Bericht aus Bulgarien (143)

Vor dem Rathaus in Sofia

Heute hat Bob Dylan Geburtstag und in Bulgarien ist Feiertag. Am 24. Mai wird hier traditionell aber nicht Robert Zimmermann, wie Bob Dylan eigentlich heißt, sondern den Brüdern Kyrill und Method gedacht, die mit dem glagolitischen die Vorstufe für das kyrillische Alphabet geschaffen, das sich wiederum ihre Schüler ausgedacht haben, und das auch andere slawische Brudervölker bis heute benutzen, unter ihnen das russische und das ukrainische, was ein Grund mit sein dürfte, warum nicht nur in Deutschland und den USA, sondern auch in der Ukraine viele Bulgaren leben. Die offizielle Bezeichnung des heutigen Feiertages ist „Tag der bulgarischen Volksbildung und Kultur und des slawischen Schrifttums“.

Neulich habe ich einen Text zum Krieg in der Ukraine verfasst, der sich auch mit der kyrillischen Schriftsprache beschäftigt, und den ich unter anderem der Berliner und der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) angeboten habe. Von der NZZ hat sich jetzt der Autor des Artikels bei mir gemeldet, wofür ich ihm sehr dankbar bin, auf dessen vor vier Jahren verfassten Artikel sich mein Beitrag bezieht, in dessen Zentrum das Denkmal der Sowjetischen Armee in Sofia steht. Der NZZ-Autor ließ mich wissen, dass er meine Argumente spannend und oft auch treffend fand, und dass er heute einige Dinge sicher anders schreiben würde im Kontext des Ukraine-Krieges.

Bevor ich Ausschnitte meines Artikels veröffentliche, möchte ich noch etwas zum obigen Foto sagen. Ich habe es vor zwei Wochen in Sofia vor dem Rathaus der bulgarischen Hauptstadt aufgenommen, als Demonstranten eines von der Partei „Wiedergeburt“ organisierten Protestes versuchten dort im Rahmen eines Happenings die ukrainische Fahne vom Balkon zu holen. Aber nicht, weil man etwas gegen die Ukraine oder Ukrainer hätte, viele von ihnen haben sich nach Bulgarien in Sicherheit gebracht, sondern weil man der Meinung ist, dass hier Bulgarien und nicht die Ukraine ist.

Da das Happening vorher angemeldet worden war, nicht umsonst sind die Bulgaren auch als „die Preußen des Balkans“ bekannt, waren zuvor Polizisten in Kampfuniform vor dem Rathaus aufgezogen, die man bisher auf den Protesten hier im Gegensatz zu Demonstrationen in der deutschen Hauptstadt in der Vergangenheit kaum gesehen hat. Die Demo in der bulgarischen Hauptstadt verlief absolut friedlich und ohne Zwischenfälle und die ukrainische Fahne ist bis heute auf dem Balkon des Sofioter Rathauses.

Das Rathaus der bulgarischen Hauptstadt befindet sich in der „ulitza Moskovska“, das ganze auf kyrillisch, was auf deutsch die Moskauer Straße ist. Niemand in Deutschland würde auf die Idee kommen, die Moskauer Straße, selbst wenn sie sich in Sofia befindet, als „ulitza Moskovska“ zu bezeichnen, genauso wie niemand plötzlich „Moskwa“ anstelle von Moskau sagt. Warum das bei „Harkiw“, das gestern noch Charkow hieß, und auch bei „Wolodymyr“ so gemacht wird in Deutschland, bleibt unklar. Was dahinter stecken könnte, damit beschäftigt sich mein Text:

Weltherrscher oder Friedensherrscher

Zum ersten Mal historisch belegt ist der Name Wladimir für den bulgarischen Herrscher Wladimir Rassate (um 850 bis nach 893). Der männliche Vorname setzt sich aus den beiden Worten „Macht“ oder „Herrschaft“ und „Frieden“ oder „Welt“ zusammen. Er kann „Weltherrscher“, aber auch „Friedensherrscher“ bedeuten. Wolodymyr ist Wladimir auf Ukrainisch.

Dass Wladimir zum ersten Mal in Bulgarien aufgetaucht ist, kommt nicht von ungefähr. Die Bulgaren haben den slawischen Völkern Europas den christlichen Glauben und Teilen von ihnen auch die kyrillische Schrift gebracht. Wladimir Rassate war der älteste Sohn des bekannten bulgarischen Zaren Boris I, der 865 das Christentum zur Staatsreligion erklärte und sich seither Michail nannte. Verbunden damit war, vielleicht das wichtigste, dass er in seinem Reich eine slawische Schrift und den Gottesdienst in slawisch-bulgarischer Sprache, dem so genannte Kirchenslawisch, einführte.

Kirchenslawisch oder auch Altbulgarisch ist die Sprache, in der üblicherweise in Ländern wie Russland, Serbien, Ukraine, Bulgarien und Weißrussland, deren orthodoxe Kirchen autokephal, also selbständig sind, die Liturgie stattfindet. Deswegen wird Kirchenslawisch oder auch Altbulgarisch, obwohl ansonsten eher eine „tote“ Sprache wie Latein, von gläubigen Menschen in diesen Ländern bis heute verstanden.

In Bulgarien weiß man also um die Bedeutung von Wladimir und Wolodymyr, und dass Wolodymyr nichts anderes als Wladimir auf Ukrainisch ist, und auch was Krieg bedeutet, selbst wenn offiziell kein Krieg stattgefunden hat im Land. Nicht wenige Bulgaren haben ganz reale Ängste, mit der „militärtechnischen Hilfe“ für die Ukraine zum Kriegsteilnehmer geworden zu sein. Waffen in Kriegsgebiete zu liefern oder diese auch nur instant zu setzen, trägt keinesfalls zum Frieden bei. Auch das weiß man in Bulgarien, und man wusste es auch in Deutschland, scheint es aber aktuell vergessen zu haben. Dafür schäme ich mich selbst in den Schluchten des Balkans noch.

So können aus Wolodymyr und Wladimir keine Friedensherrscher werden. Im Gegenteil, der Westen, allen voran die USA, trägt mit seinen Waffenlieferungen aktiv dazu bei, dass einer von ihnen oder am Ende gar beide sich zu Weltherrschern, ganz genauso wie der Präsident der Vereinigten Staaten, dem im Deutschland vor kurzem noch ganz offiziell sowohl die Fähigkeit als auch das Recht „die Welt zu führen“ attestiert wurde, aufschwingen und damit ein dritter Weltkrieg droht. Das ist kein Film, das ist die Realität.


PS: Aktuell ist dieser Artikel mit dem „schönen“ Titel „Bulgarien: Regierungskrise, geheime Waffenlieferungen und ein genialer Schachzug“ bei der Deutschen Welle erschienen. Mit dem „genialen Schachzug“ ist gemeint, dass am 4. Mai im bulgarischen Parlament „militärtechnische Hilfe“ für die Ukraine beschlossen wurde, wobei gilt: „Was genau in Bulgarien repariert werden soll, bleibt jedoch vorerst unklar.“ Direkte Waffenlieferungen sind also ausgeschlossen, zumindest offiziell, denn inoffiziell wird „Bulgarien damit fortfahren, Waffen an die Ukraine zu verkaufen“, ganz unabhängig davon, was man im Parlament beschließt. (Wozu braucht man dann überhaupt noch ein Parlament?) Die Begründung: „Verdeckter Waffenhandel war schon im Kalten Krieg die Spezialität von Kintex, das damals vom bulgarischen Geheimdienst geführt wurde.“ Das ganze gegen den Willen einer übergroßen Mehrheit der bulgarischen Bevölkerung. Laut aktuellen Umfragen lehnen 80 Prozent der Bulgaren jegliche militärische Unterstützung der Ukraine ab. – Dass dies, wie reden von nichts geringerem als von der Aushebelung des Parlaments, also des demokratischen Systems, ausgerechnet von der Deutschen Welle als „genialer Schachzug“ gefeiert wird, auch dafür schäme ich mich.

Foto&Text TaxiBerlin

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