Bericht aus einem gebrochenen Land (015)

Am Samstag habe ich mich mit Freunden getroffen. Ich treffe mich regelmäßig mit Freunden. Früher habe ich die Menschen in meinem Taxi getroffen. Heute ist auch das wie so vieles anders. Immerhin, wir treffen uns noch so wie früher von Angesicht zu Angesicht. Jeder erzählt immer nur von sich bei diesen Treffen. Die anderen hören zu und versuchen denjenigen, der spricht, zu verstehen, sich in seine Lage zu versetzen. Niemand macht Kommentare oder gibt Ratschläge. Das ist verpönt. Am Samstag erzählte nun ein Freund, dass er mit 10,- Euro am Tag auskommen muss. Dass er davon nicht nur Essen und Trinken bezahlen muss, sondern auch Toiletten und Rasierklingen. Einen Döner kann er sich nicht mehr leisten. Das geht mir bis heute nicht aus dem Kopf. Auch gestern beim Bäcker musste ich an die Worte des Freundes denken. Dort, also beim Bäcker, kaufte ich mir zwei Brötchen oder auch Schrippen, wie man in Berlin sagt. Weil Sonntag war, war ich bei einem teuren Luxus-Bäcker, wo die Schrippe 50 Cent kostet. Ich habe also für die beiden Brötchen einen ganzen Euro bezahlt. In Bulgarien würde ich dafür ein ganzes Brot bekommen, und zwar ein großes. Vor dem Krieg habe ich für einen Euro hier noch vier Schrippen bekommen, aber das ist lange her. Außer diesen einen Euro für die beiden Brötchen habe ich gestern kein weiteres Geld ausgegeben. Butter und Belag hatte ich noch zu hause. Auch ich habe einige Zeit keinen Döner mehr gegessen. Bei mir um die Ecke kostet der Döner jetzt sechs Euro und mehr. Das ist er mir ehrlich gesagt nicht wert. Nach dem Treffen am Samstag hat eine Freundin den Freund, der sich keinen Döner mehr leisten kann, spontan zum Döner Essen eingeladen. Das fand ich gut. Der Freund hat das Angebot nicht angenommen. Auch das fand ich gut. Darüber sprechen, wie es einem geht, ist das eine. Einladungen annehmen, was anderes. Der Freund hat seine Geschichte nicht erzählt, um eingeladen zu werden. Am Ende geht es in unserer Runde um Würde.

Foto&Text TaxiBerlin

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