Vorgestern war früh das Wasser weg. Das kommt immer mal wieder vor, und zwar ohne dass ein Schild an der Tür oder im Treppenhaus hängen würde. Man ist also gut beraten, immer etwas Wasser für einen solchen Fall vorbereitet zu haben. In der Heimat sind die Menschen schon genervt, wenn die mal für ein oder zwei Stunden kein Wasser haben, selbst wenn es Tage vorher angekündigt war. Auch ich war einer von diesen Menschen. Hier in Bulgarien gehört es zum Alltag dazu, und zwar unangekündigt. Ich will nicht sagen, dass ich mich daran gewöhnt hätte, plötzlich kein Wasser zu haben. So ist es nicht. Aber dadurch, dass ich vorbereitet bin, ist es leichter zu handeln. Ich hab gleich meinen Bürgermeister angerufen, der schon wusste, dass es ein Problem mit dem Wasser gibt. Das ganze Dorf hatte keins. Gegen Mittag ging ich zu Oma Bore, die weiter unten wohnt. Sie hatte zu dem Zeitpunkt schon wieder Wasser und mit ihr das ganze Dorf. Ich rief nochmal meinen Bürgermeister an, der auch gleich noch einmal Leute hochschicken wollte. Danach rief ich ihn noch dreimal an und er rief auch mich noch einmal zurück. Am Abend hatte ich immer noch kein Wasser. Es war Freitag, zudem Feiertag. Ich richtete mich auf ein Wochenende ohne Wasser ein. Zum Glück hatte ich am Tag zuvor geduscht. Gestern, Samstag, rief ich morgens noch einmal meinen Bürgermeister an. Er versprach mir erneut, Leute zu schicken. Ich hatte ehrlich gesagt keine große Hoffnung, dass wirklich jemand kommen würde. Es dauerte aber keine Stunde, dann waren drei Leute da. Bald darauf kam sogar ein Bagger. Das ganze an einem Samstag. Gebaggert werden musste nicht, sondern nur ein Absperrhahn aufgedreht. Auch das passiert regelmäßig, dass etwas repariert, am Ende aber irgendein Absperrhahn nicht aufgedreht wird, weswegen ich kein Wasser habe. Es ist immer ein anderer Absperrhahn. Um das mit den Absperrhähnen zu verstehen, müsste man es wahrscheinlich studieren. Letztendlich sind die Absperrhähne aber nicht das Problem, denn die funktionieren. Mann kann sie auf- und zudrehen. Das Problem sind die Leitungen, die alle naselang irgendwo anders entzwei gehen und geflickt werden müssen. Das beste wäre, komplett neue Leitungen zu legen, aber dafür fehlt das Geld. Lieber schickt man Waffen in die Ukraine, damit dort die Leitungen samt Absperrhähnen zerbomt werden. Wenn ich es richtig verstanden habe, soll BlackRock schon den Auftrag für den Wiederaufbau bekommen haben. Die machen das natürlich aus reiner Menschenliebe. Ich bin mir gerade nicht sicher, ob ich von der Nächstenliebe von BlackRock abhängig sein möchte. Spontan tendiere ich zu einem Nein. Lieber rufe ich siebenmal meinen Bürgermeister an, werde dreimal von ihm zurückgerufen und warte einen Tag.
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Heute ist in Bulgarien ein Feiertag, und zwar “Tag der Befreiung”, offiziell ist es der “Tag der Befreiung Bulgariens vom Osmanischen Reich”. Am dritten März vor zehn Jahren ist Plamen Goranow gestorben. Plamen, auf deutsch “Flamme”, hat sich am 20. Februar vor dem Rathaus in der Stadt Varna am Schwarzen Meer selbst verbrannt. Plamen, der Tage später im Krankenhaus verstarb, war Künstler und Fotograf, darüber hinaus Kletterer. Als solcher ist er auch auf Hochhäuser geklettert. Plamen war Protestführer der landesweiten sozialen Proteste in Bulgarien in den Jahren 2012&13. Ausgelöst wurden sie durch die Erhöhung der Strompreise, nachdem eine Firma aus der Tschechischen Republik Teile des bulgarischen Strommarktes übernommen hatte, vergleichbar mit der Übernahme des Berliner Strommarktes durch Vattenfall. Die Bulgaren sollten plötzlich das drei- oder gar vierfache für Strom bezahlen, und zwar von Geld, das sie nicht hatten. Praktisch das, was jetzt auch in der Heimat passierte, nur dass dort die Proteste ausblieben. Für einige ist Plamen Goranow der bulgarische Jan Palach. Von offizieller Seite ist Plamen praktisch vergessen. Kein Denkmal erinnert an ihn. Letztes Jahr habe ich Plamens besten Freund Dimitar kennengelernt. Ich habe mich lange mit ihm unterhalten, er hat mir Fotografien von Plamen gezeigt. Ich habe auch sein Buch “Salamander” über Plamen gelesen. Als die besagte tschechische Firma damals den Strommarkt auch in meiner Region übernahm, funktionierte plötzlich mein Stromzähler nicht mehr. Ich erinnere mich, dass ich deswegen runter in die Kneipe von meinem Bürgermeister ging, die damals gut besucht war. Nachdem ich von meinem Problem mit dem Stromzähler erzählt hatte, war ich nicht mehr nur “Rumen, der Deutsche”, sondern darüber hinaus “Rumen, der Glückliche”. Von dem Moment war es nochmal ein weiter Weg bis zur Herausgabe zweier Werke von Aleko Konstantinow, der in Bulgarien als “Der Glückliche” bekannt ist. Doch zurück zu Plamen. Er war nicht der einzige, der sich damals verbrannt hat. Mit ihm haben es dreißig andere getan oder versucht. Auch sie sind offiziell vergessen. Auch mit dem Tschechen Jan Palach, der sich aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings selbst verbrannte, können immer weniger etwas anfangen. Ursache von Protesten, soweit sie im Westen stattfinden, wo jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, sind heute euphemistisch “Verwerfungen”. Das hört sich harmlos an und klingt nach Völkerball. Wer es im Westen nicht schafft, ist ein Loser, hat es nicht geschafft, hat sich wohl “verworfen”.
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