Leben in Zeiten von Corona – Heute: Deutschland : Bulgarien – 5:1

 

Angebote im „Barchen“ meines Bürgermeisters

Das Resultat meiner Arbeitssuche auf dem Balkan ist nach einem Monat immer noch Null, um ganz genau zu sein Null Komma Null, oder wegen mir auch 0:0, wenn ich die Anzahl der Fahrgäste in Berlin mit den Jobs hier ins Verhältnis setze. Wie zum Schluss in meinem Taxi habe ich Zeit ohne Ende, und so sitze ich jeden Abend in der einzigen im Dorf verbliebenen Kneipe bei meinem Bürgermeister, und wir schauen uns zusammen die Fußballspiele an. Ich muss dazu sagen, dass ich überhaupt kein Kneipentyp bin, und der Begriff Kneipe auch reichlich übertrieben ist. Es ist eher ein „Kneipchen“, die genaue Bezeichnung ist „Barchen“, die Verkleinerungsform von Bar, der Bulgare liebt die Verkleinerungsform. Manchmal schauen mein Bürgermeister und ich auch zusammen Nachrichten, aber Korruption und Vetternwirtschaft, die es, geht es nach den von Versace eingekleideten Moderatorinnen und Moderatoren im Fernsehen, nur hier in Bulgarien gibt, ist auf die Dauer doch etwas monothematisch – dann lieber Fußball.

Ich kenne meinen Bürgermeister nun seit gut 20 Jahren, schon damals hatte er seine Kneipe, obwohl er noch gar nicht Bürgermeister war. Später, als er bereits einige Zeit Bürgermeister war, eröffnete plötzlich im Örtchen und keine hundert Meter entfernt eine weitere Kneipe mit dem Namen „Beim Bürgermeister“, was man heute wohl als „fake news“ bezeichnen würde. „Beim Bürgermeister“ hat aber nicht wegen dieser „alternativen Fakten“ seit letztem Jahr geschlossen, sondern weil es sich im Dorf niemand mehr leisten kann, überhaupt in irgendeine Kneipe zu gehen. Dazu gleich mehr.

Im Dorf gibt es auch einen kleinen Lebensmittelladen, in dem das Billigste vom Billigen angeboten wird. Neulich wollte ich mir dort etwas Schafkäse kaufen, woraufhin mich die Verkäuferin, die mich genauso lange kennt wie ich den Bürgermeister, darauf hinwies, dass dieser Käse nichts für mich sei. Aber nicht etwa, weil er nicht aus Schaf- sondern aus Kuhmilch war, was im ärmsten Land Europas die Regel ist, sondern weil er vor allem aus Palmfett bestand, was noch billiger ist als Kuhmilch, man mit Palmfett also noch mehr Geld machen kann als mit Milch von der Kuh im Schafkäse. Mit der einst wohlschmeckenden bulgarischen Butter verhält es sich genauso. Bulgarische Butter heute ist Margarine, also Pflanzenfett, selbst Bulgaren kaufen jetzt deutsche Butter, vorausgesetzt sie können es sich leisten. Ich ließ also die Finger vom Schafkäse aus Palmfett und kaufte nur ein wenig Weißbrot, ohne das kein Bulgare überleben kann, das aber auch nicht mehr das ist, was es mal war, wobei mir nicht klar ist, was man beim Brotbacken noch einsparen und zu Geld machen kann. Vielleicht sollte ich auf Kartoffeln aus Deutschland umsteigen, die es mittlerweile auch in Bulgarien zu kaufen gibt.

Wenn die Verkäuferin nicht arbeitssuchende Gastarbeiter aus Deutschland vor ihrem Angebot warnt, bedient sie tagsüber auch die nicht vorhandenen Gäste in dem sich gleich neben ihrem kleinen Verkaufsladen befindenden „Barchen“ von meinem Bürgermeister. Am Abend ist mein Bürgermeister selbst der Barmann in seinem „Barchen“, dann serviert er mir die eisgekühlte Coca-Cola in der 250 ml Glasflasche für einen bulgarischen Lewa, was fünfzig Cent sind, Trinkgeld wird nicht akzeptiert. Das mit der Glasflasche ist wichtig, weil es in Bulgarien auch Plastikflaschen gibt, die nicht nur größer, sondern auch billiger sind, aus denen aber dem Bulgaren nichts so recht schmecken mag. Aus Plastikflaschen trinken in Bulgarien nur arme Menschen, aus Glasflaschen zu trinken ist also nicht nur eine Frage des Geschmacks sondern auch der Ehre. Mein Bürgermeister und Barmann ist nicht nur ein lieber netter Mensch, sondern auch einer, der sich um seine Leute, nicht nur in seiner Bar, sondern auch in seinem Dorf kümmert. Obwohl meinem Bürgermeister nichts über sein Dorf und dessen Bewohner geht, und er auch noch nie in Deutschland war, findet er es als Land gut. Deutsche leiden kann er aber nicht. Das sind ihm zu künstliche Menschen, die Deutschen, sagt er. Bei mir macht er aus alter Freundschaft, und weil ich treuester Kunde bin, eine Ausnahme.

Der Bulgare bringt es fertig, an jemanden etwas nicht zu verkaufen, selbst wenn er das Geld dringend nötig hat, nur um der Ehre willen. In diesem Punkt ist er irgendwie wie ein Deutscher, der bekanntlich etwas um seiner selbst Willen tut oder zumindest irgendwann einmal getan hat. Das „Barchen“ von meinem Bürgermeister, das sei noch erwähnt, ist genau genommen ein Gemischtwarenladen, in dem es beispielsweise auch Einmalrasierer (Foto) zu kaufen gibt. Den letzten Einmalrasierer hat mein Bürgermeister vor über einem Jahr verkauft. Seither rasiert sich niemand mehr im Dorf.

Das hängt auch mit dem Kurzarbeitergeld zusammen, das in Bulgarien gänzlich unbekannt ist. Mit dem Arbeitslosengeld, welches es gibt, verhält es sich in Bulgarien dagegen wie in Deutschland: Es gibt 60 %, allerdings nur neun, maximal 12 Monate – danach Null, also nichts. Hat der Bulgare, um mal ein Beispiel zu machen, vorher sagen wir 500 Lewa im Monat verdient, was für unsere ärmste Region im Nordwesten des Landes ganz OK ist, bekommt er, wenn er beispielsweise durch das planmäßige Herunterfahren der Wirtschaft seinen Job verloren hat, etwa 300 Lewa Arbeitslosengeld vom „bjuro po truda“, dem bulgarischen Arbeitsamt, was immerhin 150 Euro im Monat bzw. fünf Euro am Tag sind, das ganze wie gesagt maximal für ein Jahr.

Ich erwähne das „bjuro po truda“ auch, also das bulgarische Arbeitsamt, weil ich mich dort melden musste, damit das mit der „Leistungsmitnahme“ während meiner Arbeitssuche in den Schluchten des Balkans beim Jobcenter in Berlin durchgeht. Auch wenn ich ansonsten nicht gerne über Geld schreibe, so möchte ich an dieser Stelle eine Ausnahme machen, damit ein jeder versteht, allen voran ich selbst, warum ich mich gelegentlich wie ein Betrüger fühle in Bulgarien. Dabei hat der Bulgare, im Gegensatz zu mir, keine Wohnung in Berlin, für die er Miete zahlen muss, sondern wohnt hier in seinem eigenen Haus. Erwähnte 60 % Arbeitslosengeld sind bei mir zwar immerhin 600 Euro im Monat, also 20 Euro am Tag, aber 600 Euro kostet alleine schon meine Wohnung in Berlin im Monat, und das ist noch preiswert. Warum ich es mir leisten kann, jeden Tag bei meinem Bürgermeister in der Kneipe zu sitzen und eine eisgekühlte Coca-Cola aus der Glasflasche für 50 Cent zu trinken, manchmal sogar zwei, das verstehe ich jetzt, wo ich darüber schreibe, selbst nicht mehr. Denn rein rechnerisch bin ich derjenige, der auf Null ist, genau Null Komma Null, oder wegen mir auch 0:0 – und zwar jetzt schon, trotz „Leistungsmitnahme“ aus Deutschland. Betrüger sehen anders aus!

Neulich war es nun so, dass ich nicht der einzige Gast in dem „Barchen“ von meinem Bürgermeister war. Zwei ebenfalls unrasierte Dorfbewohner hatten sich aus alter Gewohnheit an dem ehemals vertrauten Ort eingefunden. Wir waren also zu viert: Die beiden ehemaligen Stammkunden, mein Bürgermeister und ich. Nicht nur, weil mein Bürgermeister ein professioneller Barmann ist, sondern auch weil dies in Bulgarien so üblich ist, hat er seinen Gästen etwas zu trinken angeboten. Natürlich nicht irgendwas, sondern ihr Lieblingsbier, das er weiß, weil sie einst seine Stammkunden waren. Und obwohl ich den Eindruck hatte, dass es sich spätestens nach der zweiten Nachfrage um eine Einladung handelt, das Bier also auf Kosten des Bürgermeisters gehen würde, wurde dieses dann noch weitere drei Mal – also insgesamt fünf Mal! – abgelehnt. Am Ende hatten beide gegen ihren ausgesprochenen Wunsch ihr Lieblingsbier, eisgekühlt und in der Glasflasche vor sich zu stehen. Zur Feier des Tages, Deutschland hatte gerade gegen ins eigene Tor schießende Portugiesen 4:2 gewonnen, gönnte ich mir eine zweite eisgekühlte Coca-Cola für umgerechnet 50 Cent in der 250 ml Glasflasche.

Heute spielt nun Deutschland gegen England, und ich werde wieder in die Kneipe gehen, obwohl ich wie gesagt gar kein Kneipentyp bin, um mir das Spiel zu anzusehen. Vermutlich werde ich wieder alleine im „Barchen“ von meinem Bürgermeister sitzen. Auch wenn er wie gesagt Deutschland als Land mag, so kann er das Spiel der Deutschen nicht leiden. Selbst das ist ihm zu künstlich. Ich selbst gehe nur in die Kneipe, damit mein Bürgermeister nicht ganz alleine dort sitzt. Auch ich kümmere mich um meine Leute. Deutschland gegen England geht mir sonstwo vorbei, ist für mich nur Brot und Spiele. Deswegen macht es mir auch nichts aus, heute auf die eisgekühlte Coca-Cola für 50 Cent in der Glasflasche zu verzichten. Ich fülle mir einfach vorher am Brunnen vor der Kneipe etwas Mineralwasser ab. Das geht auch, schließlich sind wir Bulgarien!

Wobei, jetzt wo ich darüber schreibe, bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich damit nicht auch bereits zu künstlich, also zu deutsch bin. Ich meine, was soll die ganze Rechnerei und das Nachdenken darüber, was ich mir leisten kann und was nicht. Das hängt doch auch vom Spiel ab, oder? Ob sie wieder deutsch, also berechnend spielen, oder mit dem Herz dabei sind. Und überhaupt, vielleicht lädt mein Bürgermeister mich ja auf ’ne eisgekühlte Coca-Cola in der 250 ml Glasflasche ein. Um auf Null zu bleiben und nicht ins Minus zu gehen, muss ich dann nur noch bis fünf zählen können. Nur bis drei zu zählen könnte klappen, muss aber nicht. Mit fünf bin ich auf der sicheren Seite.

Foto&Text TaxiBerlin

Leben in Zeiten von Corona – Heute: Alle zusammen – Mach mit!

„all together“ – eigentlich das Motto der Bulgaren

Neulich, es war noch in Berlin, habe ich mich mit jemandem über die bevorstehende Fußball-EM unterhalten. Plötzlich meinte dieser jemand, der mich nicht richtig kennt, dass ich gar keine Ahnung vom Fan-sein hätte. Er sagte nicht, ich hätte keine Ahnung von Fußball, wobei bereits diese Aussage zweifelhaft gewesen wäre, sondern dass ich keine Ahnung vom Fan-sein hätte, weil ich, und jetzt kommt das beste, nie Fan gewesen wäre. Wie derjenige darauf kommt, der mich wie gesagt gar nicht kennt, dass ich nie Fan gewesen sei, wäre auch noch mal einen Beitrag wert, allerdings von demjenigen, der behauptet hat, dass ich keine Ahnung vom Fan-sein hätte. 

In diesem, meinem Beitrag geht es um meine Arbeitssuche in Bulgarien, die jetzt nach nur vier Wochen Fahrt aufnimmt, wobei mir die Fußball-Europameisterschaft zu Pass kommt und auch die eingangs erwähnte Unterhaltung. Denn eines stimmt zumindest, und zwar dass ich kein Fan von irgendeiner Fußball-Mannschaft bin. Das heißt aber nicht, dass ich keine Ahnung vom Fan-sein hätte – ganz im Gegenteil. Vor allem bedeutet es aber, dass es für mich als bekennender Nicht-Fußball-Fan, sozusagen als Fußball-Fan-Nihilist, viel leichter ist, vom Fan-sein anderer zu profitieren. Nach nur vier Wochen Arbeitssuche in Bulgarien ist mir nämlich klar geworden, dass eine normale, also abhängige Beschäftigung für mich nicht in Frage kommt. Das hängt auch mit meiner früheren Freiheit im Taxi zusammen, selbst wenn dieses nicht mein eigenes war. In Bulgarien, wo das Taxigewerbe um 25% eingebrochen ist, ganz ohne Uber übrigens, die aber schon wieder vor der Tür stehen, ist das Taxifahren keine Option für mich, sondern kommt für mich nur eine freischaffende Tätigkeit in Frage, die hier Business-Man heißt. 

Die Fußball-EM ist nur der aktuelle Anlass für meine Geschäftsidee, so wie Corona nur der Anlass für den Niedergang des Taxigewerbes ist, der in Berlin demnächst mit der Abschaffung der Ortskundeprüfung für Taxifahrer enden wird. Das Ende vom Ende sozusagen, denn dann kann wirklich jeder Idiot Taxifahrer werden, so wie heute schon jeder Idiot Überfahrer Uberfahrer werden kann. Jedes Ende ist aber immer auch ein Neuanfang oder kann es zumindest sein. Viele Marktteilnehmer verschwinden auch einfach vom Basar, gehen entweder ins gelobte deutsche Land oder in die ewigen Jagdgründe ein. Auch das gibt es. Die gerade über ganz Europa verteilt stattfindenden Fußball-Spiele, wo wieder viel geflogen werden muss um von A nach B zu kommen, was es eigentlich gar nicht mehr geben soll, was aber schon wieder ein anderes Thema ist, hat mich auf die Idee gebracht ins Retro-Geschäft einzusteigen, in gewisser Weise also zurück zu gehen, was auch sonst gut zu mir passt, wie ich denke.

Das Retro-Geschäft ist nicht jedermanns Sache, das ist leider auch wahr. Dafür kleiden sich immer mehr Menschen Retro, dir wird das auch aufgefallen sein. Und da sind alle die, die nie zurückblicken, die, die am meisten Retro tragen. Das ist wie mit dem Fan-sein, wo alle die die fanatischsten sind, die anderen vorwerfen, niemals Fan gewesen zu sein und sich deshalb kein Urteil übers Fan-sein erlauben zu dürfen. Das gab es früher nur in Bulgarien. Da durften sich auch nur Bulgaren ein Urteil über Bulgarien erlauben. Dass es das jetzt auch in Deutschland gibt, hängt möglicherweise auch mit der schleichenden Balkanisierung zusammen. Eine Idee von mir, die ich auch gerne zur Geschäftsidee gemacht hätte, wenn ich nur gewusst hätte, wie. Deswegen jetzt das Retro-Geschäft, das nur funktioniert, weil es hier in Bulgarien noch keine chinesischen Billigläden wie bei uns gibt, sondern ein Second-Hand neben dem anderen ist, in denen Klamotten aus Deutschland angeboten werden. Und da finde ich gerade passend zur Fußball-EM jede Menge Trikots, T-Shirts und Trainingsanzüge, viele davon wie neu oder ganz und gar ungetragen.

Das rote Adidas-Shirt mit der Aufschrift „espana – all together“ (eigentlich das Motto der Bulgaren, die am liebsten alles zusammen machen) beispielsweise ist komplett neu, hatte noch das Etikett der EM von 2012 dran. Damals sollte es 35 Euro kosten, im bulgarischen Second-Hand kostet es zwei Lewa, was ein Euro ist. Ich habe es nur einmal kurz in hiesiges Wasser gelegt, also gar nicht richtig gewaschen, und werde es sogleich für 25 Euro im Internet anbieten. Das bulgarische Wasser ist so weich, da kommt der Dreck von ganz alleine raus, im Gegensatz zum Wasser in Deutschland, das so hart ist wie die Menschen, die selbst ihren Schmutz nicht freiwillig hergeben. Nicht alle Retro-Sachen sind wie neu, an manchen muss auch etwas gemacht werden, ins Wasser legen alleine reicht da nicht. Dafür habe ich jetzt Krassimira, die krass Schöne, die letzte in Bulgarien verbliebene Bulgarin. Krassimira hat nicht nur einige Zeit für den bekannten italienischen Designer Roberto Cavallo gearbeitet, sondern ist selbst auch Designerin und kann vor allem richtig gut nähen. Das ist nicht selbstverständlich in Bulgarien, wo alle Maistors sind, meistens allerdings von Dingen, von denen sie nichts verstehen.

Bisher hat Krassimira umsonst für mich genäht, und wie gesagt sehr gut. Die Sachen sehen jetzt besser aus als neu, das kannst du mir glauben. Natürlich kann Krassimira nicht auf Dauer umsonst für mich arbeiten, das dürfte auch demjenigen einleuchten, der ansonsten nur vom Fan-sein etwas versteht. Damit Krassimira auch weiterhin umsonst für mich arbeitet, musst du nur ein Designerstück von ihr kaufen. Die Spezialität von Krassimira ist Patch-Work, was wieder im Kommen ist, auch wenn das viele noch nicht wahrhaben wollen. Ich meine, wer hätte vor Jahren gedacht, dass sich die Leute nochmal irgendwelche bescheuerten neonfarbenen Adidas-Nylon-Jacken aus den Achtzigern anziehen werden. Du vielleicht? Also ich nicht!

Krassimira kann aber nicht nur Patchwork, Krassimira kann alles, wie praktisch jeder Bulgare alles kann, können muss. Was der Bulgare nicht kann, ist ständig um die Welt jetten. Das kann er nicht. Aber möglicherweise führt dieses Unvermögen dazu, dass er alles andere kann. Ist nur eine Theorie von mir. Muss nicht stimmen. Was stimmt, ist, dass Krassimira und ich jetzt Geschäftspartner sind, oder zumindest dabei sind zu werden. Um meine Retro-Sachen mache ich mir keine Sorgen, die verkaufen sich übers Internet wie geschnitten Brot. Jetzt geht es nur noch darum, die Patchwork-Welle anzukurbeln, damit das Joint-Venture zwischen Krassimira und mir in die Gänge kommt. Und fast hätte ich jetzt gesagt: Retro war gestern – heute ist Patchwork! Aber ich will mir mein Retro-Geschäft nicht kaputt machen. Ich versuch’s mal so: Zieh ’ne Patchwork-Jacke übers Retro-Shirt und du bist im Trend – in dem von Krassimira und mir! 

Krassimira kann auch Folklore
Gerade ist die Zeit der Abschlussbälle in Bulgarien
Krassimiras Patchwork ala Cavallo
Fotos&Text TaxiBerlin

Leben in Zeiten von Corona – Heute: Bulgarien – Ein von allen guten Geistern verlassenes Land

Verlassene Straßen
Nach der Demo neulich in Sofia, auf der die Demonstranten und die Polizei viel Spaß miteinander hatten, und das ganz ohne Maske, haben sie sich auf den Weg gemacht, die Bulgaren. Seitdem ist Bulgarien verlassen, und das kam so: Auf der Demo für den Schutz der Kinder stellte plötzlich jemand fest, dass es in Bulgarien gar keine Kinder mehr gibt, also warum noch länger im Land bleiben, demonstrieren kann man auch woanders. Dazu muss man wissen, dass das Balkanland bereits vor dem aktuellen Exodus die am schnellsten schrumpfende Bevölkerung weltweit aufwies, ohne dass es in dem Land einen Krieg gegeben hätte. Hinzu kommt, dass jetzt auch Bulgaren Geld von der EU für die Arbeitssuche im Ausland bekommen, wir sind schließlich ein Europa, also 1:1. Wegen der Fußballeuropameisterschaft ist das im Westen noch nicht so richtig angekommen. In Deutschland hat man sich nur über das volle Fußballstadion in Budapest gewundert, dachte aber Orban würde dahinter stecken, dabei war es der Bulgare. „Bruder Boiko“, der Oberbulgare und Merkels Mann in Sofia, hat noch versucht „Ordnung ins Chaos“ zu bringen, aber da war es schon zu spät, da waren seine Landsleute bereits unterwegs ins gelobte deutsche Land. Der Bulgarentross dürfte mittlerweile vor Wien angekommen sein. Hier in Bulgarien bieten sich derweil einzigartige Kulissen für jegliche Arten von Endzeitszenarien, allesamt zum Nulltarif – versteht sich. Völkerwanderungen sind nicht nur Zeiten der Wanderschaft, wie der Name es schon sagt, sondern auch der Hinterlassenschaft. Auch hier gilt, etwas Glück gehört natürlich dazu, dass das Geld auf der Straße liegt. Und liegt es nicht auf der Straße, hilft der obligatorische Duftbaum der Marke „Bazooka bubble gun“ nach – garantiert!

Gürtelschnalle „ACAB“
Viele freie Plätze

Nur Galgenvögel bleiben

„Ordnung ins Chaos“
Verlassene Häuser
Der Letzte macht den Laden dicht

Geschlossene Gesellschaft

„Bazooka bubble gun“

Fotos&Text TaxiBerlin

Leben in Zeiten von Corona – Heute: Vom Arbeitsuchenden zum Arbeitgebenden

 

Arbeit mit Ausblick

Vom Arbeitsuchenden zum Arbeitgebenden ist es manchmal nur ein kleiner Schritt. Auch wenn sich meine eigene Arbeitssuche auf dem Balkan bisher recht überschaubar gestaltet, gibt es in Bulgarien, wie der Volksmund zu Recht sagt, Arbeit genug für das gesamte chinesische Volk. Vielleicht bist auch du so wie ich gerade auf Arbeitssuche, oder du suchst aufgrund deiner nunmehr bescheideneren finanziellen Mittel eine andere Art Urlaub. In beiden Fällen bist du bei mir richtig und in guten Händen. Du bist also fündig geworden! Jetzt musst du dich nur noch auf den Weg machen, und zwar nach Sofia. Von Berlin aus fliegt sowohl Bulgaria als auch Ryan Air für wenig Geld in die bulgarische Hauptstadt. Von dort aus sind es dann keine 100 Kilometer mehr bis zu deinem Urlaubsort in 600 Meter Höhe und mit einem tollen Ausblick auf die knapp 2000 Meter hohen bulgarischen Twin Peaks (Foto). Bei mir musst du nichts bezahlen, nur etwas Arbeiten. Da ich selbst auf Arbeitssuche bin, kann ich dir leider nichts bezahlen, dafür biete ich freie Kost und Unterkunft an und, vielleicht das wichtigste, sinnvolle Tätigkeiten bei einem tollen Ausblick und sauberer Landluft. Dieses Jahr machen wir Holz, denn der Winter mit seinem Schnee und Eis hat einige Bäume abknicken lassen. Die machen wir klein, damit wir es im Winter warm haben. Wer lieber drinnen arbeitet, kann dort die Wände weißen und zuvor etwas spachteln. Kochen, putzen und sauber machen wir auch selber. Ein kluger Kopf meinte einmal, dass der ein Sklave sei, der länger als acht Sunden am Tag arbeiten muss. Vom Sklavendasein bist du hier weit entfernt, denn bei mir wird nur sechs Stunden am Tag gearbeitet. Den Rest des Tages hast du frei. Du kannst lesen, es gibt eine kleine Bibliothek, schreiben oder Musik hören. Du kannst auch kleine Wanderungen beispielsweise zu einem nahegelegenen Kloster unternehmen oder einfach nur runter ins Dorf gehen, wo es nicht nur zwei Kneipen, sondern auch eine Mineralquelle und ein Mineralfreibad gibt. Der Nachbarort ist einer der ältesten Kurorte Bulgariens mit prächtigen, jetzt leider verfallenden Gebäuden wie in Bad Homburg. Über unser Dörfchen, in dem du deinen Urlaub verbringen kannst, wird ohne zu übertreiben gesagt, er wäre der Kurort vom Kurort. Falls du jetzt neugierig geworden bist, dann kontaktiere mich, damit ich dir die Details nennen und alle deine Fragen beantworten kann. Ich freue mich auf deine e-mail an: taxi.berlin(ät)gmx.de

Angebot&Bild TaxiBerlin

Leben in Zeiten von Corona – Heute: TaxiBerlin auf Arbeitssuche in Bulgarien

 

Geschenk meines Bürgermeister für den Gastarbeiter aus Deutschland

Zwei Wochen bin ich nun schon auf dem Balkan, und noch immer gestaltet sich meine Arbeitssuche hier recht übersichtlich. Aber nicht nur das. Ehrlich gesagt überlege ich gerade, wenn ich gefragt werde, einen anderen Grund als die Suche nach Arbeit für meinen Aufenthalt in den Schluchten des Balkans zu nennen, nachdem mir Eingeborene nicht nur schon den Vogel gezeigt, sondern mich regelrecht für verrückt erklärt haben, nachdem ich ihnen wahrheitsgemäß geantwortet hatte. Ich habe auch schon zwei Alternativantworten ausprobiert. So kommt die Suche nach Eseln immer sehr gut an. Meist will man mir sogleich einen oder mehrere Esel aufschwatzen, allerdings welche auf zwei Beinen. Esel mit vier Beinen sind selbst in Bulgarien schwer zu kriegen. Mein Bürgermeister hat irgendwo obiges Grautier samt Blümchen für mich aufgetrieben. Er hat dafür weder Kosten noch Mühen gescheut, denn ich soll am 11. Juli seinen „Bruder Boiko“ wählen, damit er, also mein Bürgermeister, weiter Kohle von ihm bekommt, um im Dorf überhaupt etwas machen zu können. Beispielsweise die Wasserleitung den Berg runter reparieren lassen, denn die hat so viele Löcher, dass kaum noch Wasser unten im Dorf ankommt. Ein Dorf ohne Wasser, das ist nicht schön, in Bulgarien aber kein Einzelfall. Über mein Dilemma: Wählen oder kein Wasser, werde ich demnächst ausführlicher berichten. Jetzt zurück zu dem, was ich auf Balkans wirklich suche, nachdem ich das mit der Arbeit und auch die Suche nach Eseln mit vier Füßen vergessen kann. Und da hilft mir das Buch weiter, das ich gerade lese. Es handelt von dem Mazedonier „Alexis Sorbas“, und geschrieben hat des der Grieche Nikos Kazantzakis. Dazu muss man wissen, dass sich Griechen und Bulgarien bis heute um Mazedonien streiten. Auch deswegen ist es schwer, diesen Mazedonier zu finden. Eine Mazedonierin zu finden, ist dagegen viel leichter. Ich hab mal eine mit dem Namen Stasislava auf der Straße getroffen, einfach so, aber ich komme vom Thema ab. Einen Sorbas zu finden, und das wünsche ich jedem, dass er seinen Sorbas samt Bubulina findet, das ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Da aber in Bulgarien nichts unmöglich ist, kann ein jeder hier alles und jeden finden, selbst einen Sorbas. Mein Sorbas hat zusammen mit seiner Bubulina viele Jahre in Libyen gelebt, bevor sie jetzt in meine Dienste traten. Mein Sorbas kann praktisch alles, er weiß auch alles und ist mit allen Wassern gewaschen. Mein Sorbas hat es zum Beispiel fertig gebracht, in Libyen Schnaps zu brennen, und diesen an den muslimischen Mann zu bringen. Nachdem er sein (also mein) Tagwerk vollbracht hat, setzt er sich in die Sonne und sagt „Hamdurle“ (das hat er in Libyen gelernt und heißt so viel wie „Paradies“), während uns seine Bubulina das Essen serviert. So ein Typ ist mein Sorbas! Geht es nach dem Buch von Kazantzakis, gibt es im Dorf noch eine Witwe, und die wäre dann für mich. Komischerweise habe ich meinen Bürgermeister noch nie nach der Witwe gefragt. Das ist wieder typisch: An das wichtigste, also an mich selbst, denke ich mal wieder zum Schluss. Mit der Witwe ist es dann so, dass wenn sie mich ruft, und ich nicht zu ihr gehe, dass ich dann später nicht ins Paradies komme. Denn das ist das einzige, was Gott nicht verzeiht: Wenn eine Frau ruft, und der Mann geht nicht hin. Das meint zumindest mein Sorbas hier, der eigentlich Wasko heißt, und der mich mit „Jawohl, mein Führer!“ anredet, und den ich dann immer mit „Wasko for ever!“ zurück grüße.        Also sprach TaxiBerlin, kannste glauben.
Wasko, icke mit dem Grautier vom Bürgermeister, Bubulina

Fotos&Text TaxiBerlin

Leben in Zeiten von Corona – Heute: Vom Leben und der Ordnung in der Tonne

 

Dimiter Blagoew Straße
Sofia / Bulgarien
Dass jemand in einer Tonne lebt, das gab es schon mal, und zwar bei den alten Griechen. Die Tonne war damals ein Weinfass und der Mensch, der darin lebte, hieß wenn ich mich recht erinnere Diogenes. Keine Ahnung, ob Diogenes sich seine Schuhe auszog, bevor er seine Tonne betrat. Beim Bulgaren herrscht jedenfalls Ordnung, selbst beim Leben in der Tonne. Nicht umsonst werden die Bulgaren als die Preußen des Balkans bezeichnet. Überhaupt gibt es auf dem Balkan viel weniger Obdachlose. Selbst in Sofia, der Hauptstadt eines anderen Landes unseres schönen Kontinents, obwohl sich dieses kleine Land sehr am Rande befindet. Am Rande bedeutet aber nicht automatisch ohne Ordnung und Regeln. So ist es nicht. Es gibt sie nicht nur, sondern sie werden auch befolgt, wenngleich nicht von allen, das ist leider auch wahr. Die meisten befolgen sie, weil es eine Frage der Ehre ist, und nicht weil sie an sie glauben würden. So ist es nicht, also wie bei uns. Der Deutsche muss immer an etwas glauben, und wenn es das dümmste ist was es so gibt, unter dem macht er es nicht. Ist er einmal von etwas überzeugt, dann wird es allerdings sehr schwer, praktisch unmöglich, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, weil er das, was er einmal glaubt, dann nicht mehr in Frage stellt. Hier ist der Deutsche ganz genau, und genau das macht ihn zum vielleicht gefährlichsten Wiederholungstäter weltweit und überhaupt. Wie die Ehre und das Befolgen von Regeln zusammenhängen, ist schwer zu erklären, insbesondere jemandem, der keine Ehre hat. Was ich noch erklären kann, ist die Ordnung, die beim Bulgaren in den eigenen vier Wänden herrscht, und von der ich immer wieder aufs Neue fasziniert bin, wobei fasziniert nicht das richtige Wort ist. Ich bin regelrecht inspiriert, bei mir selbst Ordnung zu schaffen. Deswegen bin ich eigentlich auch hier, was das Arbeitsamt in Berlin aber nicht wissen darf. Für die Agentur für Arbeit bin ich offiziell auf Arbeitssuche in Bulgarien. Doch zurück zu obiger Tonne in den Straßen von Sofia. Selbstverständlich habe ich einen Blick in die Tonne geworfen, dessen Bewohner seine Schuhe vielleicht nicht in Reih und Glied, aber doch ordentlich vor seiner Wohnung abgestellt hat. Der Deutsche würde vermutlich daran vorbei gehen, weil ihm die Schuhe nicht ordentlich genug abgestellt sind. Aber da, wo die Schuhe stehen, ist noch öffentlicher Raum. Etwas, was auch hier immer mehr verschwindet. Die Tonne selbst ist Privat, sie gehört dem Menschen, der darin wohnt. Du kennst doch den Slogan: Den Wohnungen denen, die darin wohnen, oder? Und weil das Innere der Tonne privat und in Bulgarien ist, herrscht dort die größte Ordnung, die du dir vorstellen kannst. Auch in Sachen Ordnung ist beim Bulgaren alles umgedreht: Oberflächlich und nach außen hin sieht alles wie ein großes Chaos aus, aber im Inneren herrscht Ordnung. Jedenfalls mehr als bei uns, wo es im Inneren vieler Menschen eine große Unordnung und ein großen Durcheinander gibt.   Also sprach TaxiBerlin, kannste glauben.

Foto&Text TaxiBerlin