Zurück in Bulgarien (002) – “Ankommen”

Beim bulgarischen TÜV

Das Ankommen in den Schluchten des Balkans ist immer das Schlimmste für mich. Es fängt damit an, dass mir das Fliegen tierisch auf die Nerven geht. Es ist ja auch nicht nur das Fliegen, sondern die ganzen Leute, der wenige Raum, die dämlichen Kontrollen, überhaupt die ganzen Schikanen. Erst muss man sein Wasser wegkippen, dann gibt es aber kein Wasser umsonst auf dem Flughafen. Da reise Schweine humaner. Dafür muss man jetzt durch den Duty Free, man hat keine andere Wahl, wo die Preise höher sind als im KaDeWe. Die meisten halten das für normal, was es aber nicht ist. Der Duty Free war früher preiswerter, deswegen ist man reingegangen. Man hatte die Wahl. Heute hat man sie nicht mehr. Man muss durch die Konsumhölle durch – ob man will oder nicht. Die allermeisten sind so taub bzw. betäubt, die kriegen das gar nicht mehr mit. Das meine ich mit degeneriert. Ich muss immer total aufpassen, dass ich mich nicht auch zurück entwickle. Nichts anderes heißt degeneriert. Denn das kann ich mir nicht leisten, weil ich immer sogleich tausend Sachen erledigen muss hier. Andere kommen an und machen gleich Party oder legen sich erstmal ins Bett. Das geht bei mir alles nicht. Ich muss mich sofort um den TÜV fürs Auto kümmern, vorher eine neue Versicherung abschließen und eine Vignette kaufen. Dazu muss das Auto fahrbereit sein, was es aber nicht war. Ich Idiot hatte die Handbremse angezogen, was man nicht machen darf, und nun war die Bremse blockiert. Erst schien es, dass sie sich gelöst hätte, was sich sogleich als Irrtum herausstellte, aber da stand ich schon auf dem Weg und im Weg. Jetzt war nicht nur die Bremse blockiert, sondern auch der Weg. Es ging weder vor noch zurück. Zum Glück wissen Bulgaren, was sie in einem solchen Fall tun müssen. Der degenerierte Deutsche hätte jetzt den ADAC angerufen und es würde ihn einen Dreck kümmern, dass er im Weg steht. Der Bulgare packt den Wagenheber aus, kurbelt das Auto hoch und baut das Rad ab. Dann schlägt er mit dem Hammer auf das Teil, am dem zuvor das Rad befestigt war und versucht es gleichzeitig zu drehen. Wenn der Weg unbefestigt ist, wie die meisten in Bulgarien, stellt er zur Sicherheit einen Holzklotz unters Auto, damit es nicht auf die Erde knallt, falls durch das Hämmern der Wagenheber wegrutschen sollte. Das sind beim Bulgaren eingeübte Abläufe, da muss ihm keiner was sagen, vor allem kein Deutscher. Verwunderlich ist das nur für einen Insider wie mich, der weiß, dass der Bulgare normalerweise jedes Ding wie zum ersten Mal macht, selbst wenn er sie schon Tausendmal gemacht hat. So schnell, wie das Rad ab war, war es auch wieder dran. Nur der Holzklotz wollte partout unterm Auto bleiben, weswegen er mit dem Vorschlaghammer bearbeitet werden musste. Am Ende hat der dämliche Holzklotz die meiste Arbeit verursacht. Immerhin, er hat sich nicht durchs Fussbodenblech gebohrt – das hätte noch gefehlt. Den Rest hat mein Bürgermeister minutiös geplant. Erst zu Zetzko, die Versicherung abschließen und bezahlen und die Vignette nicht vergessen. Dann zum TÜV zu Goshko, was fast zum Problem geworden wäre, weil ich nicht mehr im System war. Dass ich nicht mehr im System war, lag daran, dass meine Versicherung seit über einem Monat abgelaufen war. Und wenn die Versicherung länger als einen Monat abgelaufen ist, muss man normalerweise einen Tag warten, bis man wieder im System ist. In Berlin wahrscheinlich eine Woche, wenn nicht gar ein Monat. Nicht so beim Bulgaren. Bei ihm reicht es, wenn der Bürgermeister sagt, der Typ wohnt bei mir im Dorf – dann ist man im System. Drei Stunden für Versicherung, TÜV, Vignette inklusive der Operation an der Bremse auf dem unbefestigten Weg vor meiner zugewachsenen Hütte. Das ist eine Zeit, die kann kein anderes Land toppen, vor allem nicht Deutschland. Das musste ich meinem Bürgermeister nicht sagen, der kennt sich aus, der ist nicht degeneriert. Es geht bergab mit Deutschland, und bergab geht es immer langsamer. In den Schluchten des Balkans weiß man das.

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Zurück in Bulgarien (001) – “Dornröschenschloss”

in den Schluchten des Balkans

Während meiner viermonatigen Abwesenheit ist meine Hütte in den Schluchten des Balkans komplett zugewachsen. Jetzt brauche ich einen Monat, um den Ausgangszustand wiederherzustellen – für jeden Monat der Abwesenheit eine Woche. Dass ich so lange weg bleibe, war nicht geplant. Das lag auch an meiner Schwiegermutter, die Anfang Juli verstorben ist. Einige in meinem Dorf hier kannten meine Schwiegermutter, sie war letztes Jahr zu Ostern noch hier gewesen. Natürlich wollten die, die meine Schwiegermutter kannten, wissen wie es ihr geht. Sie können sich nicht vorstellen, dass diese vitale Frau gestorben sein soll. Und auch mir fällt es schwer, es zu akzeptieren. Im Oktober hatte sie sich boostern lassen. Meine Schwiegermutter gehörte zu den Amerikanern, die ihrer Regierung vertrauen. Im März ging es ihr plötzlich ohne ersichtlichen Grund von einem Tag auf den anderen schlechter. Es begann eine Odyssee von einem Arzt zum anderen und von einem Krankenhaus zum nächsten, bei der jemand anders das Kommando hatte, was meine Schwiegermutter gar nicht gewohnt war. Untersucht wurde immer nur das, wofür Geräte vorhanden waren und wofür es dementsprechend Geld gab. Das ist in Deutschland nicht anders. Gefunden wurde dies und das – wie das bei einer Person von 77 Jahren üblich ist. Die Nieren wurden bis zum Schluss nicht untersucht. Im Gegenteil, man gab ihr Medikamente, die den Nieren gar nicht gut taten. Ihre Niereninsuffizienz kann also auch Resultat der Behandlung gewesen sein, andererseits aber auch ein Impfschaden. Meine Schwiegermutter wäre nicht die erste mit dieser Impfnebenwirkung. Ob sie selbst an diese Möglichkeit gedacht hat, kann keiner sagen. Sie hat am Ende ihres Lebens viel nachgedacht. Worüber, darüber wollte sie nicht sprechen. Möglicherweise hat sie andere Erlebnisse ihres ereignisreichen Lebens Revue passieren lassen. Letztendlich kam sie zu dem Schluss, dass ein solches Leben in Abhängigkeit und mit ständigem Unwohlsein nicht lebenswert ist. Sie verlangte nach dem Schierlingsbecher, den sie, nachdem sie ihn zu sich nahm, zum großen Teil wieder auskotzte, so dass nicht sicher war, ob sie auch wirklich sterben würde. Der Pfleger vom Hospiz, das den Cocktail für sie bereitgestellt hatte, meinte, dass es wahrscheinlich nur länger dauern würde, ihr Sterben. Ausserdem sagte er, dass es mitunter hilft, wenn wir sie alleine lassen, da es Menschen gibt, die alleine sterben möchten. So geschah es dann auch. Im Nachhinein musste ich oft an die Aufforderung Nietzsches „Stirb zur rechten Zeit!“ denken. War es das, was er damit meinte? Ich weiß es nicht. Hätte Nietzsche sich impfen lassen?, um noch einmal auf die Frage zurückzukommen. Auch das weiß ich nicht. Meine Schwiegermutter dachte vermutlich: Was ich getan habe, habe ich getan. Sie wollte, dass sie verbrannt wird, was wir veranlassten. Ihre Asche konnten wir zehn Tage später abholen. Da meine Schwiegermutter keine Beerdigung und damit auch kein Grab wollte, ist ihre Asche bis jetzt bei uns. Noch haben wir sie nicht auf ihrem Grundstück verstreut, was ihr letzter Wunsch war. Manchmal frage ich mich, ob auch ich auf meinem Grundstück, das jetzt zugewachsen ist wie das Schloss von Dornröschen, verstreut werden möchte. Grundsätzlich kann ich es mir vorstellen, was auch an den bulgarischen Friedhöfen liegt, die einem Jungle gleichen. Dann kann ich auch in meinem eigenen Jungle liegen. Dass bulgarische Friedhöfe oft einem Jungle gleichen, liegt daran, dass viele Bulgaren ins Ausland gegangen sind. So wie die Häuser in Bulgarien verfallen, so verfallen auch die Friedhöfe. Es wird der Tag kommen, da werden Menschen nach Bulgarien kommen. Dessen bin ich mir, nachdem ich zehn Tage in Berlin war, sicherer denn je. Das Leben der meisten Menschen dort, viele von ihnen sind schon tot, ich hatte an dieser Stelle darüber geschrieben, ist unverbunden oder „völlig losgelöst“, wie David Bowie es in seinem „Major Tom“ besingt. Lange habe ich nach dem passenderen Wort neben „dekadent“ gesucht, das diese bedauernswerten Menschen ohne Wurzeln beschreibt. Jetzt habe ich es gefunden, es ist das Wort „degeneriert“.
Dass unser Flugzeug trotz 45-minütiger Verspätung praktisch pünktlich ankam, lag daran, dass der deutsche Kapitän den Turbo eingeschaltet hat. Das machte sich dadurch bemerkbar, dass das Flugzeug kurz in ein Loch fiel und es danach doppelt so schnell weiter ging, also wie mit Rückenwind und noch irgendwas, vermutlich die uns verfolgende Schallmauer. Hinzu kommt, dass er den Sofioter Flughafen gleich von der richtigen Seite, von Osten, angeflogen und damit Zeit gespart hat.
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“Fliegen wie früher”

Retro ist gerade angesagt, und so auch beim Fliegen. Nicht nur das Gebäude des Flughafen BER ist barock, sondern auch der Zugang zum Flieger. Zum Glück gibt es Linien auf dem Boden, die den schamlosen Fluggast wissen lassen, welche Gangway er nutzen soll, so dass die gelbbewesteten Einweiser sich wie auf dem Balkan wichtigeren Dingen widmen können, und zwar der Unterhaltung. Meine Sitzreihe 27 sollte den hinteren Eingang nutzen. Da auf dem Balkan nicht jeder lesen kann, gab es im Flieger das übliche drunter und drüber, das der Kapitän, ein Deutscher, mit dem Hinweis darauf beendete, dass wenn wir Fluggäste aber nicht ganz schnell zu Potte kommen, wir noch sehr sehr lange im Flieger in Parkposition zubringen würden. – Das hat gewirkt, die Menschen verstehen deutsch – wenn sie es wollen.
Wie der deutsche Kapitän es geschafft hat, trotz 45 minütiger Verspätung praktisch pünktlich auf dem Balkan anzukommen, dazu mehr im nächsten Beitrag.

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“Meine Rückkehr in die Schluchten des Balkans”

Mein englischer Freund Jerry, der am liebsten Deutscher wäre, hat sich gemeldet, um mir mitzuteilen, dass mein Bürgermeister im Dorf ein Spruchbanner für mich aufgehängt hat, was er sonst nur zu Ostern und zu Weihnachten macht. Darüber hinaus versucht er für meinen Empfang die Zigeunerkapelle aufspielen zu lassen. Ob daraus auch etwas wird, ist aber nicht gewiss. Sicher dagegen ist, dass Jerry meinen Kühlschrank aufgefüllt hat, vor allem mit saurem bulgarischen Joghurt.

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Von der Failed City in den Failed State

Berlin Oberbaumbrücke

Heute gehe ich von der Failed City Berlin zurück in den Failed State Bulgarien. Letzte Umfragen dort haben ergeben, dass 40 % der befragten Bulgaren der Meinung sind, dass die aktuelle Regierung unter Nikolai Denkow so schnell wie möglich gestürzt werden sollte. Der wichtigste Wandel in der öffentlichen Meinung ist die zunehmende Angst vor der Gefahr eines globalen Weltkriegs. In nur drei Monaten ist die Zahl der Menschen, die glauben, dass eine ernsthafte Gefahr eines Weltkriegs besteht, in den auch Bulgarien hineingezogen wird, um 16 % auf 47 % gestiegen, also fast die Hälfte der Bevölkerung. Dann könnten auch im Failed State Bulgarien bald Obdachlose in Scharen die Straßen und Brücken bevölkern, ganz so wie in der Failed City Berlin, wo der Krieg in den Köpfen bereits begonnen hat.

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Zurück in Berlin (009) – “Und Sonntags geht’s zum Flohmarkt”

Mein Bücherstand auf dem Boxi

Wenn es um Bücher geht, gibt es genau zwei Sorten von Menschen. Die, die sich für Bücher interessieren und die, denen Bücher am Arsch vorbei gehen. Auch wenn letztere nur vorbei laufen, sind einige von ihnen nett anzusehen. Es gibt Frauen, die sich rausputzen, wenn sie auf den Flohmarkt gehen. Von den Verkäuferinnen tut dies fast jede. Irgendwo hatte ich mal gelesen “das Auge fickt mit” – was auf jeden Fall stimmt, ist “das Auge verkauft mir”. Ich bin ein guter Verkäufer, wenn es um Bücher geht. Das wird mir immer wieder bestätigt. An Menschen, die sich nicht für Bücher interessieren welche zu verkaufen, das gelingt mir aber nur im Ausnahmefall. Dass ich den an Bücher interessierten so gut Bücher verkaufe, hat viel damit zu tun, dass auf dem Flohmarkt nicht das normale Buchgeschäft Publikum unterwegs ist. Meine Verkaufsschlager sind Nietzsche, Fromm, Osho, Maaz, Remarque, Hannah Arendt, Montaigne, Le Bon, Huxley, Bukowski, Henry Miller, Freud und Jung. Und wer geht schon in einen Buchladen, um sich Bücher von diesen Autoren zu kaufen. Vermutlich nur jeder zehnte, wenn überhaupt. Bei mir ist es jeder zweite. Dass ich ein guter Verkäufer bin, hat nicht nur mit meiner Auswahl und dem speziellen Flohmarkt Klientel zu tun, sondern auch damit, dass ich immer auch Neues ausprobiere. Diesmal hatte ich einen zweiten Stuhl dabei, so dass sich Interessierte auch hinsetzen und in ein Buch reinlesen konnten. Bücher sind, ähnlich wie Vinyl seit einiger Zeit, gerade wieder im Kommen. Das soll auch damit zusammenhängen, dass Bücher nicht verändert werden können. Im Gegensatz zum Internet. – Apropos, fällt mir gerade ein: Orwell geht auch immer.

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