Bericht aus Berlin (015) – “Meine neue Freundin”

Fundstück

Neulich habe ich eine Frau kennengelernt. Auf der Straße. Wo sonst?! Sie ist ehemalige Friseurin, so wie ich ehemaliger Taxifahrer bin. Seit unserem Kennenlernen vor zehn Tage sehen wir uns regelmäßig und reden miteinander, wobei miteinander reden nicht ganz richtig ist, zumindest nicht im Verständnis vieler Menschen. Denn wir sprechen weder über das Wetter, noch über den Krieg und schon gar nicht über das Klima. Wir reden über uns und wie es uns in dem Moment geht, wo wir miteinander reden. Gestern hat meine neue Freundin mal über andere gesprochen, und dass es den meisten nicht gut geht gerade. Ich weiß das nicht, weil ich lange nicht da war. Auch deswegen bin ich froh, dass ich jetzt diese neue Freundin habe. Irgendwie bin ich noch gar nicht richtig angekommen, obwohl ich schon einen Monat hier bin. Komisch wirken sie schon, wie sie mit ihrem Latte an kleinen Tischchen auf dem Bürgersteig sitzen, als wäre alles wie immer. Die meisten laufen wie gehabt mit einem Bier in der Hand betäubt und orientierungslos durch die Gegend. Ich habe es mir abgewöhnt, in ihre Gesichter zu sehen. Ich schaue jetzt nach unten auf die Straße, wo ich gestern obiges Reclam-Bändchen fand. Ich habe Jung nie gemocht, aber das Zitat ist gut. Das meint auch meine neue Freundin. Auch sie niemanden heilen kann. Nicht mal als Friseurin.

Foto&Text TaxiBerlin

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