Bericht aus Bremen (3)

Das “Hotelschiff” auf der Weser
In zehn Tagen werde ich nun meinen Leser und Sponsor Joachim aus Bremen hier in Bulgarien persönlich kennenlernen, und auch seine Frau. Bisher kennen wir uns nur per e-mail, das aber schon seit gut vier Monaten. Auch ich bin schon sehr gespannt, Joachim, der für mich zu einem älteren Bruder geworden ist, nun auch leibhaftig zu treffen. Und auch ich habe dieselben Überlegungen wie er im nachfolgenden dritten Bericht aus Bremen. Teil Eins hatte einfach nur den Titel “Bulgarien” und Teil Zwei “Gegengifte”. Das Foto zum Text hat auch wieder Joachim beigesteuert.
Ich selbst bin seit gestern Abend in Sofia, wo heute früh um acht die Transportbranche, zu der auch Taxis gehören, sämtliche Straßen blockieren will. Öffentliche Verkehrsmittel werden dann wohl nicht mehr fahren, was für die Schüler ein Problem sein dürfte, die heute ihre Reifeprüfung schreiben. Sie müssen, wollen sie an der Prüfung teilnehmen, so wie ich zu Fuß gehen. Am Abend will ich zu “Carmina Burana”, wo die russische Frau von meinem besten bulgarischen Freund Martin mitsingen wird. Außerdem recherchieren Martin und ich für einen gemeinsamen Text zur “militärtechnischen Hilfe” der Ukraine durch Bulgarien. Wenn nichts dazwischen kommt, wird noch im Mai ein neuer Text von mir auf Multipolar erscheinen, der mit Bulgarien nichts zu tun hat. Das genaue Thema will ich aber noch nicht verraten – das bringt Unglück.
Bericht aus Bremen (3)

Was machen eure Vorbereitungen, es sind doch nur noch vierzehn Tage, fragt Rumen. Da möchte ich zurückfragen: Wie bereitet man sich vor auf einen Urlaub in einem Land, das noch völlig unbekannt ist? Wir waren vor Jahren in Ecuador, auch das ein völlig fremdes und für uns unbekanntes Urlaubsziel. Damals jedoch konnten wir von unserem Sohn durchs Land, zumindest einem Teil davon, geführt werden. Er war schon ein Jahr lang dort und wir wussten uns aufgehoben und gut begleitet.

Aber Bulgarien? Gut, es gibt die Hin- und Rückflugzeiten. Es gibt auch die Planung der Route. Die genauen Adressen erhalten wir bei Ankunft, ebenso wie eine ausgedruckte Version der detaillierten Reisebeschreibung. Klingt konspirativ. Soweit aber sind wir vorbereitet. Doch Bilder zu den Landschaften und Menschen, den Städten und Dörfern, existieren nur bruchstückhaft in meinem Kopf. Da mag das Lesen von Büchern helfen, zumal dann, wenn sie so lebhaft geschrieben sind wie der Bulgarienführer von Sibila Tasheva. Ihr gelang es, mir Land und Leute in leuchtenden Farben näher zu bringen.

Rumens Vorschlag, doch die Leitscharoff als Gegengift zu lesen, hat nicht funktioniert. Ich kümmerte mich nicht um ihre persönlich gefärbten Meinungen. Davon gab es einige, die allerding sehr platt und undifferenziert daherkamen. So zum Beispiel, als sie schreibt “Rumen Apostoloff möchte uns die Schätze Bulgariens zeigen. Meine Schwester und ich wissen es besser: solche Schätze existieren nur in den bulgarischen Hirnen. Wir sind überzeugt, Bulgarien ist ein grauenhaftes Land – nein, weniger dramatisch: ein albernes und schlimmes.” 

Beim Lesen merkte ich, dass ich nach den Stellen Ausschau hielt, die mir ein positives Bild vermitteln. Es gibt nicht viele davon, doch es gibt sie. Zum Beispiel dort, wo sie über Plovdiv, der zweitgrößten Stadt Bulgariens, schreibt: “Wirklich eine Freude, wohin man sich wendet. Die Häuser sehen überraschend anders aus, als wir sie aus gut erhaltenen westeuropäischen Städten kennen. Der raffinierte Oberbau aus Holz mit seinen Erkern, den Medaillons und Schmuckbändern, die zu Gevierten sich schließende Bebauung, die Farbenspiele – rostrot ausgeziertes Holzdunkel oben, Sandhelle unten, dazwischen ein kräftiges Blau –, eine Augenweide sind sie.” 
 
Nun, ich werde andere Gegengifte wirken lassen oder zumindest ausprobieren. Rumens Liste enthält noch interessante Titel. Unter anderen, etwas älteren historischen Werken stachen mir zwei ins Auge, die möglicherweise die Vater-Problematik wieder aufnehmen: “Vaters Land” von Evelina Jecker Lambreva und “Der bulgarische Arzt” von Nicki Pawlow. Ich habe mich für die in Luzern lebende Psychotherapeutin Evelina Jecker Lambreva entschieden. Ob sie mir die positiven Flausen austreiben wird? Das wird sich zeigen.

Unsere Vorbereitungen bisher: Zugticket und Flugticket hin und zurück gebucht, eine Karte (wasserfest) und einen richtigen Reiseführer gekauft. Und, fast verschämt möchte ich es hier gestehen, einen Sprachführer, der ständig danach ruft, doch endlich aufgeschlagen und gelesen, wenn nicht sogar auswendig gelernt zu werden! Dem Sprachführer habe ich dann doch noch ein Schnippchen geschlagen. Ich kaufte mir ein Gerät, dass Bulgarisch synchron ins Deutsche übersetzt und umgekehrt. Ich werde mir blöd vorkommen, wenn ich meinen bulgarischen Gesprächspartnern dieses Gerät hinhalte, doch stelle ich mir vor, dass sie es selbst praktisch finden werden, auf diese Art in ein Gespräch zu finden. Auch dies wird sich zeigen.

Ab und an kommen mir Gedanken in den Kopf, die auch in die Vorbereitung gehören. Es sind eher Fragen, deren Beantwortung noch aussteht. Wie werden wir untergebracht sein? Wie wird das Essen wirklich schmecken dort? Stimmt es, dass die Duschköpfe in manchen Bädern über der Toilette angebracht sind und keine Duschkabinen oder Duschvorhänge existieren? (Hier kommt der verwöhnte Warmduscher zum Vorschein). Wie wird die Internetverbindung sein? (Angeblich eine der besten weltweit.) Natürlich ist die Internetanbindung bei der Erkundung eines neuen Landes nicht wichtig. Es wäre sogar angesagt, sich eine Internet-Auszeit aufzuerlegen, um mehr im direkten Kontakt und Austausch zu bleiben als totes Wissen aus zweiter Hand zu konsumieren. Dennoch, ich bin Fernlehrdozent und werde unterwegs noch eine Abendsitzung bestreiten müssen.

Zur geistigen Vorbereitung zählt für mich auch die Frage, wie es sein wird, dem Berliner Taxifahrer in den Schluchten des Balkans ein erstes Mal zu begegnen. Werden wir überrascht sein über unser Aussehen im “Real Life”? Ich traf einst einen Online-Kurs Teilnehmer in echt und konnte fast nicht glauben, dass dieser so groß gewachsen war. Auf dem Bildschirm sah ich ihn nur ab Brust aufwärts und wähnte ihn auf gleiche Größe wie ich. Werden wir befangen sein beim ersten Treffen ob der Situation in der Fremde (für mich) und der Wahlheimat (für ihn)? Ist das Sprechen befremdend, wo wir uns bisher doch nur schriftlich begegneten? Wird uns eine (Un-)Art im Sprechen, im Bewegen oder an der Kleidung triggern und eher auf Abstand halten?

Ich wünschte mir, unbefangen sein zu können. Manchmal gelingt es mir. Immer dann, wenn ich daran denke, dass vieles sich fügt im Leben, wenn man den ersten Schritt ins Neue gewagt hat. In meinem Nachbarort im Süden Deutschlands wohnte Hermann Hesse Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Aus seinem Gedicht “Stufen” stammt das Zitat “Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.” Daran erinnere ich mich gerne, wenn mir zweifelnde oder gar ängstliche Fragen zu meinem Vorhaben in den Sinn kommen.
Foto&Text JoachimBremen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert