Bericht aus Bulgarien (274) – „Krisenzeiten“

Totgeschwiegenes Massenphänomen
Viele geraten gerade in eine psychische Krise, mehr in der Heimat und weniger in Bulgarien. Das ist zumindest meine Beobachtung. Nicht, weil sie dort demnächst kalt duschen müssen oder vielleicht jetzt schon ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Das sind „nur“ die Anlässe. Die eigentlichen Ursachen liegen tiefer. Das sage ich als jemand, der seit vielen Jahren Therapie macht. Genau sind es jetzt über 30 Jahre. Anlass war der frühe Tod meines Vaters Anfang der Neunziger Jahre. Es war während meiner Ausbildung zum Krankenpfleger, während der ich zum ersten Mal von dem Thema „Co-Abhängigkeit“ erfuhr, und zwar als Krankheitsbild. Mein Vater war Alkoholiker, und ich wollte damals nicht wahrhaben, dass ich ein Co-Abhängiger bin. Dass ich heute darüber schreiben kann, war ein Prozess von vielen Jahren. Jahre, in denen ich selbst alkoholabhängig war. Seit gut vier Jahren bin ich Trockener Alkoholiker. Irgendwo hatte ich gelesen, dass man fünf Jahre Abstinenz brauchen würde, um wieder man selbst zu werden. Am Anfang meiner Trockenheit war das deprimierend. Heute kann ich es bestätigten. Heute kann ich darüber schreiben. Nicht nur hier auf meinem Blog, sondern auch für andere Seiten. Demnächst wird ein ganzer Artikel zum Thema Sucht von mir erscheinen. Heute bin ich auf obiges Interview gestoßen, was mir sehr wichtig ist. Und zwar weil ich bestätigen kann, dass vieles von dem, wovon darin die Rede ist, ein totgeschwiegenes Massenphänomen ist. Aber nicht nur das. Sondern jetzt ist der Zeitpunkt, ich erwähnte das bereits, wo dieses herausbricht. Deswegen ist dieses Interview wichtig, und deswegen habe ich auch meinen Artikel geschrieben, auf den ich auf meiner Seite hinweisen werde, sobald er online ist.
Video RubikonImGespräch
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Bericht aus Bulgarien (273) – „Spätes Abendmahl“

Im „Tal der Esel“

So wie andere nach Feierband vorm Fernseher sitzen, stehen wir in der Küche und kochen zusammen. Hin und wieder setzt sich dabei einer von uns ans Klavier, auch in Ermangelung eines Fernsehers. Alles ist also gut, bis auf die Zeit der Esseneinnahme. In Bulgarien wird traditionell spät zu Abend gegessen. Auch das eines der vielen Dinge, die hier anders sind als in der Heimat. Dass ich es fast vergessen hatte, liegt aber nicht daran, dass ich die letzten drei Wochen in Griechenland war. Dass ich sie fast vergessen habe, liegt daran, dass ich zu hause in meiner Hütte in den Schluchten des Balkans diese bulgarische Tradition nicht pflege. Dort halte ich es mit der deutschen Gepflogenheit, nicht zu spät zu Abend zu essen oder sein Abendmahl sogar seinem Feind zu schenken. – Gerade frage ich mich, ob das mit dem Feind „beschenken“ nicht wieder sehr deutsch gedacht ist, denn mit diesem Geschenk ist ja nichts Gutes, sondern was Schlechtes gemeint. Denn steht nicht geschrieben, dass man auch seine Feinde lieben und sogar denen Gutes tun soll, die einen hassen? Und dass man selbst um den Segen für die Menschen bitten soll, die einem Böses tun, und beten soll für alle, die einen beleidigen? – Manchmal ist es gut keinen Fernseher und kein Radio zu haben, ist mein Eindruck, denn dann hat man auch keine Feinde. Der Krieg in der Ukraine, an dem Bulgarien näher dran ist als Deutschland, ist hier praktisch kein Thema. Der Krieg ist aber nicht wie Corona der „Rosa Elefant“ im Raum, über den keiner spricht, obwohl es eigentlich viel Redebedarf gibt. Nein, so ist es nicht. Den Krieg interessiert in Bulgarien deswegen keinen, weil weder der Russe, noch der Ukrainer Feinde sind für den Bulgaren. Deswegen erinnert der Krieg zwischen Russen und Ukrainer auch immer mehr an den jahrelangen Krieg zwischen dem Iran und dem Irak. Was war da eigentlich der Grund für diesen Krieg? Er will mir gerade nicht einfallen. Dafür dies: Wenn zwei sich streiten (bzw. Krieg führen), freut sich ein Dritter, so sagt es ein deutsches Sprichwort. – Der Bulgare ist es jedenfalls nicht.

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Bericht aus Bulgarien (272) – „Bremsbeläge“

Zum Glück nicht drauf angewiesen

Mein Wagen ist in der Werkstatt. Zum Glück habe ich gute Freunde und bin nicht aufs Taxi angewiesen. Ein Freund hat mir den bulgarischen Maistor für mein Auto vermittelt, weil es ein Geräusch gab. Der Maistor fand nun heraus, dass das Geräusch von den Bremsbelägen kommt. Er hat sie sich angesehen und gemeint, dass sie trotzdem bleiben können, auch weil man nie weiß, ob neue Bremsbeläge besser sind. Dass Bremsbeläge bereits nach kurzer Zeit Geräusche machen, ich hatte sie erst im Juli dieses Jahres wechseln lassen, liegt an ihrer Qualität. Die ist nicht besonders gut, so wie praktisch von allem. Egal ob Kaffee, Tomaten, Brot, Käse oder Fleisch – es ist extrem schwierig geworden, in Bulgarien gute Qualität zu finden. Wie sollte es auch anders sein, wenn die potentielle Käuferschaft arm ist.

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Bericht aus Bulgarien (271) – „Das Demokratiespiel“

Interview mit Hans-Joachim Maaz
Beim Anhören des Interviews mit Hans-Joachim Maaz anlässlich des Erscheinens seines Buches „Angstgesellschaft“ in Bulgarien kam mir der Gedanke, ein „Demokratiespiel“ zu entwickeln. Mein „Demokratiespiel“ ist eine Art „Monopoly“ für Arme. Wer kein Geld mehr hat, und das haben mit jedem Tag immer mehr, soll sich wenigstens durch die richtige Haltung und die korrekte Meinung auszeichnen können. Wer sie am häufigsten hat, gewinnt das Spiel, beim dem man aber auch ins Gefängnis (nicht irgendeins, sondern das in Stuttgart Stammheim) kommen kann, wenn man sie zu selten hat. Leichtere Fälle bekommen nur „Hormonblocker“, wie ich gerade aus obigem Interview erfahren musste – der letzte Schrei in der Heimat.
Video RationalerWiderstand
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Bericht aus Bulgarien (270) – „Deeply Sorry“

Albertas Premierministerin Danielle Smith entschuldigt sich bei Nicht-Geimpften
Eine erste Entschuldigung für die Diskriminierung von Menschen, die sich für ihre Person und vor allem für ihren Körper („My Body – My Choice!“) gegen eine Impfung entschieden haben, kommt aus Kanada. In Bulgarien erwarte ich keine solche Entschuldigung, ich wüßte auch gar nicht von wem, bei 70 Prozent nicht Geimpfter. In Deutschland hingegen wäre eine solche Entschuldigung bei nicht wenigen angezeigt. Kommen wird sie wohl nicht, ich rechne ehrlich gesagt nicht damit. Die Deutschen sind Überzeugungstäter, und von einem Überzeugungstäter eine Entschuldigung zu erwarten, ist des Guten dann doch etwas zu viel verlangt. Überhaupt kann eine Entschuldigung, ich sagte das bereits, nur in Wiedergutmachung bestehen, und eine solchen Wiedergutmachung kann ich zumindest von den Schluchten des Balkans aus in Deutschland nicht erkennen.
Video RebelNewsCanada
Text TaxiBerlinBulgaria

Bericht aus Bulgarien (269) – „Donkey In The Dark“

Mein Freund Marko
Es war schon dunkel, als ich das Tal der Esel erreichte. Die Arbeiter waren schon weg, aber unsere Freunde, die Esel, selbstverständlich noch da. Marko schien auf mich gewartet zu haben. Nicht alle Esel in Bulgarien heißen Marko – aber so gut wie. Die Arbeiter, die am Tage die 64 Esel betreuen, sind Pomaken bzw. Pomazi, wie die früheren Helfer der Türken heißen. Pomaken sind muslimische Bulgaren. Sie sind für ihre Zuverlässigkeit bekannt und darüber hinaus gute Arbeiter, was ich bestätigen kann. Von Ismail, einem der Arbeiter im „Tal der Esel“, habe ich gelernt, die Hufe der Esel zu beschneiden, und das ganz alleine, obwohl ihre Hufe aus härterem „Material“ sind als die Hufe von Pferden. Ein Esel sieht in aller Regel nicht so smart und elegant aus wie ein Pferd, dabei ist er viel klüger als das Pferd. Der Esel hat es, man kann sagen, faustdick hinter den Ohren. In gewisser Weise ist er wie ein Ossi. Er ist klug und stellt sich dumm – beim Pferd ist es andersrum.
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Bericht aus Bulgarien (268) – „Auf Wiedersehen Atlantis“

Atlántis – Ατλαντίδα – Atlantída
Fast zwei Wochen war ich in Atlantis, der Insel meines bulgarischen Freundes Kony am Mittelmeer in Griechenland. Heute fahre ich zu ihm ins „Tal der Esel“ in Süd-Bulgarien, das er als Tierarzt betreut. Genauso wie dort, gibt es auch hier bei ihm weder Fernseher noch Radio. Da ich in meiner Hütte in den Schluchten des Balkans sowohl ein Radio, als auch eine Musikanlage mit einigen Klassik-CDs habe, ist es für mich immer noch etwas ungewohnt, nicht einfach mal Haydn oder Mozart auflegen zu können. Konny mag am liebsten Chopin, den er gerne selbst am Klavier vorträgt, das es bei ihm im „Tal der Esel“ gibt. Klar schaue ich im Internet nach, was ich wissen muss und denken soll. Aber selbst das wiederholt sich, vieles bleibt auch gleich: Putin = böse, Grün = gut. Wenn man einmal begriffen hat, dass es die ewige Wiederkehr des Immergleichen ist, kommt man am Ende auch ohne Internet aus. Oft habe ich oben auf dem Dach meiner Insel gesessen und mir einfach nur das Meer angesehen. Man sieht die Stühle, die eingeklemmt im Geländer sind, damit der Wind sie nicht weg weht. Die Zeit, die ich hier war, gab es kaum Wind, dafür jede Menge Sonne. Gerne hätte ich Henry Millers bekanntes Griechenlandbuch „Der Koloss von Maroussi“ hier gehabt, um es noch einmal zu lesen, aus dem der Spiegel im Oktober 1956 zitiert: „die Erlösung von allen Übeln, die uns plagen“ – das ist Griechenland, das kann ich bestätigen. Für einen Moment habe ich aufgehört zu suchen. Ich hatte alles gefunden, in meinem Atlantis Griechenland.
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