Weidmannsheil

Im Moment weiß ich nicht, was ich zuerst essen soll auf meiner einsamen Insel. Am Samstag gab es sogar Fleisch aus Bulgarien. Ich betone das, weil Fleisch aus Bulgarien nicht mehr so leicht zu finden ist. Das meiste Fleisch ist importiert und schmeckt nach nichts. Viele Bulgaren fahren, wenn sie ihre Insel verlassen, beim Serben ran, um nochmal richtig Fleisch zu essen. Ich selbst habe das noch nie gemacht, obwohl der Serbe bei mir um die Ecke wohnt. Praktisch gleich hinterm Genossen Stalin, bei dem ich neulich Forelle essen war. Das mache ich ein- oder zweimal im Jahr, denn ich bin zum Vegetarier geworden hier. Das hat mir keiner vorgeschrieben, das hätte nicht funktioniert. Das hat sich so ergeben, weil es kaum noch genießbare Lebensmittel gibt in Bulgarien. Wie auch, wenn alle das Land verlassen. Selbst Tomaten, um nur ein Beispiel zu machen, werden mittlerweile importiert. Zwar nicht aus Holland, dafür aus Polen. Das Resultat ist dasselbe: Sie schmecken nach nichts, so wie in Deutschland. Von daher bin ich daran gewöhnt. Das Dumme ist, dass sich mein Geschmackssinn im Alter weiterentwickelt hat. Normalerweise lässt dieser nach wie das Hören und Sehen. Bei mir ist es – aus welchen Gründen auch immer – umgedreht. Deswegen esse ich vorzugsweise, was die Natur mir schenkt, und nicht was ich auf dem Markt finde. Die alte Oma, die dort noch sitzt, verkauft auch nicht mehr die Sachen aus ihren Garten, was ich lange dachte. Nein, der hat man auch schon Billig-Tomaten aus Polen untergejubelt. Dass man da die alte Oma hinsetzt, ist einerseits eine Marketing-Strategie. Anderseits gibt es auch nur noch Alte hier auf der Insel. Aber nochmal zurück zum Fleisch. Dass ich keins esse, liegt auch daran, dass bei mir, was das Jagen angeht, noch Luft nach oben ist, um es mal so zu formulieren. Die Jagdsaison hat ja gerade erst begonnen und Jagen steht ganz oben auf meiner Agenda. Im Winter isst man traditionell, aber vor allem instinktiv mehr Fleisch. Also nicht nur, weil es keine Tomaten gibt. Ich habe übrigens meine eigenen Tomaten, bin also nicht auf die aus Polen angewiesen. Wenn das mit dem Jagen den Winter über klappt, kann man im Frühjahr dann wieder fleischlos leben oder gar eine zeitlang fasten. Das hängt vom Jagderfolg ab: Weidmannsheil und Weidmannsdank!

Überleben im einem verlassenen Land

Auch wenn der ein oder andere noch hier ist, gleicht Bulgarien immer mehr einer verlassenen Insel. Oder mit anderen Worten: Keiner, weder Mann noch Frau, müsste sich wie in obigem Video 5.000 Meilen von zu Hause weg begeben, um sich wie auf einer verlassenen Insel zu fühlen – aber sei’s drum. Auch im Vereinigten Königreich geht es den Menschen immer noch zu gut. Das ändert sich schlagartig, nachdem sie auf einer einsamen Insel im Pazifik ankommen. Genau sind es zwei einsame Inseln, eine für die Frauen, die andere für die Männer. Und das war der zweite Punkt, weshalb ich bei obigem Video hängen blieb. Mein englischer Freund Jerry und ich gehen nicht nur regelmäßig zu Klassik Konzerten, sondern auch in den Wald und testen unsere Überlebensfähigkeiten. Ich will nicht zu viel verraten, aber ich habe auch diesbezüglich – und nicht nur was klassische Musik angeht – eine Menge von Jerry gelernt. Allen voran, dass es nicht so sehr auf die Ausrüstung ankommt. Ich erwähne das, weil insbesondere Deutsche oft eine teure Ausrüstung haben, trotzdem aber keinen Tag im Wald überleben würden. Das meint zumindest Jerry, der am liebsten Deutscher wäre, weswegen er sich auch mit der Ausrüstung der Deutschen auskennt. Was das Überleben der weltweit am Besten ausgerüsteten Deutschen angeht, erlaube ich mir kein Urteil. Ich kann zumindest eines bestätigen, und zwar dass der Deutsche einfach immer der Beste sein will und nichts dem Zufall überlässt. Und ich erlaube mir hinzuzufügen, dass die Natur so nicht funktioniert. Oder, um meinen englischen Freund Jerry zu zitieren: “How do you make God laugh? Tell him your plans …” – Zugegeben, das war jetzt eine lange Einleitung. Andererseits, zu obigem Video gibt es nicht viel zu sagen. Es wird ohnehin schon kommentiert. Vielleicht soviel: Bisher hatte ich immer den Ausrüstungs-Aspekt im Fokus. Dass es beim Überleben noch ganz andere Aspekte geben könnte, hatte ich gar nicht auf dem Schirm. Komisch, oder?

PS: Wer Lust auf mehr bekommen hat, hier gibt es Teil 2 und Teil 3 des weiblichen britischen Survival Desasters.

Traditionelles Zusammenkommen

Das ist neben dem Eingang zum Bürgermeisteramt bei mir im Dorf. Das Bürgermeisteramt befindet sich in einem Betonblock aus sozialistischen Zeiten, in dem sich auch die Post, die Bibliothek, ein Kinosaal und Räumlichkeiten befinden, in denen Kinder Volkstänze proben. Diese werden heute Abend auf dem Platz und der Straße vor dem Bürgermeisteramt aufgeführt, denn heute findet dort der alljährliche Dorfkirmes statt, der in gewisser Weise auch ein Erntedankfest ist. Daran erinnert obige Installation, die sich auf einem überdachten Übergang befindet, der einen guten Meter höher als der Platz davor ist und gleichzeitig die Bühne ist. Auf dieser wird heute Abend Djina Stoeva auftreten, die Sängerin ist der Höhepunkt der Dorfkirmes. Da ich Djina Stoeva nicht kenne, oder vielleicht sollte ich besser sagen noch nicht kenne, überlege ich heute Abend ins Dorf runterzugehen, um sie kennenzulernen. Man weiß nie, vielleicht braucht man sie nochmal. Jetzt muss ich erstmal meinen Grill an den Start bringen, denn ich bin bei den Nachbarn zum Mittag eingeladen und ich hasse es, mit leeren Händen zu kommen. Ich weiß, in Deutschland ist das üblich, und die Deutschen sind selbst in Bulgarien dafür bekannt. Hier ist es umgedreht. Man kommt mit vollen Händen und geht mit noch volleren. Das gemeinsame Mittagessen ist übrigens die Tradition einer Dorfkirmes in Bulgarien. Man kommt zusammen, isst und tauscht sich aus, und wenn man dann noch kann und will, geht man runter ins Dorf, um zu tanzen und einer Djina Stoeva zuzuhören.

Blumen und Bücher aber keine Klingel und auch kein Pass auf dem Boulevard Vitosha in Sofia / Bulgarien

Aleko Kontantinow auf dem Boulevard Vitosha

Gerade wird in der Heimat mal wieder über Bulgarien berichtet. Eine am Boulevard Vitosha in Sofia registrierte Firma soll etwas mit den von Israel im Libanon zum Explodieren gebrachten Pagern zu tun haben. Beim letzten Mal, als über Bulgarien berichtet wurde, ging es um einen Syrer, der in Solingen ein Blutbad angerichtet hat. Der sollte nach Bulgarien abgeschoben werden, dem Bulgarien auch zugestimmt hatte. Das Problem war, dass Deutschland nicht in der Lage war, den Syrer nach Bulgarien abzuschieben. Diesmal kein Syrer, sondern Pager, die beim Syrer um die Ecke im Libanon explodieren – immerhin. Zum Explodieren gebracht werden sie wie bereits erwähnt von Israel und nicht von Bulgarien. Das wichtigste hätte ich fast wieder vergessen. Immerhin werden bei den Explosionen Menschen verletzt und auch getötet. Fürs Töten soll der israelische Geheimdienst ein Netz aus Scheinfirmen errichtet haben mit Filialen in Budapest und Sofia. Die Ungarn dürfen nicht fehlen. Der US-Botschafter in Budapest kündigte bereits eine harte Gangart gegen Ungarn an. Die Berliner Zeitung spricht von einer “Brutalen Abrechnung”. Die hat zwar nichts mit den Pagern zu tun, passt aber zeitlich ins Bild. Noch einmal zur Erinnerung: Israel tötet damit Menschen – nicht Ungarn und auch nicht Bulgarien. Will man dem auf den Grund gehen, müsste man nach Tel Aviv reisen und nicht nach Sofia. Genau das hat aber der Spiegel, das ehemalige Nachrichtenmagazin aus Hamburg, getan. Es hat einen Mitarbeiter nach Sofia geschickt, und zwar am Donnerstag letzter Woche. Der Spiegel-Mitarbeiter soll das verschrammten Klingelschild auf dem Boulevard Vitosha 48 abgesucht haben, um danach festzustellen, dass es dort keine Spur des Unternehmens gibt. Der Wahnsinn! Sonst wird, geht es um Bulgarien, immer vom Ausland aus berichtet, in der Regel aus Istanbul. Diesmal schickte man einen Mitarbeiter, um ein Klingelschild abzusuchen. Ein Wunder, dass er nicht den Pass des Firmeninhabers auf dem Boulevard Vitosha gefunden hat. Aber jetzt im Ernst: Dass der Mitarbeiter nichts findet, hätte ich ihm vorher sagen können. Mich wundert, dass es überhaupt ein Klingelschild gibt. Diese Reisekosten hätte sich Bill Gates, Verzeihung der Spiegel, sparen können. Aber wenn der Mitarbeiter schon mal auf dem Boulevard Vitosha war, hätte er dafür über die dort letzte Woche stattgefundene Buchmesse berichten können. Oder zumindest über das Denkmal von Aleko Konstantinow am Ende des Boulevard Vitoshas, dessen Bücher ich herausgebe. Der wurde seinerzeit auch durch ein Attentat getötet. Da hätte er doch eine schöne Geschichte gehabt. Noch dazu eine wahre und keine 007-Home-Story. So ist außer Spesen mal wieder nichts gewesen.

Blumen für Aleko

Was mache ich hier?

Schwarzes Brett am Haus der Jugend in Montana

Dass mich eine Französin gestern beim Klassik-Konzert in Montana für den Dirigenten hielt, lag daran, dass ich mich in Schale geworfen hatte, wie man so schön sagt. In Bulgarien wird, nicht nur auf dem Dorf, ganz klar zwischen Klamotten unterschieden, die man nur zu hause trägt, und Klamotten, mit denen man sich in der Öffentlichkeit zeigt. Ja, es gibt auch hier Menschen, vor allem Männer, die draußen mit Jogginghose unterwegs sind, aber nicht so viele wie in Neukölln. Dass ich mich besonders herausputze, wenn ich raus gehe, liegt daran, dass ich auf dem Dorf wohne, und dort ganz am Rand. Wenn ich mir hier rausputze, sieht das keiner, und wenn doch, dann hält er mich für verrückt. Hinzu kommt, dass ich mich mit meinem englischen Freund Jerry im Wettbewerb um den “Best Dressed Man of Bulgarians North-West” befinde, der ärmsten Region des Landes, wenn nicht gar des Kontinents. Gestern war unser Outfit ziemlich ausgeglichen. Vielleicht war meins sogar besser, weswegen ich und nicht Jerry von der Französin für den Dirigent gehalten wurde. Es kann aber auch daran liegen, dass ich der jüngere von uns beiden bin. Der richtige Dirigent kam übrigens aus Amerika, und das Orchester aus Vidin, der Hauptstadt des bulgarischen Armenhauses. Das war auch der Grund, dass die Musiker nur Noten spielten und nicht wirklich in der Musik waren, die sie machten, und die immer wieder mal “out of tune” war, wie man im englischen sagt. Der Grund dafür hat, das meint zumindest Jerry, durchaus etwas mit der Herkunft der Musiker aus der Stadt Vidin zu tun haben. Die liegt nämlich zwei Stunden von Montana entfernt. Jerry, der selbst Musiker ist, ist sich sicher, dass die meisten Musiker des Vidin Symphonie Orchesters sich bei ihrem Auftritt im Haus der Jugend gestern vor allem eines gefragt haben: “What the f..k I’m doing here?”

Voneinander lernen

Heute fahre ich zusammen mit meinem besten Freund Jerry nach Montana zu einem Klassik-Konzert im dortigen Haus der Jugend. Da Jerry Musiker ist, werde ich wieder viel über Musik erfahren. Als ich ihm neulich von dem kostenlosen Konzert erzählt habe, hat er mir Rossinis Overture zu “Wilhelm Tell”, womit das Konzert enden wird, bereits vorgesummt. Vorher gibt es Mozarts Overture zur “Entführung aus dem Serail”, Beethovens “Fünfte” und den “Slawischen Tanz Nr. 2” von Dvojak. Der Dirigent ist ein gewisser Brent Douglas, der seinen Master an der Universität von South Florida gemacht hat, wo er mit Dr. William Wiedrich, Michael Francis (Florida Orchester) und Harold Faberman studiert hat. Douglas ist schon gemeinsam mit dem Berliner Sinfonietta, der Gwinnett Kammerphilharmonie aus Georgia und dem Bard College Sommer-Sinfonieorchester (beides USA) aufgetreten. Und jetzt das Symphonie Orchester Vidin, der Hauptstadt der ärmsten Region Bulgariens (wenn nicht der EU), das ganze für lau, zumindest für uns Zuhörer. – “Er ist den Weg gegangen, den wir alle einmal gehen werden”, fällt mir dazu ein, entnommen einer Todesanzeige aus DDR-Zeiten, die der Stasi entgangen war. Denn die Person war nicht gestorben, sondern in den Westen gegangen. Die Geschichte werde ich meinem Freund Jerry, der bereits mehr als 13 Jahre im Armenhaus Europas lebt, erzählen. Damit auch er von mir lernt, und ich nicht nur von ihm.

“Eine Gesichtserkennung findet nicht statt!” – Aber sagt man das nicht auch über Zensur?

Auch in Bulgarien wird mittels Kameras überwacht, beispielsweise Straßen wie oben auf dem Foto. Das Neueste, was ich gehört habe, ist, dass man Strafen bekommen soll aufgrund von Videoaufzeichnungen. Dies führt dazu, dass auf bulgarischen Straßen regelkonformer gefahren wird. Was Ordnung und Regeln angeht, war Deutschland in der Vergangenheit für viele Bulgaren ein Vorbild. Dies hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Heute lacht man eher über Deutschland oder hat Mitleid mit den Deutschen. Auch ich wusste bei meiner Recherche bezüglich der Videoüberwachung auf Berliner S-Bahnhöfen oft nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Vor der Fussball-Europameisterschaft wurden einige neue Kameras auf Berliner S-Bahnhöfen angebracht. Ich wollte wissen, wie viele genau. Weder die Deutsche Bahn, noch die Berliner S-Bahn hat Informationen darüber. Man weiß auch nicht, wie viele es 2010, 2015 und 2020 waren. Auch dem Berliner Datenschutzbeauftragten liegen keine Zahlen vor. Was die Aufzeichnungsdauer angeht, bis von Videokameras aufgezeichnetes Materiel gelöscht oder überschrieben wird, die variiert zwischen 72 Stunden und 30 Tagen. Was man immerhin sicher zu glauben wissen will, ist, dass keine Gesichtserkennung stattfinden soll. Oder vielleicht sollte man besser noch nicht sagen. Aber kann man den Aussagen auch wirklich trauen, wenn der Berliner S-Bahn selbst nicht einmal die Anzahl ihrer Videokameras bekannt ist? Das muss, wie so vieles in diesen Tagen, jeder für sich entscheiden. Meine heute in der Berliner Zeitung erschienene Recherche-Odyssee kann als Entscheidungshilfe dienen.

Im Antiquariat “Ortograph” in Sofia

Der nächste Krieg in Europa wird zwischen Russland und dem Faschismus stattfinden, nur dass der Faschismus Demokratie genannt wird. (Fidel Castro, 1992)

Auf meiner Rückreise vom Meer bin ich am Samstag kurz in Sofia rangefahren. Eigentlich wegen der dort gerade stattfindenden Buchmesse. Am Ende war mein Besuch bei Konstantin im Antiquariat “Ortograph” wichtiger. Und das nicht nur, weil mein Freund Konstantin mir wieder ein paar der von mir herausgegebenen Bücher abgenommen hat. Überhaupt war Konstantin, der Inhaber des Antiquariats, gar nicht da. Er hat Urlaub. Den Deal hat seine Vertretung abgewickelt. Nachdem Konstantin in den Neunzigern als Erntehelfer in Spanien war, spricht er spanisch. So erklärt sich seine Spanophilie und sein Interesse an Kuba. Von Konstantin weiß ich, dass immer mehr junge Menschen in Bulgarien kommunistische Literatur suchen. Das hat er mir vorletztes Jahr mal erzählt. Zu dem Zeitpunkt hat mich das ein wenig überrascht. Heute verstehe ich es besser. In der Heimat wählen jungen Menschen die AfD, in Bulgarien suchen sie Antworten in alten Ideen. Beiden gleich ist, dass sie mit der aktuellen Situation sehr unzufrieden sind. Der Unterschied: in Deutschland hofft man immer noch auf Lösungen im bestehenden System, in Bulgarien hofft man auf einen Systemwechsel. Der Grund dafür sehe ich darin, dass man in Bulgarien der “Demokratie” von Anfang misstraut hat. Bis heute wird die Wende hier “Demokratisierung” genannt, ganz bewusst in Anführungszeichen. Den ein oder anderen wird diese Hinwendung zu alten Ideen überraschen. Mich nicht. Nach dem Extrem-Individualismus ist dies nur folgerichtig. Den Extrem-Individualismus hat Rainald Grebe in seinem Lied vom Prenzlauer Berg so beschrieben: Sie sehen alle gleich aus – irgendwie individuell. Und damit das Kommende, die Wende zum uniformen Kollektivismus vorweggenommen.

Sie sehe alle gleich aus – irgendwie individuell (im Antiquariat “Ortograph”)

Nix Ballermann

Ein Freund in der Heimat hat neulich den Sonnenstrand an der bulgarischen Schwarzmeerküste als Ballermann bezeichnet. Mein Freund der Dudelsackspieler, der seit über 30 Jahren jeden Sommer am Eingang zu Altstadt von Nessebar spielt, wozu der nahe Sonnenstrand gehört, kann das so nicht bestätigen. Er, der nicht nur von den Besuchern des Sonnenstrands lebt, sondern sich mit ihnen auch austauscht, sagte mir, dass die allermeisten Touristen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken sind, allen voran aus der Ukraine, aber auch aus Moldawien. Russen findet man natürlich auch viele, dazu ein paar Polen, aber nur wenige Deutsche. Diese Touristen aus dem Osten kommen an den Sonnenstrand, weil er vor allem eines ist: preiswert. Aber auch, weil hier Frieden herrscht – zumindest noch. Es sind meist ältere Herrschaften wie auf obigem Foto, die mit einem Ballermann nichts am Hut haben. Eher ist es so, dass sie, obwohl Bulgarien wie gesagt preiswert ist, selbst hier jeden Lew noch zweimal umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben. Das wirkt sich natürlich auch auf die Einnahmen meines Freundes des Dudelsackspielers aus. Die Münzen in seinem Hut werden mit jedem Jahr kleiner und die Einnahmen dementsprechend geringer. Dass er sich trotzdem Tag für Tag aus dem knapp 40 Kilometer entfernten Burgas auf den Weg nach Nessebar macht, liegt vor allem daran, dass er hier seit über 30 Jahren jeden Sommer und bei jedem Wetter spielt. Ohne ihn und seinem unverwechselbaren Spiel auf seiner Gaida (гайда), wie der Dudelsack auf bulgarische heißt, wäre Nessebar nicht Nessebar. Hier ist er in Stein gemeißelt – nicht auf Sand gebaut.

Awtomagistrala Trakija

Unterwegs auf der Awtomagistrala Trakija, das ist die Autobahn von Burgas am Schwarzen Meer nach Sofia, muss ich feststellen, dass es hier zwar Haltemöglichkeiten gibt, von “Rastplätzen” will ich aber nicht sprechen, weil sie allesamt ohne sanitäre Einrichtungen sind. Aber gut, ich habe ja schon immer gesagt, dass man nicht wegen den Toiletten nach Bulgarien kommt. Andererseits beklage ich mich aber auch immer und gerne über die Toiletten an Autobahnen in der Heimat. Das sind oft stinkende Kloaken mit viel Edelstahl, der an Schlachthöfe erinnert. Das gibt es hier nicht. Hier an der bulgarischen Autobahn gibt es gar nichts, außer ein paar Riesen Beton-Mülleimern, die so groß sind, dass man darin seine alten Reifen entsorgen kann. Und natürlich – vielleicht das wichtigste – einen schön ausbetonierten Graben am Rand des “Rastplatzes”, in dem alles abfließt, was fließen kann, und der mich an den neu ausgehobenen Graben rings um den Reichstag – unserem Parlament – in Berlin erinnert.