Bericht aus Bulgarien (257) – “Vom Augen offen halten”
Unser Freund Konstantin, in dessen Ferienwohnung wir wohnen, hat sich gestern gemeldet und gesagt, dass er sich freut, dass wir hier sind, auch wenn es nicht der wärmste Ort im Winter sei. Noch ist aber kein Winter, im Gegenteil, die Temperaturen sind immer noch Spätsommerlich und die kommende Woche soll schön werden, wie mir eine ältere Griechin bestätigte, die ich auf der Straße traf und die deutsch sprach, weil sie viele Jahre in Deutschland gearbeitet hat. Unser Freund Konstantin arbeitet auch viel, wenn er nicht auf seiner Esel-Farm ist, die genau genommen ein Esel-Asyl ist, kastriert er Straßenhunde und -katzen in Griechenland und Bulgarien. In Griechenland gibt es viele von ihnen, viel mehr als in Bulgarien. Dort gab es das Phänomen in den Neunzigern. Parkanlagen und Straßen waren voll von Hunderudeln, die von ihren Besitzern, die sie beschützen sollten, ausgesetzt worden waren, weil sie irgendwann festgestellt mussten, dass sie kaum genug Geld hatten, sie selbst zu ernähren, geschweige denn ihren Hund. Ein Phänomen, das wohl demnächst wiederkehren wird, möglicherweise auch in der Heimat, und dem Ilija Trojanow sein Buch mit dem Titel “Hundezeiten” gewidmet hat, das sich aber um Bulgarien dreht. Damit die Hunde- und Katzenpopulation auf den Straßen und Plätzen und auch in den Parkanlagen abnimmt, werden sie von Tierärzten wie Konstantin eingefangen und kastriert und dann wieder freigelassen. Ich habe dabei auch schon mal mitgeholfen, sowohl auf der Straße beim Einfangen, als auch beim Kastrieren in der Klinik. Das ist kein Problem für mich, ich komme vom Dorf, hatte selbst Tiere als Kind, habe in der “Tierproduktion” gearbeitet und auch Veterinäringenieur studiert. Mein Problem ist die Vorstellung, dass man mich, von der Straße, meiner Universität wegfängt, wie man die Hunde und Katzen von dort wegfängt, um mir die Eier abzuschneiden, so wie man sie den männlichen Tieren wegschneidet, besser: herausoperiert, beim Kastrieren. Immer, wenn ich daran denken muss, dass mir das passieren könnte, schaudert es mich. Dagegen hilft auch nicht, was ich neulich von meinem Freund Konstantin erfahren habe, dass sich Kollegen von ihm beim Kastrieren kennengelernt haben, die jetzt glücklich verheiratet sind und Kinder haben. Das stimmt wirklich. So wie ich als Taxifahrer Menschen im Taxi und auf der Straße kennengelernt habe, beispielsweise auch meine Frau, so lernen sich Tierärzte beim Kastrieren kennen. Neulich hat mir das sogar eine Tierärztin bestätigt, die ich direkt danach gefragt hatte. Damals hatte ich noch keine Ahnung und dementsprechend eher mit einem “auf dem Rücken von Pferden” gerechnet. Aber nein, es war beim Kastrieren. Warum nicht. Und auch ich werde wohl übernächste Woche wieder beim Kastrieren Hilfestellung leisten, wenn ich bei meinem Freund Konstantin in Süd-Bulgarien vorbeischaue. Das bin ich ihm sozusagen schuldig, nachdem er uns seine Ferienwohnung hier an den griechischen Gestaden zur Verfügung gestellt hat. Aber trotzdem bleibt ein mulmiges Gefühl, das wie gesagt daher rührt, ich könnte selbst dieser Hund oder diese Katze sein, der bzw. die von der Straße weggefangen wurde. Neuerdings müssen sich sogar kleine Jungen bei kleinen Mädchen für ihre Männlichkeit entschuldigen. So hat es mir neulich in Sofia ein Historiker, kein Tierarzt, erzählt. Es handelt sich dabei um die “Entschuldigung an die göttliche Weiblichkeit”. Keine Frage, dass die Frau “Der Ursprung der Welt” ist. Aber sich als Mann für seine Männlichkeit entschuldigen, ist eine andere Geschichte. Ist diese denn nicht auch göttlich? Für mich ist sie das jedenfalls. Und so interpretiere ich auch meine “Kastrationsangst”. Schön und gut, wenn Tierärzte sich beim Kastrieren kennenlernen und glücklich sind. Sollen sie. Aber die zu Kastrierenden haben sich auch nicht dafür entschuldigt, dass der liebe Gott sie mit Eiern ausgestattet hat. Also warum sollte ich es. Ich halte die Augen jetzt besser noch etwas weiter offen.
Foto&Text TaxiBerlin