Bericht aus Berlin (2)

„Eier zeigen!“ (wie normale Leute)
Skulptur in Sofia / Bulgarien

„Endlich normale Leute“ habe ich früher einmal gesagt, als ich aus Amerika zurückkam und in die  Berliner S-Bahn stieg. Das würde ich heute nicht mehr sagen. Das liegt aber nicht daran, dass man vom neuen Flughafen nicht die S-Bahn sondern den Regional-Express nehmen muss. Es liegt an den Leuten, die alle brav ihre Maske trugen und wie „Calculator Crazy“ auf ihrem Smartphone rumspielten. Der normalste war noch der Schaffner, der seinen Job machte und mich im Nebensatz auf die Maske hinwies. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich eine Maskenbefreiung hätte. Damit war das Thema erledigt. Ich hatte auch gar keine Maske dabei. Meine Mitreisenden mit Maske sprachen nicht miteinander, es war ruhig wie in einem Grab im Zug. In Bulgarien ein Unding. Jetzt überlege ich, ob sie, die ich früher, als sie noch mit einem Bier in der Hand und ausgelassen miteinander sprechend in der S-Bahn saßen oder auch standen, als „normale Leute“ bezeichnet habe, vielleicht schon tot sind. Immerhin sagte kein geringerer als unser Gesundheitsminister neulich noch, dass spätestens im Frühjahr alle entweder geimpft, genesen oder gestorben wären? – Wenn es eines Gegenbeweises bedurfte, dann bin ich es. Weder geimpft, noch genesen und schon gar nicht gestorben, sondern quicklebendig und alles andere als tot bin ich zurück in Berlin.

PS: Dank meines Sponsors verfüge auch ich jetzt über ein Smartphone, mit dem ich aber nichts ständig kalkulieren muss, deswegen „Calculator Crazy“, wie die Leute von heute, auch in Bulgarien. Mein Smartphone war ausgeschaltet in meinem 40x25x20 Zentimeter großen Handgepäck, das nicht nachgemessen wurde am Flughafen, offenbar waren (noch) keine Deutsche unter den Kontrolleuren, und ist es immer noch. Ich nutze es nur als Hot-Spot und ausschließlich in Bulgarien.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (172)

Goodbye „Happy“ Bulgaria

Non-Priority Fluggäste wie ich müssen als fliegende Persona Non Grata nicht nur drei anstelle von zwei Stunden vor Abflug auf dem Flughafen sein, sondern sollen im Flugzeug selbst dann auch stehen, wie ich gerade erfahren habe. Mir macht das nichts aus, gesessen habe ich im Taxi genug und vielleicht sitze ich ja auch bald wieder – wer weiß. Mit dem „Happy“ auf der Gangway am Flughafen in Sofia, wo ich gerade völlig unprätentiös unpräferiert, also völlig unseriös abhänge (ich werde gerade so toleriert – einem ungeimpften Russen in der Heimat geht es vermutlich kaum besser als mir), verhält es sich so, dass es eine bekannte Restaurant-Kette ist, wo man von jungen Frauen in kurzen roten Kleidern bedient wird. Dieses nicht ganz unwichtige Detail ist mir bisher entgangen, mein bester englischer Freund Jerry hat mich darauf hingewiesen. Der Umstand, dass ich darauf hingewiesen werden musste, gibt mir zu denken. Er gibt mir deswegen zu denken, weil ich dachte, dass mir das als netter älterer Herr mit Lolita-Komplex, es gibt ihn wirklich, eigentlich schon längst aufgefallen sein müsste. Dass es mir nicht aufgefallen ist, hat möglicherweise damit zu tun, dass ich mich in den letzten Monaten fast ausschließlich von Joghurt ernährt habe, und den gibt es im Supermarkt, nicht im Restaurant. Ob dieser von „Happy“ Cows war, kann ich nicht sagen, aber immerhin von Kühen ohne Maske. Wenn demnächst Kühe wirklich dazu genötigt werden sollten Masken zu tragen, werde ich zum Anarchisten – zum Rindviecher-Anarcho.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (171)

Planer einer Persona Non Grata über den Wolken

Packe gerade mein Handgepäck, was sich als schwieriger erweist, als gedacht. Das liegt daran, dass mir als „Non-Priority Fluggast“, eine Art „Persona Non Grata“, nur „Über den Wolken“, wo die Freiheit angeblich grenzenlos sein soll, nur ein (1!) Handgepäck mit den Maßen 40x25x20 Zentimeter zusteht. Ich kann nur hoffen, dass am Flughafen in Sofia keine deutsche Polizisten mit ihrem Zollstock stehen. Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber das ist absolut möglich. Es sollen sich auch schon Polizisten aus der Heimat hier in den Schluchten des Balkans nach Arbeit umgesehen haben. Das Messen haben deutsche Polizisten jedenfalls drauf, sogar am lebenden Objekt, und zwar mit dem bekannten Abstandsholz – ein Brüller.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (170)

Ex Oriente Lux – Aus dem Osten kommt das Licht

War gerade draußen den Müll wegbringen, Ordnung muss sein, selbst beim halben Deutschen. Auch beim Verabschieden habe ich deutsche Ordnung walten lassen. Bei meinem Bürgermeister habe ich mich sogar persönlich verabschiedet. Obwohl, das ist wohl eher bulgarisch. Hat sich jemals ein Deutscher persönlich von seinem Bürgermeister verabschiedet? Muss lange her sein. Mein Bürgermeister hat mir aufgetragen, „Evrazi“, also Euro, mitzubringen. Keine Ahnung, ob ich ihm den Gefallen tun kann. Hängt ja nicht nur von mir ab. Leute mit Geld würden’s sicherlich auch tun, selbst wenn es Deutsche sind. Mein Bürgermeister ist kein Fan von meinen Landsleuten, ich erwähnte das schon mehrfach. Die Deutschen sind ihm zu blutarm, zu sehr Roboter, zu künstlich. Mein Bürgermeister weiß nicht, dass das die Zukunft ist – der Maschinenmensch, der gar nicht mehr vor die Tür geht, sondern sich den Sonnenaufgang in seinem Computer ansieht. Dass ein Land wie Bulgarien existiert, das weiß er nicht. Und auch nicht, dass das Licht aus dem Osten kommt. Sie nennen sich „Transhumainsten“, diese Computermenschen. Mir graut vor ihnen. Auch bin ich mir nicht sicher, ob das Motto der Bremer Stadtmusikanten „Etwas Besseres als den Tod findest du überall“ auf sie noch zutrifft. Es kann aber auch sein, dass es ganz und gar auf sie gemünzt ist. Ich würde es nicht ausschließen

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (169)

„Etwas Besseres als den Tod findest du überall“

Das wichtigste hätte ich fast wieder vergessen, und zwar dieses Andenken, das mir Joachim aus Bremen mitgebracht haben, und das natürlich in Bulgarien bleibt, während ich in Berlin bin, auch weil es hier einen würdigen Platz in meinem Heiligen Schrein gefunden hat. Was ich mitnehme nach Berlin, ist das Motto der Bremer Stadtmusiken, dass man etwas Besseres als den Tod überall finden würde.

PS: Bin für den Rückflug nach Berlin eingecheckt. Auf meiner Bordkarte steht „Non-Priority“, womit offenbar ich gemeint bin. Weiterhin gibt es auf der Bordkarte Werbung für einen Herrenduft mit dem Namen „Phantom“ (wieder ich?) von Paco Rabanne, den ich mir während des Flugs kaufen kann und der teurer als der Flug ist. Die Bremer Stadtmusikanten kannten offensichtlich noch keine Billigflieger.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bremen (9) aus Bulgarien (5)

 

Von Sozopol nach Plovdiv sind es 279 km. Also je nach Straßenlage und Begrenzungen der Höchstgeschwindigkeiten ca. 3h. Mir fällt auf, dass ich mich mittlerweile an die Fahr-Gepflogenheiten der Bulgaren anpasse. Eine durchgezogene Linie ist zuallerst eine aufgemalte Linie und erst dann ein Hinweis darauf, dass nicht überholt werden darf.

In Plovdiv liegt unser Hotel (familiengeführt) in der Altstadt. Das bedeutet, die Straßen sind keine, sondern Gassen. Und diese wiederum sind mit Steinen gepflastert, wie man sie vor 1000 Jahren als nützlich empfunden hat. Hinzu kommt, dass nach so langer Zeit und diversen Erdbewegungen die Oberfläche nicht eben ist, sondern in einer Art uneben, dass mir nun klar wird, warum es Fahrzeuge gibt, die als Sport Utility Vehicle bezeichnet werden oder einfach SUV. Allerdings wären diese nicht durch die engen Gassen gekommen. Nach mehrmaligen Versuchen, dem Navigationsgerät zu folgen, haben wir uns dann nach unserem Smartphone orientiert und letztlich das Hotel gefunden. Dort gab es auch Garagen, worin wir unseren Mietwagen verstauen durften.

Plovdiv ist empfehlenswert. Dieser Ort ist etwas ganz spezielles. Er liegt auf sieben Hügeln, wie Rom, ist 8000 Jahre alt, also älter als Rom und hat sowohl thrakische, als auch römische, byzantinische und sozialistische Spuren, Narben, Hinterlassenschaften und Zeugnisse. Da gibt es z.B. die römische Arena mit einer Länge von 240 Metern. Sie verläuft entlang der heutigen Haupteinkaufsstraße mit 2000 Metern. Ihren Kopfteil kann man besichtigen, der wurde offengelegt. Einen weiteren Teil kann man sehen im Untergeschoss von H&M. In dieser Art gibt es viele Stellen in der Stadt, wo das Neue mit dem Alten nebeneinander existiert. Entweder in Form von Ausgrabungen oder der noch erhalten gebliebenen Häuser, Kathedralen, Basiliken, Moscheen und auch einer Synagoge.

Wir sollten an unserem Ankunftstag eine Stadtführung erhalten. Um 17:30 Uhr kam Tanja die Gasse hochgelaufen. Bei 33 Grad im Schatten ist dies eine Anstrengung für sich und wir schlugen vor, uns erst einmal in den Schatten zu setzen vor unserem Hotel, kalte Getränke zu besorgen und uns die wesentlichen Fragen im Sitzen beantworten zu lassen. Das war nicht nur für Tanja ein erfreulicher Einstieg, auch wir hatten mehr davon als im Getöse der Stadt uns anzuhören, was es zu diesem und jenem Haus und Heroen zu sagen gibt. Wir sind, als es kühler wurde, dann noch eine kurze Strecke zusammen gelaufen. Diesmal blieben uns viele der gezeigten Bauwerke und Ausgrabungen viel besser in Erinnerung, weil wir zuvor den großen Rahmen schon besprochen hatten (im Schatten und bei kühlen Getränken).

Wir fanden auch ein Restaurant, das Hemingway hieß, wo es das Fleisch des vom großen Meister erlegten Großwilds gab. Am nächsten Tag machten wir uns dann selbstständig auf die Reise durch die Stadt, die angesagten Viertel, die empfohlenen Ausstellungen (große und kleine Basilika) und hatten am Abend längst nicht alles gesehen und besucht, aber einen Eindruck davon gewonnen, was es noch alles zu sehen gibt bei einem zweiten Besuch. Doch, Plovdiv ist wirklich nicht nur einen Besuch wert, es können auch mehrere sein. Dafür gibt es eine Menge zu sehen und zu bestaunen.

Von Plovdiv geht es weiter nach Bansko. Eine Stadt in Mitten einer Hochebene zwischen den Gebirgen Pirin, Rhodopen und Rila auf 871m Höhe. Mal sehen, was man im Juni dort anfangen kann, denn im Winter wird auf den umliegenden Bergen Ski gefahren …

Foto&Text JoachimBremen

Bericht aus Bulgarien (168)

Man muss das Leben tanzen

Bin gerade am Sachen packen, wobei Sachen packen reichlich übertrieben ist, denn ich reise nur mit Handgepäck. Ich komme mit einem Billigflieger nach Berlin, etwas anderes kann ich mir nicht leisten. Billigflieger zeichnen sich nicht nur dadurch aus, dass sie billig sind, sondern dass sie einem darüber hinaus tierisch auf die Nerven gehen, wie ein fliegender McDonald. Alles muss man dreimal lesen, denn sie wollen einem ständig noch irgendeinen Scheiß dazu verkaufen. Alleine, wenn man sich vorher nicht selbst eincheckt, ist die Gebühr, besser Strafe, noch besser Verarschung, dafür noch höher als der ganze Flug kostet. Das muss man sich mal vorstellen! Schlimmer als der Billigflieger sind nur noch die anderen Fluggäste, die mit einem im Flugzeug sitzen. Früher habe ich deswegen immer Alkohol getrunken, wenn ich geflogen bin – um die anderen Menschen zu ertragen, vor allem ihre Nähe. Gut, ein bisschen Flugangst war auch dabei. Aber jetzt habe ich Menschenangst, mit der ich ganz ohne Alkohol klarkommen muss. Regelrecht phobisch reagiere ich deswegen seit einiger Zeit insbesondere auf Menschenansammlungen. Sie haben meist nichts Gutes zu bedeuten. Und das wird noch schlimmer werden in der nächsten Zeit, davon bin ich fest überzeugt. Was dagegen hilft, ist mit tänzelnden Schritten durchs Leben zu gehen. Ich mache das schon seit Jahren und kann es nur jedem empfehlen. Auch und gerade in Bulgarien ist das extrem hilfreich. Denn hier muss man ständig um die vielen Löcher herumtanzen. Es gibt auch die passende Musik dazu, allen voran den Klassiker „Дупка до дупка“ („Loch bei Loch“). Und auch die entsprechenden Schilder (siehe oben). Nachdem ich morgen nach Sofia getanzt bin, kann mir kein Billigflieger-Wohlstandsgesindel mehr etwas anhaben. Wenn ich eines in Bulgarien gelernt, dann dass man das Leben tanzen muss.

Foto&Text TaxiBerlin