Bericht aus Bulgarien (304) “Eine Gans für gut”

Eine Gans als Geldanlage – das geht auch
(heute auf dem Flohmarkt in Montana)

Den Spiegel, das ehemalige Nachrichtenmagazin aus Hamburg, lese ich nur, um zu wissen, was ich denken soll. Meist ist das das Gegenteil von dem, was stimmt, oder was mir näher an der Wahrheit erscheint. Bei diesem Umdenken, also Informationen vom Kopf auf die Füße zu stellen, hilft mir der halbe Bulgare in mir. Beim Bulgaren, ich erwähnte das schon mal, ist nämlich Ja Nein und Nein Ja, genauso wie Oben Unten und Unten Oben ist. Ich möchte das mit dem bulgarischen Umdenken anhand eines aktuellen Spiegel-Artikels mit dem Titel “Jetzt trifft es auch die Mittelschicht – So knockt die Inflation die Sparer aus” beispielhaft vorführen, denn umdenken ist gar nicht schwer. Ein jeder kann es lernen, selbst jene Zeitgenossen, die mit dem Bulgaren nichts am Hut haben. Als erstes erfahre ich vom Spiegel, dass viele Deutsche ihre Sparkonten leer räumen, also etwas, was ich bereits am 10.09. an dieser Stelle geschrieben habe, weil es mir logisch erschien, nicht weil ich den Spiegel gelesen hatte. Der ist auch erst später drauf gekommen, um genau zu sein am 16.09. Der Spiegel könnte am Ende gar von mir abgeschrieben haben, und hat es vermutlich auch. Doch zurück zum Spiegel-Text. Wie viele sind nun viele? Das erfährt der Spiegel-Leser leider nicht. Da der Spiegel darüber schreibt, müssen es ziemlich viele sein. Dieser logische Gedanke soll für den Moment reichen. Dann soll ich denken, dass diese vielen Menschen ihr Geld abheben, anstelle es zurückzulegen. Was genau ist nun mit zurücklegen gemeint? Mein erster Gedanke ist “für gut”, wie wir früher in der DDR sagten, wenn wir etwas für besondere Anlässe zurücklegten, es mit anderen Worten schonten. Das ist, so denke ich, hier nicht gemeint. Oder vielleicht doch? Kann man sein Geld schonen oder “für gut” zurücklegen? Ich glaube eher nicht. Wenn ich den Spiegel richtig verstehe, meint er, typisch deutsch, die Menschen sollten ihr Geld doch auf dem Konto belassen, damit sie morgen noch ihre Rechnungen bezahlen können. Darauf deutet der Hinweis hin, dass die Endabrechnung doch erst noch kommt. Nur, wovon soll ich morgen meine Nebenkostenabrechnung noch bezahlen? Mit dem Geld auf dem Konto, das dann nichts mehr wert ist? (In Bulgarien ist genau dies Ende der Neunziger geschehen, da waren innerhalb weniger Monate 1.000 Lewa nur noch einen ganzen Lew wert.) Da stelle ich mir doch lieber heute noch fünf Kühlschränke und acht Waschmaschinen in den Keller, wofür ich wiederum mein Konto leer räumen muss, ohne dem geht es nicht (außer ich plündere den Laden, aber so weit sind wir noch nicht), als tatenlos zuzusehen, wie mein Geld auf dem Konto, wofür ich auch noch bezahlen muss, mit jedem Tag seinen Wert verliert. Und je jünger ich bin, desto aktiver bin ich mit dem leer räumen meines Kontos und dem selbständigen Anlegen meines Geldes, wobei es mit dem selbständigen Anlegen meist besser klappt als mit dem selbständigen Denken, scheint mir. Das liegt wohl in der Natur der Dinge und erklärt auch, warum laut Spiegel immer häufiger selbst Menschen um die 30 mit guten Gehältern “betroffen” sind. Auch hier muss man wieder umdenken. “Betroffen” sind die, die ihr Sparkonto jetzt nicht leer räumen, und zwar morgen, spätestens übermorgen. So wird mir ein Schuh aus der Geschichte, in der es vor allem um mangelndes Vertrauen geht, und zwar in den Staat, der gerade dabei ist, sich selbst zu delegitimieren, was man aber nicht sagen darf. Bei der Verschleierung seiner Delegitimierung hilft ihm der Spiegel – so gut er eben kann mit seinem Relotius-Personal. Bleibt noch die Frage, wie man sein Geld noch anlegen kann, wenn man keinen Keller für Waschmaschinen und Kühlschränke hat. Oldtimer beispielsweise sollen gerade eine gute Geldanlage sein, eine Garage vorausgesetzt. Richtig Reiche kaufen seit einiger Zeit ganz viel Land oder gleich die Bodenschätze eines ganzen Landes. Mit Gold muss man als kleine Kartoffel vorsichtig sein, der private Besitz könnte morgen verboten werden – wäre nicht das erste Mal. Silber ist da besser, aber auch weniger wert. Ich selbst habe vor meiner Abreise mein kleines Geld noch in einen neuen Laptop angelegt, der immer noch “für gut” unter meinem Bett liegt. Ich mache es so, wie ich es in der DDR gelernt habe, trage erst die alten Sachen auf, bis sie auseinanderfallen, bevor ich die “für gut” aus dem Schrank raus- oder eben unterm Bett vorhole. Und wenn demnächst hier nichts Neues von mir erscheint, dann liegt das nicht daran, dass mein Geld, was ich nicht habe, nichts mehr wert ist, sondern dass ich mich mit meinem neuen Laptop, den “für gut”, vertraut mache.

Foto&Text TaxiBerlin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert