Bericht aus Bulgarien (79)

Mit dem Taxi zum Arbeitsamt

Gestern war ich gerade bei einem Freund, als er einen Anruf vom Arbeitsamt erhielt. Er solle sofort hinkommen, es sei wichtig, weswegen wir ein Taxi nahmen. Unterschiedlich gelbe, teilweise sogar orangene Taxen prägen bis heute das Stadtbild von Sofia. Uber war nur kurze Zeit erlaubt und ist nun schon lange verboten. Unser Taxi war sauber und der Fahrer freundlich. Im Arbeitsamt war es leer und ebenfalls sauber. Ein Messgerät gab in kurzen Abständen und mit Roboterstimme an, dass die Körpertemperatur normal sei. Es war ein wenig wie in einem Science Fiction. Wessen Körpertemperatur da ständig gemessen wurde, blieb unklar, da kein neuer Kunde ins Arbeitsamt kam. Mein Freund wurde umgehend bedient. Warum man ihn angerufen hatte, auch das konnte nicht geklärt werden. Vermutlich wegen irgendeiner Frist. Arbeit gab es keine für ihn, und Geld schon lange nicht mehr. Zurück sind wir mit dem Bus, in den wir ohne Fahrscheine eingestiegen sind. Die gibt es immer noch beim Fahrer. Zumindest das ist weiterhin klar und hat sich nicht verändert

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Bericht aus Bulgarien (78)

 

Obige Bilder von einem gemeinsamen Manöver amerikanischer und bulgarischer Panzer auf bulgarischem Territorium stammen vom Mai vergangen Jahres, sind also nicht aktuell. Aktuell sollen dagegen immerhin Panzer quer durch Bulgarien Richtung Ukraine gekarrt werden, man findet dazu diese und diese Aufnahmen auf Facebook.

Bulgarien ist seit 2007 in der EU, zuvor war es schon Mitglied in der NATO. Die Bulgaren haben sich insbesondere durch den Beitritt zur EU eine Verbesserung ihrer oft prekären Lebensverhältnisse versprochen, was leider nicht eingetreten ist. Im Gegenteil, noch mehr Bulgaren als zuvor schon haben das Land verlassen. Bei den 20- bis 45-jährigen ist es jeder zweite. Verblieben im Land, das immer mehr verfällt, sind vor allem die Alten, deren Leben eher ein Überleben ist.

In Bulgaren gibt es traditionell eine pro-russische und eine pro-westliche Strömung. Das ist also nichts Neues. Der Bulgare als Mensch steht oftmals dem Russen und auch dem Ukrainer näher, und zwar um einiges, als dem Westeuropäer oder gar dem Amerikaner. Der Deutsche macht dabei eine gewisse Ausnahme, ihm fühlt sich der Bulgare in besonderer Weise verbunden. All dies im Detail auszuführen, würde diesen Beitrag allerdings sprengen.

In der Ukraine leben eine halbe Million Bulgaren. Deren Wohlergehen und/oder Evakuierung steht gerade im Mittelpunkt in Bulgarien. Dass jemand gegen Russland in den Krieg ziehen will, habe ich noch nicht gehört, vor allem nicht für die NATO. Bei der Regierung, deren Führer in Harvard studiert haben, gibt es durchaus diese Überlegung, aber sie hat keine Mehrheit im Land. Ich habe mehrfach darüber berichtet.

Ein Freund in Deutschland schreibt mir folgendes: “Ich habe mich gerade mit einer Kundin unterhalten, die russischer Abstammung ist. Sie musste ihre Heiratsagentur umbenennen, weil darin deutsch-russisch vorkam. Sie hat noch eine Katzenzucht-Seite bei Facebook, wo massenweise böse Kommentare abgegeben werden. Deutsche und ukrainische Katzenzüchter haben sich wohl zusammengeschlossen und erklären, dass keine Katzen von russischen Züchtern gekauft werden sollen und man diese Tiere besser töten solle.”
Zuvor hatte ich gehört, dass Menschen lieber kalt duschen würden als Gas vom Russen zu beziehen. Die Vereinigten Staaten unter Joe Biden beziehen bis heute einen Großteil ihres Öls aus Russland. Andererseits sind die ersten Freiwilligen aus den USA gerade in der Ukraine eingetroffen. Ob sich in der Ukraine selbst alle so genannten Freiwillen wirklich freiwillig melden oder ob da eventuell mehr, beispielsweise eine Pflicht oder gar Strafen, dahinter steckt, bleibt unklar. In Syrien seinerzeit waren jedenfalls weit weniger bereit freiwillig für ihre Heimat zu kämpfen, wenn ich mich richtig erinnere.
Im Westen wird aktuell der Eindruck vermittelt, man müsse sich zwischen der NATO und Russland entscheiden. Ich teile diese Meinung nicht. Ich erlaube mir daran zu erinnern, dass die NATO und allen voran die USA viele illegale geführt hat, an erster Stelle sei dabei der in Jugoslawien genannt. Der Westen im allgemeinen und die aktuelle Bundesrepublik ist nicht die, die sie einmal war und mit der ich mich vereinigt habe. Sie hat praktisch nichts mehr mit ihr zu tun.
Beim kürzlich unrühmlich beendete Krieg in Afghanistan wurde nicht meine Freiheit am Hindukusch verteidigt. Und meine Freiheit wird heute auch nicht in einem Krieg gegen Russland verteidigt. Alleine deswegen nicht, weil hier mit Nationalisten (manch einer sagt auch einfach nur Nazis zu ihnen) gemeinsame Sache gemacht wird. Meine Freiheit wird aktuell auf den Straßen und Plätzen in Kanada, Frankreich und Deutschland verteidigt. – Danke allen mutigen Truckern, Demonstranten und Spaziergängern in der Heimat.
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Bericht aus Bulgarien (77)

Gevrek im Fadenkreuz

Den Gevrek gab es früher warm an jeder Straßenecke Sofias zu kaufen. Der Geruch der bulgarischen Brezel, die aussieht wie ein türkischer Simit, geschmacklich aber ganz klar ein amerikanischer Donat ist, und auf den Geschmack kommt es bekanntlich an, war das Parfum der Stadt. Angeboten wurde er vorzugsweise von alten Omas, die auf einem Hocker sitzend den Gevrek aus einem großen dicken Papiersack heraus verkauften, wo er aus unerfindlichen Gründen immer warm blieb. Seit langem ist das bulgarische Traditionsgebäck im Aussterben gegriffen. Jedenfalls ist er nur noch schwer zu finden, was nicht nur an den alten Omas liegt, die schon alle weggestorben sind. In ganz Sofia gibt es noch einen winzig kleinen Pavillon, wo der Gevrek von früher verkauft wird. Es gibt auch Gevreks von heute, aber die sind soft wie die Sünde. Ein richtiger bulgarischer Gevrek ist bissfest, eben so wie ein amerikanischer Donat. Dass der Gevrek von heute eher weich ist, hängt mit der Bevölkerungsstruktur und mit der Krankenversicherung in Bulgarien zusammen. Die meisten Menschen sind alt hier, die jungen sind alle im Ausland, und selbst wenn sie eine Krankenversicherung haben, müssen sie, gehen sie zum Arzt, erstmal Geld auf den Tisch legen. Geld, das sie nicht haben, vor allem nicht für den Zahnarzt. Das ist der Grund, dass kaum einer der im Land verbliebenen noch einen Zahn im Mund hat, und deswegen gibt es auch keinen Gevrek von früher mehr, weil keiner kann ihn essen. Ich lasse mir gerade die Zähne machen in Bulgarien, um auch in Zukunft noch einen Gevrek essen zu können, wenn es ihn dann noch gibt, was ich natürlich hoffe. Jeder Besuch beim Zahnarzt endet mit dem Bezahlen meines Zahnarztes, der auch mein Freund ist, und den ich aktuell zu mir aufs Dorf eingeladen habe. Bin gespannt, ob er kommt. Das mit dem Bezahlen nach jedem Termin, war auch für mich neu. Aber was macht man nicht alles für den Geschmack eines Gevreks. Der erwähnte einzig verbliebene Pavillon, wo noch der Gevrek von früher verkauft wird, befindet sich praktisch genau an der Ecke Königin Maria Luisa und Ekzarh Yosif Straße, ganz genau ist es die Ekzarh Yosif Straße 21, im Schatten der alten Markthalle von Sofia.

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Bericht aus Bulgarien (76)

 

Regierungschef Petkow unter Beschuss

In Bulgarien ist gerade der Winter zurückgekehrt und mit ihm der Schnee und die Schneeballschlachten. Auch der amtierende Ministerpräsident Kiril Petkow bekam vor wenigen Tagen einen Schneeball ab. Es ist ihm aber nichts passiert, nicht nur weil er von seinen Sicherheitsleuten vor den Schneebällen beschützt wurde, sondern weil Schneebälle auch in Bulgarien nur aus Schnee bestehen. Zuvor musste sich der Regierungschef noch “NATO raus”, “Kiro Hure” und “Verräter” von seinen Landsleuten anhören. So sind sie, die bulgarischen Barbaren, haben einfach keinen Respekt, immerhin hat der Mann in Harvard studiert, und undankbar sind sie darüber hinaus auch noch, wo sie doch jetzt auch endlich McDonald’s haben.

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Bericht aus Bulgarien (75)

Auch für den Hund auf der Straße ist gesorgt

Gestern war ich aus, immerhin war Samstagnacht. Zuerst habe ich einen riesigen Keller in einem Neubaukomplex besucht, wo man spielen konnte: Tischtennis, Pool, Dart und solche Sachen. Der Eintritt war frei, Masken wurden nicht getragen, und auch ein Grüner Pass war nicht erforderlich. Für einen Kaffee und ein Wasser habe ich 3,50 Lewa (1,75 Euro) bezahlt. Vor Ort waren ganz normale Leute, die sich mit Freunden zum gemeinsamen Spielen verabredet hatten.

Da es erst Mitternacht war, und ich noch was anderes sehen wollte, bin ich in die Stadt gefahren. Dort gab es gegenüber vom Parlament eine “Revue”, die ich mir ansehen wollte. Hier war der Eintritt 10 Lewa (5 Euro), und die Bar war auch wieder im Keller. Letztendlich war es eine ganz normale Disco mit diesen ganz schlimmen schicky micky Leuten, die ich normalerweise meide wie die Pest, einfach weil man sich nicht mit ihnen unterhalten kann, wofür es an solchen Orten sowieso immer zu laut ist. Da ich mich nicht irgendwo dazusetzen wollte, und die Bar angeblich komplett reserviert war, konnte ich noch nicht mal ‘ne Cola bestellen. Aber ich wollte sowieso nicht lange bleiben. Immerhin, auch hier trug niemand eine Maske, auch einen Grüner Pass wollte niemand sehen. Und auch wenn die Leute und die Location total bescheuert waren, hat es gut getan zu sehen, dass es noch so etwas wie normales Leben, in dem Fall Nacht-Leben, gibt.

Obwohl es nieselte, bin ich dann noch etwas durch Sofia bei Nacht gelaufen. Polizisten stoppten ein Fahrzeug, das verkehrt rum in eine Einbahnstraße gefahren war. Der Fahrer entschuldigte sich höflich bei den Beamten, er habe das Schild nicht gesehen – das war’s. Weil ich etwas Hunger bekam, bin ich noch in einen Gyros-Laden rein. Ganz normale Leute dort, keine Betrunkenen, nicht mal angetrunkene, und auch keine Maskenträger. Der Gyros für 4,50 Lewa (2,25 Euro) war unerwartet gut. Die 0,5l Cola gab es für 1,80 Lewa (90 Cent) dazu.

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Bericht aus Bulgarien (74)

 

“U$A RAUS!”

Im vom Bill Gates finanzierten Spiegel läuft zufällig ein Mann mit einer Stars&Stripes Mütze durchs in Bulgarien gemachte Bild. Ich bin jetzt seit Mai hier und habe eine solche Mütze noch nie gesehen. Aber mit Sicherheit wäre sie mir aufgefallen, nicht nur weil ich Mützenfan bin, auch wenn mir selbst keine steht, sondern weil ich auch Familie in den USA habe, um genau zu sein in Kalifornien. In Bulgarien, genauer in Sofia, wo auch Valentina Petrova das Foto für den Spiegel gemacht hat, habe ich aktuell obiges Graffito gesichtet. Und es ist nicht das einzige “U$A RAUS!” Graffito in der bulgarischen Hauptstadt.

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Bericht aus Bulgarien (73)

 

Auch wenn der bulgarische Regierungschef in Harvard studiert hat, hat er es nicht leicht im Land. Selbst beim Feiertag am Donnerstag, dem “Independence Day”, forderten viele Demonstranten “Ostavko”, also seinen Rücktritt. Der Cicero fragt gerade: “Zerbricht die Regierung am Ukrainekrieg?” – Nein, das tut sie nicht, zumindest nicht primär. Wenn sie demnächst zerbrechen sollte, dann vor allem deswegen, weil eine Mehrheit der Bulgaren bereits vor Ausbruch des Krieg beim Heizen sparen musste und aktuell im Kalten sitzt. Nicht nur Privatpersonen, sondern ganzen Gemeinden hatte man da bereits das Gas und / oder den Strom abgestellt gehabt, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen konnten. Das habe ich gerade auch dem Cicero erklärt und angeboten, einen ausführlichen Artikel zu schreiben, der ihre Frage “Zerbricht die Regierung am Ukrainekrieg?” beantwortet. Ich bin gespannt, ob und wie der Cicero reagiert.

Video GovernmentOfBulgaria
Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (72)

Ausstellung in Sofia

Offiziell ist Bulgarien Berlin nur eine Stunde voraus. In Wahrheit ist es aber viel mehr, wie obige Ausstellung “THE WAR! A WORLD GONE MAD …” beweist. Sie wurde am 22. Februar eröffnet, also zwei Tage vor Beginn der Kriegshandlungen in der Ukraine. Berücksichtigt man die Planung, die einer solchen Ausstellung vorausgeht, dürfte es mindestens ein Jahr sein. Da in Bulgarien die Uhren anders ticken, wohl eher zwei. Die Ausstellung in Sofia geht bis zum 22. Mai 2022, wenn sie nicht verlängert wird, falls sie sich jemand ansehen möchte.
Höre gerade deutschen Journalisten zu, die im Internet die Idee diskutieren, jemand solle in Moskau eine Pistole nehmen und damit Putin töten. Wieder sollen andere die Arbeit machen, und wieder nicht ihre. Ihre Arbeit ist, uns ausgewogen zu informieren und nicht zum Töten aufzurufen. Der Wahnsinn ist in den Köpfen deutscher Journalisten bereits angekommen: “THE WAR! JOURNALISTS ALREADY WENT MAD …”    –    Hier ist Deutschland Bulgarien voraus.
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Bericht aus Bulgarien (71)

Polizisten bei der Arbeit

Gestern war in Bulgarien Feiertag, also “Independence Day”, und zwar von den Türken. 144 Jahre ist es jetzt her, dass Bulgarien unabhängig vom Osmanischen Reich wurde, wobei die Russen mitgeholfen haben. Gestern Abend haben bulgarische Polizisten mitgeholfen, dass beim Festakt im Parlament in Sofia nur geladene Gäste hereinkommen. Die Polizisten auf dem Foto, zwei von ihnen sitzen entspannt auf der Bank, eine Maske trägt keiner von ihnen und auch keine Kampfmontur, sind also bei der Arbeit. Sie haben es mir auch im Gespräch bestätigt, ich soll es aber nicht an die große Glocke hängen.

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