Bericht aus Bremen in Bulgarien (5)

Ortseingang

Gerade habe ich Joachim und seine Frau verabschiedet. Sie sind auf dem Weg Richtung Osten zur früheren Hauptstadt Veliko Tirnovo, wo sie um 17:30 Uhr eine Stadtführung gebucht haben. Was die beiden am Wochenende bei mir im Ort und mit mir erlebt haben, beschreibt Joachim in diesem Bericht:

Von Sofia führt die Straße hinauf in die Berge und über einen Pass durch Tannen- und Mischwälder. Die Aussicht zeigt Bergketten, die teils an den Schwarzwald und teils ans Allgäu erinnern. Die in unseren allgemeinen Reiseinformationen genannten Schlaglöcher auf Bulgariens Straßen, sie tauchen nicht auf, nicht auf dieser Strecke. Rumen hat Recht, wenn er von den “Schluchten des Balkans” schreibt, sage ich zu Kerstin beim Blick in ein tiefes Tal links der Straße.

Vor unserer Abfahrt nach Spanchevtsi erhalten wir noch letzte Instruktionen von Rumen: “Sei im Straßenverkehr auf alles vorbereitet. Layne fährt hier gar nicht, das ist ihr zu crazy. Am besten ihr fahrt über den Petrochan-Pass zu mir nach Spanchevtsi, so fahre ich immer.”

Was sollte das bedeuten, auf alles vorbereitet zu sein? Fahren die Bulgaren nach anderen Regeln als bei uns? Gibt es Geisterfahrer? Werden Autorennen auf Landstraßen ausgetragen statt wie bei uns auf Autobahnabschnitten? Es hilft ja nichts, wir saßen nun mal in unserem Mietwagen und mussten uns von A nach B bewegen. Dann also vorsichtig. Im Zentrum vom Ort Birsija, 5 km vor Berkowitza, kann man nacht rechts Richtung Varshetz und zum Kloster Klisura zu mir abkürzen, schreibt Rumen. Das ist nett, doch auf unserem deutschsprachigen Navigationsgerät werden weder Birsija noch Berkowitza angezeigt. Ein ähnlich klingender Ort namens Barzia könnte gemeint sein. Tatsächlich finden wir dort eine Abbiegung nach Varshets und “Klisurski manastir”, was wohl das Kloster sein muss.

Nach 90 Minuten Fahrt kommen wir an. Dazu müssen wir noch einen Feldweg erklimmen und die tiefen vom Regen ausgewaschenen Löcher und Rinnen umfahren. Ist es das Haus rechts oder links? Rumen steht vor der Tür, das muss er wohl sein, es gibt sonst keine Menschen weit und breit nur zwei Hunde, die uns blöde angucken, sie gehören einem der Nachbarn. Wir steigen aus, laufen die Wiese runter zum Hauseingang, begrüßen uns herzlich, umarmen uns wie alte Bekannte. Der bisher nur aus seinen Blogtexten bekannte Berliner Taxifahrer spricht mit einem typisch ost-deutschen Dialekt und ist mir gleich sehr vertraut. Da kommt keine Fremdheit auf, da sind keine Anhaltspunkte für irgendeine Antipathie.

Wir gehen ins Haus, bekommen unser Zimmer gezeigt mit dem Doppelbett, die Wohnküche, die riesige Terrasse, das Bad. Und noch bevor der Kaffee ausgeteilt ist und die Kuchen vom Vortags-Geburtstag sind wir mitten drin in Erzählungen, Fragen und Antworten, die uns bis in die Nacht beschäftigen. Es ist ein Kennenlernen, ein Austausch von gemeinsamen und unterschiedlichen Erfahrungen, von ebenso vertrauten wie fremden Geschichten. Wir mit unseren Biografien aus dem Westen, Rumen mit seiner aus dem Osten.

Das Abendessen besteht aus den Resten vom Vortags-Geburtstag, es gibt reichlich Schnitzel, Krautsalat, Brot, Butter und Käse. Wir sind satt am Ende des Tages, von unseren Eindrücken, unseren Erzählungen und dem Essen mit Blick von der Terrasse in die Berge. Am nächsten Tag werden wir die Umgebung kennenlernen, die Mineralquelle, das Badebecken mit dem warmen Mineralwasser, den Nachbarort Varshets, die alten verfallenen Häuser eines ehemaligen Bades, den Kontrast zwischen Alt und Neu, die steingewordenen Erinnerungen an eine Zeit, als noch kein Turbo-Kapitalismus Einzug gehalten hatte in dieser ländlichen Region. Heute befinden sich hier Spa-Hotels und ihre Neubauten neben zerfallenen Häusern, eine Art Permakultur in Beton.

Im Erfahren und Erlaufen der Gegend erzählt uns Rumen von den Menschen, den Ortschaften und seinen Begegnungen mit Leuten, die er uns zeigt, wenn sie am Straßenrand zufällig auftauchen, das Haus seines Bürgermeisters, das Rathaus, die Urlaubs-Ressorts für zumeist bulgarische Gäste. In Varshets trinken wir gemeinsam Kaffee, abends geht es zum “Stalin”, einer Forellenzucht mit Gästehaus und Restaurant. Dort essen wir neben gebratenen Forellen, Schopska-Salat, Kraut-Möhrensalat und ein Gericht, das sich “Sirene po schopski” nennt. Es besteht aus gebackenem Schafskäse, Tomate, Ei und Bohnenkraut und wird hier in einem Tontopf serviert. Dazu gibt es eine Art Getränke-Völkerfreundschaft bestehend aus bulgarischem und deutschem Bier. 

Noch haben wir Rumen an unserer Seite, der für uns erklärt und beschreibt, der die Bestellung aufgibt und dafür sorgt, dass wir das bekommen, was wir uns ausgesucht haben. Wie wird das werden, wenn wir uns weiter auf den Weg machen, so ziemlich auf uns gestellt?

Foto&Text JoachimBremen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert