil sich gute Qualität kaum noch jemand leisten kann. Das ist wie mit dem mit Palmfett versetzten Schafkäse aus Kuhmilch, über den ich gestern geschrieben habe. Gleich geblieben ist, dass das Café “Berlin” gerne und zahlreich von Zigeunern frequentiert wird. Für manch einen in Deutschland ist Zigeuner ein umstrittener Begriff, aber nicht für jeden. Beispielsweise nicht für Ralf Bauerdick, der vor jetzt genau zehn Jahren ein Buch mit dem Titel “Zigeuner” geschrieben hat. Auch in Bulgarien ist der Begriff Zigeuner nicht umstritten, genauso wie Gypsy es im Englischen nicht ist. Eine Fremdbezeichnung ist das Wort Zigeuner auch nicht, zumindest nicht in meinem Nachbarort, wo es ein eigenes Zigeuner-Viertel gibt, das so genannte Machala, in dem ich mich vor Jahren nach einem Esel für meine Wanderung umgesehen habe. Ich kenne auch einige Zigeuner aus dem Machala, beispielsweise den Maistor Manol, einer der besten Verputzer in der Region. Maistor Manol hat auch schon für mich gearbeitet. Der Mann ist aber – zu Recht – nicht ganz billig. Ein anderer Zigeuner-Maistor hat mir damals den Gepäcksattel für meinen Esel gebaut, den ich am Ende in meinem Dorf gefunden habe. Auch er ist ein Meister seines Fachs. Maistor Manol habe ich neulich auf dem Basar getroffen. Wir haben kurz gesprochen, es geht ihm gut, er hat wie immer viel Arbeit. Unterhalten haben wir uns auf Bulgarisch, mit seinen Leuten spricht er Zigeunerisch. Auch im Café “Berlin” wird viel Zigeunerisch gesprochen. Manchmal gehe ich genau deswegen noch hin, nur um diese für mich fremde Sprache zu hören. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich mir Berliner Hipster im Café “Berlin” des Nachbarorts vorgestellt habe. Möglich wäre es ja, immerhin ist es ein Kurort und verfügt dementsprechend über Hotels, Pensionen und – last but not least – das Gästehaus “Berlin”. Auch wenn ich keine Werbung für den Nachbarort – und schon gar nicht für mein Dorf – und das dortige Café “Berlin” unter Berliner Hipstern machen möchte, fände ich dieses Aufeinandertreffen – “Hipster trifft Zigeuner” – schon wieder reizvoll. Wenn also irgendein Berliner Hipster nicht nur die Hose auf der Hüfte trägt, sondern in seiner Hose auch noch einen Arsch hat, den er in die Schluchten des Balkans bewegen möchte, so ist er hier auf jeden Fall willkommen.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (415) – “Mit allem rechnen”

Bulgarische Weltkarte

In Bulgarien wird die Welt mit Äpfeln dargestellt, mit denen auch gerechnet wird. Bei mir im Dorf gibt es einen kleinen Laden, wo an der Kasse eine stabile Frau in typischer Lammfellweste noch mit einer Rechenmaschine aus Äpfeln rechnet. Für mich ist das nichts Neues. Schon in meinem Heimatort gab es ein so genanntes Russenmagazin, wo sich das gleiche Bild bot: Lammfellweste und Rechenmaschine an der Kasse. Neu ist, dass mir vom Kauf mancher Produkte abgeraten wird. Die Lammfellbewestete Frau in unserem kleinen Dorfladen meinte, dass der Schafkäse, den ich kaufen wollte, nichts für mich sei. Aber nicht, weil er nicht aus Schafmilch hergestellt war. Das sind die allerwenigsten, und nur wirklich Reiche können sich Schafkäse aus Schafmilch leisten. Der allermeiste so genannte Schafkäse ist aus Kuhmilch. Der Grund war, dass in ihm etwas drin ist, was da nicht reingehört, ähnlich wie bei der bulgarischen Butter – laut meiner Verkäuferin Palmfett. Und wer will das schon, Palmöl im Schafkäse, der gar kein Schafkäse ist. Die Alten in meinem Dorf haben aufgrund ihrer Immobilität keine Wahl, aber sie können sich auch nichts anderes leisten. Noch bin ich mobil, so dass ich das Geschäft ohne mit Palmfett angereicherten Schafkäse aus Kuhmilch verließ. Die Rechenmaschine kam also nicht zum Einsatz und die Äpfel liegen noch auf ihrem Platz auf der Weltkarte.

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Bericht aus Bulgarien (414) – “Easy Pay – Only Cash”

Eines von vielen “Easy Pay” Büros in Bulgarien

Überall in Bulgarien gibt es kleine “Easy Pay” Büros, in denen man alles bezahlen kann, zum Beispiel: Strom, Wasser, Telefon, sämtliche Versicherungen, Internet, Heizung und selbst Verkehrsstrafen. Darüber hinaus kann man Geld überweisen und meist auch tauschen. Früher habe ich meine Rechnungen immer in der Post bezahlt, aber das machen nur noch alte Leute. Obwohl ich nicht mehr der jüngste bin, bezahle auch ich jetzt seit einiger Zeit alles bei “Easy Pay”. Man muss mit der Zeit gehen. Bei mir sind das Strom (15-20 € im Monat), Wasser (40-50 € im Jahr), Autoversicherung (30 € im Vierteljahr), Internet (22 € im Monat, ich nutze den Vertrag eines befreundeten Paares, das im Winter in Berlin lebt), Telefon (Prepaid, ca. 5 € monatlich) und die Vignette fürs Auto (knapp 50 € im Jahr). Neulich habe ich auch eine Strafe von 10 € bei “Easy Pay” bezahlt, weil ich am Tage ohne Licht gefahren bin. Der Polizist meinte, dass 10 € ein Sonderangebot seien. Mir kam es etwas viel vor, aber in Bulgarien muss man immer mit Licht fahren. Am Ende habe ich auch die Strafe bei “Easy Pay” bezahlt. Praktisch gibt es nur eine Sache, die ich nicht bei “Easy Pay” bezahle, und das sind die Steuern für meine Hütte (20 € im Jahr) und fürs Auto (auch 20 € im Jahr). Die Steuern muss man im Obshtina (община), also im Landratsamt bezahlen. Für dieses Jahr habe ich noch nicht bezahlt, aber das werde ich demnächst machen, denn wenn man bis April bezahlt, spart man ein paar Prozente. Der Grund, dass ich darüber schreibe, sind nicht die niedrigen Preise und auch nicht, dass ich mir Berlin nicht mehr leisten kann, weswegen ich in Bulgarien lebe, was demnächst möglicherweise auch immer mehr Landsleute müssen. Der Grund, dass ich darüber schreibe, ist, dass man sowohl auf dem Landratsamt, als auch bei “Easy Pay” nur bar, also cash bezahlen kann. Viele Menschen in Bulgarien haben gar kein Bankkonto. Ich habe auch kein bulgarisches Bankkonto. Wie früher habe ich alles, was ich habe, immer in bar bei mir. Was ich nicht habe, ist die in Bulgarien dafür typische Tasche, die die meisten bulgarischen Männer über ihren Bauch hängen haben. – Man muss nicht jede Mode mitmachen.

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Bericht aus Bulgarien (413) – “Njama Tok”

Bulgarisches Stillleben

Seit zwei Tagen wütet ein Orkan im Nordwesten Bulgariens. Das Epizentrum des Orkans ist mein Dorf, weswegen es jetzt auch in den Nachrichten des Staatlichen Nationalen Radios “Christo Botew” erwähnt wird. Mein Dorf kannte vorher schon jeder Bulgare, und zwar wegen der Mineralquelle im Zentrum, aber vor allem wegen meinem Bürgermeister. Aber selbst der konnte nicht verhindern, dass wir seit letzter Nacht keinen Strom (няма ток – njama tok) hatten. Als ich ihn heute Mittag traf, lachte er nur und sagte: “Das wird schon!”. Zwei Stunden später hatte ich wieder Strom, was eine Spitzenzeit ist. (Meine Schwiegermutter in Kalifornien war vor genau einem Jahr einen ganzen Monat ohne Strom.) Auch sonst bin ich wohlauf. Ein Ziegel auf meinem Dach liegt etwas queer, aber was soll’s! Es gibt schlimmeres. Heizen muss ich auch nicht, denn der Wind ist ein Fön, der aus dem Süden kommt und warme Luft mit sich bringt. Knapp 20 Grad waren es heute Mittag. Das Wetter meint es wirklich gut mit mir, mal abgesehen vom Gott des Windes. Warum der nun ausgerechnet in die ärmste Schluchten des Balkans so stark reinblasen muss? Hängt es vielleicht mehr mit der Polverschiebung als mit dem Klimawandel zusammen? Ist letzterer gar eine Folge von erstem? Bloß nicht daran denken und vor allem keine Frage stellen! Wenn man in Deutschland eines gelernt hat in den letzten Jahren, dann war es das. Niemand kann es ihnen aus dem Hirn blasen, nicht einmal der stärkste Wind. Auch ich kann meinen Landsleuten nur das weitergeben, was mein Bürgermeister zu mir sagte: “Das wird schon!”.

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Bericht aus Bulgarien (412) – “Deutsche Butter”

Die allermeisten Bulgaren kaufen Deutsche Butter – vorausgesetzt natürlich, sie können es sich leisten. Es gibt auch bulgarische Butter in Bulgarien, die früher – zu sozialistischen Zeiten- auch mal richtig gut war, aber das ist lange her. Letztes Jahr habe ich herausgefunden, dass Deutsche Butter nicht gleich Deutsche Butter ist in Bulgarien. Was ich mir zuvor mit einer Unterbrechung der Kühlkette erklärt habe, im Sommer kann es sehr heiß werden in den Schluchten des Balkans, hat am Ende aber einen anderen Grund. Bevor ich dazu komme noch der Hinweis darauf, dass ich auf jedem Etikett der Deutschen Markenbutter bin, auch in Bulgarien bin.
Und zwar bin ich der Melker links im Bild. Auch ich hatte irgendwann einmal lange Haare. Die langen Haare sind zwar weg, aber ein Hippie bin ich irgendwie immer noch, und zwar einer mit Melkberechtigung. Ich melke gerade die Kuh, die es zum Bestehen der Prüfung mit der Hand zu melken galt. Die restlichen vier musste man mit Maschine melken, einer so genannten Rohrmelkanlage, und die war im Kuhstall rechts im Bild. Der Kirchturm unseres Dorfes war genau da, wo er auch auf der Verpackung ist. Doch zurück zum Thema: Deutsche Butter in Bulgarien.
Nur Deutsche Butter, auf der DE draufsteht (Bleistift), ist wirklich Deutsche Butter. Es gibt auch Deutsche Butter, die hat genau dieselbe Verpackung, und auf der auch ich drauf bin, wo aber anstelle von DE BG steht. Wirklich nur ein kleiner Unterschied, man muss ganz genau hinschauen, um ihn zu entdecken. Es ist bulgarische Butter, auf der Deutsche Butter drauf steht. Sie ist im Normalfall einen Lew (50 Cent) billiger, hat aber mit Deutscher Butter nichts zu tun. Sie schmeckt irgendwie ranzig, weswegen ich lange dachte, dass die Kühlkette unterbrochen gewesen sei, was aber nicht der Grund ist. Es ist irgendetwas in dieser Butter, was dort nicht reingehört. Jedenfalls verdient sie nicht den Namen Deutsche Butter und ich möchte auch nicht länger auf ihrer Verpackung sein. Aber was soll ich machen?
PS: Abgebildetes Stück Butter kostet aktuell in Bulgarien 7,50 Lewa, also 3,80 Euro.
Fotos&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (411) – “Bunker für Neutralität”

Die zahlreichen Gebirge in Bulgarien werden von Insidern auch als “Bulgarische Schweiz” bezeichnet. Ebenfalls nur Insider wissen, dass es in den Schweizer Bergen jede Menge Bunker gibt, über die Johnny Harris in obigem Video informiert. Die Schweizer haben ihre Bunker in den Vierzigern gebaut, um neutral bleiben zu können. Die Schweizer kennen sich also nicht nur mit Geld, Käse und Milchschokolade aus, sondern auch mit dem Bau von Bunkern. Laut Johnny Harris haben die Schweizer aus ihren Bergen, den Schweizer Alpen, eine regelrechte Festung gemacht, die sie aber nicht vor den 1.000 Privatjets der Reichen und Mächtigen schützt, die sich gerade wieder in Davos um den großen Penetrierer scharen. Das ist leider auch wahr. Vor dem bringt man sich besser in der “Bulgarischen Schweiz” in Sicherheit, auch wenn es hier keine Bunker, sondern nur Höhlen gibt. Ansonsten geht es den Bulgaren genauso wie den Schweizern. Sie denken anders darüber, was “die richtige Seite” im Ukraine-Konflikt ist, und sie denken an die Kosten des Krieges. Vermutlich geht es den meisten Deutschen ähnlich, auch sie wollen eigentlich neutral bleiben, können es aber nicht, weil ihnen ihre eigene Regierung einen Krieg aufzwingt. Es ist zu hoffen, dass irgendwann auch bei dieser ein Umdenken einsetzt, genauso wie es dem Amerikaner Johnny Harris erging, der obigen Film gemacht hat. Er kam zum Wandern in die Schweiz und sah, nachdem er tief in die Geschichte der Bunker eingetaucht war, das kleine Land in der Mitte Europas in einem völlig neuen Licht. Als ein Land, das keine anderen Länder kolonialisiert, sondern sich obsessiv in seine eigenen Berge eingräbt, um ihre Idee von Neutralität zu verteidigen – genauso wie die Bulgaren. 
Video JohnnyHarris
Text TaxiBerlin