Der Minister, mein Kmet und ich

„Mein Fernseher“

Gestern habe ich meinem Kmet, also meinem Bürgermeister, geholfen eine Überdachung für das Holz zu bauen, mit dem er im Winter seine Kneipe beheizt. Ich habe die vier Metallpfeiler der Überdachung gestrichen, damit sie nicht gleich zu rosten anfangen. Die Metallpfeiler sehen so aus, als wären sie vom letzten Krieg übrig geblieben. Ich glaube, mein Bürgermeister hat sie auf irgendeinem Hof in unserem Dorf gefunden, in dem wir die letzten beiden verbliebenen Einwohner sind. Obwohl mein Bürgermeister meinte, er wäre, was die Farbe angeht, ohne „Prätenzii“, war er mit meinem Grün dann nicht ganz zufrieden. Das liegt daran, dass er die „Grünen Socken“ („Seleni Tshorapi“), wie die Grüne Partei hier umgangssprachlich genannt wird, nicht leiden kann, genauso wie er Deutsche nicht leiden kann. Ich muss dazu sagen, dass ich ihm anfangs auch Braun als Farbe in Aussicht gestellt hatte. Aber irgendwie wollte ich das Braun dann doch für mich behalten, und zwar weil ich meine eigenen Pfeiler braun gestrichen habe und man nie weiß, ob man nicht doch irgendwas vergessen hat. Meinem Bürgermeister blieb nichts anderes übrig, als mit Grün einverstanden zu sein. Mit meinen Streicharbeiten war er nicht nur einverstanden, sondern sogar sehr zufrieden. „So arbeitet ein Deutscher!“, sagte er zu mir, als ich mit dem Streichen fertig war, obwohl er die Deutschen wie gesagt nicht leiden kann. Danach gingen wir in seine Kneipe, um dort zusammen zu Abend zu Essen und die Nachrichten zu sehen.

Da ich selbst keinen Fernseher habe, gehe ich von Zeit zu Zeit in die Kneipe von meinem Bürgermeister, um die Nachrichten zu sehen. Gestern erfuhr ich nun, dass im Land über Nacht der Grüne Pass eingeführt worden war. Selbst mein Bürgermeister wusste nichts davon. Außerdem wurde darüber berichtet, dass daraufhin jemand in Sofia versucht hat, dem zuständigen Minister auf den Kopf zu schlagen. Und das gab es dann den ganzen Abend in unzähligen Wiederholungen, manche davon in Slow Motion, im Fernsehen zu sehen. Selbst in Bulgarien passiert es nicht alle Tage, dass jemand versucht einem Minister auf den Kopf zu schlagen. Man muss dazu sagen, dass nicht nur diese eine Person in Sofia auf die Straße gegangen ist, die versucht hat dem Gesundheitsminister auf den Kopf zu schlagen, sondern dass es in allen großen Städten Bulgariens (Plovdiv, Varna, Burgas, Veliko Tirnovo, Gabrovo, Haskovo, Kirdschali u.a.) Demonstrationen gegen die Einführung des Grünen Passes durch den Gesundheitsminister gab und auch heute wieder geben wird.

Dass Menschen in Bulgarien auf die Straße gehen, ist nicht unbedingt selbstverständlich. In dem von mir beim Wieser-Verlag in Klagenfurt herausgegeben bulgarischen Klassiker „Bai Ganju, der Rosenölhändler“ liest sich das so: „Und was wird das Volk dazu sagen, was wird es tun? Eine interessante Frage! Du hast mir einmal versichert, dass Du noch an das bulgarische Volk glaubst. Nun, das war ja wohl ein Scherz! Wem sollte denn Dein Glaube gelten? Dieser Nation von Sklaven, die das alles hinnimmt? Sieh Dir ihre Vertreter an! Das Volk, an das Du glaubst, ist ein Sklave, jawohl ein einziger Sklave. Es empfindet Unterwürfigkeit als höchstes Glück, Tyrannei als Wohltat, knechtische Ergebenheit als Heldentum und jedes verächtliche Angeherrschtwerden als Sphärenmusik.“ Das mag für die Bulgaren zutreffen, aber nicht für die Deutschen gelten, mag der ein oder andere jetzt denken. Friedrich Nietzsche sah das anders, als er meinte, dass ein Deutscher zwar großer Dinge fähig sei, es aber sehr unwahrscheinlich wäre, dass er sie auch tut, weil er gehorcht, wo er kann, wie das einem an sich trägen Geist zuträglich ist.

Zurück zu mir, einem halben Deutschen und einem halben Bulgaren in Bulgarien. Ich war gestern nicht auf der Straße, einfach weil ich nicht in der Stadt sondern auf dem Dorf und ohne Fernseher wohne, und wo ich meinem Bürgermeister helfen muss, um überhaupt mal zu erfahren, was im Land und auf der Welt vor sich geht. Ich muss dazu sagen, dass ich das nicht als schlimm empfinde, im Gegenteil. Ich habe jedenfalls nicht den Eindruck, irgendetwas wichtiges zu verpassen. Dass nun jemand versucht hat in der Hauptstadt Sofia dem Gesundheitsminister auf den Kopf zu schlagen, finden weder mein Bürgermeister noch ich fair. Da die Bilder den ganzen Abend im Fernsehen wiederholt wurden, dauerte es einige Zeit, bis ich meinen Bürgermeister fragen konnte, wie das jetzt mit dem Grünen Pass werden soll. Der weiß es aber auch nicht. Er weiß nicht einmal, was ein Grüner Pass ist. Da haben sich zwei gefunden. Ich hab nicht mal ein Smartphone. Irgendwann meinte mein Bürgermeister, dass er das jetzt nicht auch noch machen kann. Es hat etwas gedauert, bis er mir geantwortet hatte. Auch er stand noch ganz unter dem Eindruck der Bilder im Fernsehen. Am Anfang dachte ich, dass er meinte, er würde es nicht auch noch schaffen würde, jemandem auf den Kopf zu schlagen. Aber das war natürlich Quatsch. Was mein Bürgermeister meint, ist, dass er jetzt nicht auch noch irgendwelche Tests für sein Dorf organisieren und kontrollieren kann. Mein Kmet, also mein Bürgermeister, hatte offensichtlich ganz vergessen, dass wir beide die einzigen verbliebenen Einwohner im Dorf sind.

Foto&Text TaxiBerlin

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