Bericht aus Bulgarien (441) – “Meinungsfreiheit statt Tyrannei”

Engels und Maaz neben Schwab

Unter der Überschrift “Presse- und Meinungsfreiheit in Bulgarien” erfährt man auf der Seite der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, dass laut Reporter ohne Grenzen auf der Rangliste der Pressefreiheit Bulgarien 2020 auf Platz 111 angelangt sei und Deutschland im Vergleich dazu auf Platz 11 liegt.
Interessanterweise kommt im Artikel selbst der Begriff Meinungsfreiheit gar nicht vor, so dass man davon ausgehen muss, dass für Reporter ohne Grenzen Pressefreiheit gleich Meinungsfreiheit bedeutet. Abgesehen von der Frage, ob dieses Ranking überhaupt noch die Realität abbildet, insbesondere wenn man sich die Hofberichterstattung der Medien in Deutschland ansieht, hat Meinungsfreiheit mit Pressefreiheit praktisch gar nichts zu tun. Dazu ein kurzer Blick zurück:
In der DDR durfte man zwar nicht alles sagen, alles denken durfte man aber schon. Heute, wo man angeblich alles sagen darf, woran immer mehr Menschen Zweifel haben und die allermeisten instinktiv spüren, dass dies eine hohle Phrase ist, muss die Schere zwangsläufig früher ansetzen als in der DDR. Im besten Deutschland, das es jemals gab, ist es besser, man denkt viele Dinge erst gar nicht mehr.
Das ist ein gewaltiger Unterschied, ob ich zwar nicht alles sagen, dafür aber alles denken darf wie in der DDR, oder ob einem gesagt wird, man dürfe alles sagen, man aber bewusst oder unbewusst spürt, dass das nicht stimmt und deswegen bestimme Dinge besser erst gar nicht mehr denkt.
Dann gibt es diese Gedanken, diese Ideen, diese Meinungen erst gar nicht, und wenn doch, dann lade ich sie aus und verteufele sie parallel dazu mit “Rechts Rechts Nazi”, was wiederum den Vorteil hat, dass ich mich mit ihnen erst gar nicht auseinandersetzen muss. Die Frage bleibt, wie lange das gut geht.
Auf diese nicht neuen Überlegungen komme ich, weil mich Freunde hier in Bulgarien gerade darauf hingewiesen haben, dass die Evangelische Paulusgemeinde in Halle (Saale) den bekannten Psychoanalytiker, Psychotherapeuten, Bestsellerautor und Gewinner des “MIND Award 2022/23” Hans-Joachim Maaz für das in dieser Woche stattfindende “Montagsgespräch” ausgeladen hat.
Die Angst muss groß sein unter den Kirchenleuten. Aber gut, unter den uns Regierenden dürfte sie nicht minder groß sein, also warum sollte sie vor der Kirche Halt machen? Traurig ist es aber schon, insbesondere wenn man sich an die Rolle erinnert, die die Kirche in der DDR bei der Wende ’89 gespielt hat.
Das letzte Buch von Hans-Joachim Maaz heißt “Angstgesellschaft”, ist im Mai in Deutschland herausgekommen und passt wie die Faust aufs Auge zur eben erwähnten Angst. Im Oktober erschien es in Bulgarien, mein Freund Martin Petrushev hat es übersetzt und ein Interview mit Hans-Joachim Maaz geführt.
Obiges Foto ist ebenfalls im Oktober in einer kleinen Buchhandlung in der Stadt Goce Deltshev, also nicht in Sofia, im Südwesten Bulgarien entstanden. Das Buch von Hans-Joachim Maaz stand aber nicht nur verfügbar im Regal, sondern auch noch friedlich zwischen den Büchern von David Engels (links) und Klaus Schwab (rechts).
Ich selbst war im September zu einer von Martins “Ost-West” Verlag organisierten Veranstaltung mit David Engels in Sofia, die sehr gut besucht war, darunter viele Bulgaren, die so wie ich aus Deutschland bzw. Österreich auch aus Gründen der Meinungsfreiheit nach Bulgarien zurückgekehrt sind. Unter ihnen ein junger Mann, der 13 Jahre in Regensburg gelebt hatte, mit dem ich ins Gespräch kam und der meinen Artikel “Bulgarien – die große Freiheit” kannte.
Aber ich habe nicht nur einen meiner Leser persönlich kennengelernt, sondern bei einem gemeinsamen Abendessen auch den Autor und Historiker David Engels, der sich vor einiger Zeit von Deutschland nach Polen in Sicherheit gebracht hat. Insbesondere sein Buch “Was tun?” kann ich empfehlen, und nicht nur, weil Michele Houellebecq es am Anfang des Buches auch empfiehlt.
Doch zurück zur Meinungsfreiheit, um die es in Bulgarien um einiges besser bestellt ist als in Deutschland. Wenn es eines Beweises bedurfte, dass Pressefreiheit gleich Meinungsfreiheit falsch ist, dann ist es das kleine Land am Rand. Für Deutschland gilt die Gleichung dann aber möglicherweise doch, allerdings umgedreht, also “Pressefreiheit” gleich “Meinungsfreiheit”.
Ich hatte es schon mehrfach geschrieben, möchte mich aber auch hier wiederholen: In Bulgarien darf ein jeder alles sagen. Dieser Meinung bin nicht nur ich, sondern auch Dr. Marin Guenchev. Der bulgarische Neurochirurg und Vater von sieben Kindern, der sowohl in Österreich, als auch in Deutschland gelebt und studiert hat, leitet eine eigene Praxis in Sofia.
Mit ihm führte Sibila Tasheva letzten Sommer ein ausführliches Interview. Die Juristin und Autorin von “111 Gründe Bulgarien zu lieben” hat sich oft über die Berichterstattung deutscher Medien über Bulgarien beziehungsweise über deren Mangel geärgert und überlegt, was sie dagegen tun kann. Daraus ist die Idee zu ihren Podcasts entstanden.
In diesem erklärt Marin Guenchev, warum es so wichtig ist, dass man wirklich alles sagen darf. Seine wichtigste Aussage (ab 31:20) ist diese:

Eine der großen Talente der Bulgaren ist, eine Tyrannei zu erkennen und sich dagegen zu wehren, passiv, aber trotzdem sich zu wehren. Das hängt vielleicht auch mit der türkischen, der osmanischen Okkupation von Bulgarien zusammen, ich weiß es nicht. Aber prinzipiell erkennt der Bulgare eine Tyrannei sehr schnell, vielleicht auch unterbewusst. Und deswegen sind wir Bulgaren eigentlich sehr freiheitsliebende Menschen, das gefällt mir. Das hat mir auch ein Österreicher gesagt: “Ich hab’ das Gefühl, wenn ich nach Bulgarien komme, ich kann ALLES sagen.” Das hat so geklungen, als könne er dort nicht alles sagen, und das stimmt auch. Und das ist etwas, was man in Bulgarien lernen kann: diese Liebe zur Freiheit und zur Meinungsäußerung. Natürlich, wenn Sie kommen, hören Sie jeden möglichen Blödsinn, von Konspirationstheorien bis alles Mögliche, also alles Mögliche. Und manchmal hat man das Gefühl, diese Meinungsfreiheit, die es in Bulgarien gibt, die geht mir ein bisschen zu weit, die geht mir manchmal furchtbar auf den Wecker. Und dann denke ich mir: Ist besser so, als das Gegenteil. Alle haben die gleiche Meinung, keiner traut sich irgendwas zu sagen und alle marschieren in die Richtung, in der wir nicht sein wollen. Das ist auf jeden Fall etwas, was man in Bulgarien lernen kann.
PS: Eine “Tyrannei der Ungeimpften” hat es nie gegeben. Was es gibt, sind so genannte Nachrichtenmagazine, die einem vorschreiben, was man denken soll.
Foto&Text TaxiBerlin

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