Bericht aus Bulgarien (297) – “Auswandern”

Gebirge in Bulgarien – ein idealer Ort auch zum Schreiben

 

Ein Freund und Leser meines Blogs ist gerade in Bulgarien unterwegs, im Moment ist er in Balchik am Schwarzen Meer, auch weil er herausfinden will, ob die Schluchten des Balkans etwas für ihn sind, auch und gerade im Alter. Im Juni war er schon einmal hier gewesen, damals zusammen mit seiner Frau. Für beide war es das erste Mal, auch mit der kyrillischen Schrift hatten sie bisher keine Berührung. Und das ganze nur, weil sie zuvor meinen Artikel “Bulgarien – die große Freiheit” gelesen hatten. Ich finde das sehr mutig und absolut bewundernswert.

Aber nicht nur das. Ich bin davon überzeugt, dass das erst der Anfang ist. Denn ich gehe davon aus, dass nicht nur mein Freund und seine Frau überlegen, ob sie Deutschland verlassen sollten, und das ganz unabhängig vom Alter und auch der Altersplanung. Nicht alle denken beim Auswandern an Bulgarien, das ist klar. Und die an Bulgarien denken, denken oft ans Schwarze Meer, beispielsweise Varna, wo sich mein Freund heute hinbegibt, und vielleicht noch Sofia, so meine Erfahrung.

Das ist verständlich, weil das ist das, was die allermeisten kennen. Aber Bulgarien ist mehr als Sofia und Schwarzes Meer. Bulgarien ist vor allem Gebirge, davon gibt es jede Menge in dem kleinen Land am Rand, nicht umsonst schreibe ich immer von “den Schluchten des Balkans”, darüber hinaus Landwirtschaft und weniger Industrie, und einfache aber authentische und vor allem gastfreundliche Menschen.

Bulgarien und meine bulgarischen Verwandten, Freunde, Bekannten und selbst meine bulgarische Ex-Ehefrau, das realisiere ich mit jedem Tag mehr, ließen mich immer so sein, wie ich bin. Im Gegensatz zu Deutschland, sowohl DDR, als auch das wiedervereinigte Deutschland, wo ich immer irgendwie sein sollte, arbeiten sollte, Geld verdienen sollte, mich an Regeln halten sollte und vieles anderes sollte. Wer in Deutschland lebt oder schon einmal gelebt hat, weiß, wovon ich rede.

Auch die Angst ist nirgendwo größer als in Deutschland, und die Kontrolle, oder besser der Versuch der Kontrolle. Nur, das allermeiste im Leben kann man nicht kontrollieren oder gar unter Kontrolle halten. Die Idee, sein Leben unter Kontrolle zu haben, ist eine Illusion. Schon vor Corona realisierten dies Menschen in Deutschland, und nur allzuoft war die Folge eine Sucht oder gar eine Depression oder beides. “Depression Is The German Way”, sagte ich dann immer, inspiriert von “Desperation Is The Englisch Way” aus Pink Floyds “The Dark Side Of The Moon”.

In Bulgarien gibt es diese Illusion die Dinge kontrollieren zu wollen in der Form nicht, wie es sie in Deutschland gibt, und hat es sie wohl auch nie gegeben. Kontrolle ist dem bulgarischen Wesen in gewisser Weise fremd. Die Menschen sind eher spontan, leben im Moment und denken weniger an Morgen. Es kann durchaus passieren, dass man einen Ausflug ans Meer geplant hat und sich plötzlich im Gebirge wiederfindet. Mir ist das zumindest schon öfters passiert im “Land der Überraschungen”, wie Bulgarien von Insidern liebevoll genannt wird.

Vorgestern habe ich diesen Podcast über Bulgarien gehört, in dem genau darauf hingewiesen wurde, und das gleich von mehreren Interviewten. Unisono sagten sie, dass man besser kleine Pläne macht, wenn man nach Bulgarien kommt, sondern offen ist für das, was der Tag so alles bringt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwer das ist. Ich habe ein halbes Leben dazu gebraucht davon loszukommen und bin immer noch nicht angekommen, mache immer noch Pläne, suche immer noch nach einer täglichen Routine, bin also selbst immer noch auf meinem Weg.

Aus meiner jahrelangen Erfahrung als Taxifahrer, und da insbesondere aus unzähligen Gesprächen mit meinen Fahrgästen, weiß ich aber auch, dass die, die sich gerne offen geben und immer wieder betonen, wie offen sie sind, oft die geschlossensten sind. Auch das war ein Prozess, dies für mich herauszufinden. Dass insbesondere Menschen, die ihre Offenheit betonen müssen, dies auch nötig haben, weil es in der Realität eben etwas anders aussieht. Auch und gerade weil das wichtigste im Leben die Veränderungen sind, ist es so schwierig, Dinge im eigenen Leben zu verändern. Es ist das Einfache, was so schwer zu machen ist.

Was bis heute konstant und sprichwörtlich ist, das ist die Gastfreundschaft der Bulgaren. So habe ich beispielsweise Geschichten gehört, dass Bulgaren kranke deutsche Touristen bei sich aufgenommen, in ihre Familie integriert und gepflegt haben, damit sie irgendwann wieder gesund und munter nach Deutschland zurückfliegen konnten. Später, wenn diese Bulgaren dann in Deutschland waren, wollten die von ihnen gesund gepflegten Deutschen aber nichts mehr wissen von ihren Krankenpflegern, hatten keine Zeit oder einfach kein Interesse, nicht mal daran, sich mit ihnen zu treffen, sie wiederzusehen.

Gastfreundschaft ist nichts, womit man Geschäfte mit machen kann. Das ist leider auch wahr. Wenn man das könnte, wäre Bulgarien ganz weit vorne. Gastfreundschaft findet man auch eher an Orten, wo weniger oder gar keine Touristen sind. Auch deswegen bin ich im Nordwesten, der ärmsten Region des Landes. Aber auch, weil ich sie mir leisten kann. Die Preise in Sofia und auch am Schwarzen Meer sind oft andere, selbst für die alltäglichsten Dinge.

“Не Всичко Е Пари” – “Nicht alles ist Geld”, ist ein bekannter Song des bulgarischer Rappers Kobaka aus den Nuller Jahren, wenn ich mich richtig erinnere, der mir bis heute nicht aus dem Kopf geht, und auch das bulgarische Motto: “Mit Geld kann jeder!” – Aber natürlich muss auch ich von irgendetwas leben. Und so suche ich immer noch nach einem Kompromiss, wie ich mein reichhaltiges Wissen über Bulgarien an den Mann bringen kann.

Im Internet werden Kurse von Deutschen für Deutsche angeboten, die auswandern wollen, die mehrere hundert Euro kosten. Das könnte ich auch machen und sogar noch mehr Geld verlangen, nicht nur weil ich auch etwas bulgarisch spreche, was die allermeisten Anbieter der Kurse nicht tun, sondern weil ich vermutlich mehr weiß als sie alle zusammen. Immerhin war ich auch viele Jahre mit einer Bulgarin verheiratet und habe Verwandte, Bekannte und Freunde hier.

Und trotzdem tue ich mich schwer, solche Kurse anzubieten. Das liegt auch daran, dass ich eigentlich schreiben will, aber nicht nur. Denn auch in mir steckt der Wunsch, mein Wissen weiterzugeben und Menschen zu helfen, damit sie weiter kommen, nicht umsonst bin ich sowohl Taxifahrer, als auch Krankenpfleger.

Jeder, der sich mit dem Gedanken trägt, nach Bulgarien auszuwandern, kann sich jederzeit an mich wenden. Mein Spezialgebiet sind übrigens Esel in Bulgarien. Wenn ich helfen kann, dann tue ich das gerne, und was ich weiß, teile ich auch gerne. Was “Teilen” bedeutet, habe ich vor kurzem noch einmal bei den Meetings der Anonymen Alkoholiker lernen dürfen, wofür ich bis heute dankbar bin.

Dass auch ich von irgendetwas meine Rechnungen bezahlen muss, ist eine Selbstverständlichkeit, insbesondere für Menschen in der Heimat, die genau aus diesem Grund übers Auswandern nachdenken, also weil sie jetzt schon nicht mehr ihre Rechnungen bezahlen können in Deutschland oder demnächst. Das muss ihnen also niemand sagen, und schon gar nicht ich.

Was ich diesen Menschen mit auf den Weg geben möchte, ist folgendes: sucht nicht nur in den bekannten Orten, sondern im Gegenteil, schaut euch vor allem in den weniger bekannten Gegenden um; bleibt offen und haltet nicht starr an dem fest, wie es in Deutschland ist, auch in der Heimat verändern sich die Dinge rasant und vieles gilt dort jetzt schon nicht mehr, was gestern noch fest zu stehen schien; bringt Zeit mit, oft ist Zeit sogar wichtiger als Geld; und, vielleicht das wichtigste, macht Kontakte und schließt Freundschaften mit den Menschen vor Ort, in eurem Dorf oder eurer Stadt, wo ihr gerade seid, denn die Bulgaren sind wie gesagt sehr hilfsbereit; spielt nicht den Besserwisser und Rechthaber, und versucht vor allem nicht alles kontrollieren zu wollen, sondern seht eher, was der Tag euch alles bringt.

Wer Fragen zum Thema “Auswandern nach Bulgarien” hat, kann mich gerne jederzeit kontaktieren. Meine e-mail Adresse findest du oben rechts, wo auch mein Spenden-Link ist. Spenden sind auch immer willkommen – Danke!

Foto&Text TaxiBerlin

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