Zu einem Virus hat’s nicht gereicht

Mein Leibgericht

Das ist gerade mein Leibgericht: Paprika (etwa ein Euro das Kilo), Eier (13 Cent das Stück) und Schafkäse (halber Preis wie in D). Wenn ich Glück habe, schenkt mir die Nachbarin Paprika (sie hat gerade zu viel davon) und ein paar Eier dazu. Das ist aber eher die Ausnahme, denn sie muss praktisch vier Familien mit ihrem Garten ernähren: Ihre beiden Töchter und dann noch die beiden Enkel. Guter Schafkäse ist schwer zu finden. Das meiste, was im Laden verkauft wird, ist nicht wirklich gut. Und bei denen, die ihn noch selber machen, herrscht in Sachen Sauberkeit oft kein deutscher Standard, um es mal so zu formulieren. Für mich als halber Bulgare ist das nichts Neues. Ich bin daran gewöhnt. Und überhaupt: Was mich nicht umbringt, macht mich stark.
Apropos: Höre gerade im Radio, dass die, die zu lange brav ihre Maske getragen haben, nun anfälliger für die Grippe sind. Das kann mir schon mal nicht passieren. Dann sagen sie noch, dass jetzt immer mehr Geimpfte erkranken, und das verstehe ich nicht. Ich meine, deswegen haben sie sich doch impfen lassen, oder? Und wer ist jetzt wieder Schuld daran, dass sie trotz Impfung erkranken? Ich wette, die Ungeimpften! Ich kann es nicht wirklich erklären, und ich glaube niemand kann es, aber es scheint mir doch folgerichtig zu sein. Logisch ist es natürlich nicht, das ist klar. Auf einer deutschen Internetseite las ich neulich, dass man jetzt wohl keinen mehr umstimmen könne. Warum sollte man das auch? Darf doch jeder seine eigene Meinung haben, oder? Und überhaupt: Wenn der Impfstoff gar nicht wirkt, warum sollte man sich dann impfen lassen? Eine schöne Geschichte ist noch die mit diesem Profi von Bayern München. Und ich dachte, diese Profis hätten nur Stroh im Kopf. (Wäre ja nicht das erste Mal, das aus Stroh Gold gemacht wird.) Respekt, auch wenn er wohl bald nicht mehr spielen darf (oder sich noch irgendwann impfen lässt, wenn der Druck zu groß wird). Vielleicht kommt er eines Tages, wenn das alles Schnee von gestern ist, groß raus mit seiner „Haltung“. (Dass es Schnee von gestern ist, das realisieren immer mehr Menschen. Dass es sich um eine Ablenkung von den eigentlichen Themen handelt, allen voran der ungehemmten Umverteilung von unten nach oben.) So wie Ali, der in den Knast musste, weil er nicht nach Vietnam wollte (O-Ton Ali: „Die Vietnamesen haben mir nichts getan, also warum sollte ich ihnen was tun?“), was sozusagen seine Haltung war, und danach ein großartiges Comeback hatte. Mir geht es genauso wie Ali. So wie die Vietnamesen Ali nichts getan hatten, so haben mir die Viren nichts getan. Also warum sollte ich gegen sie in den Krieg ziehen? Vielleicht müssen alle, die wie Ali und ich denken, bald wieder in den Knast. Das ist durchaus möglich. Aber „Hey!“, was soll’s, wenn’s danach ein tolles Comeback gibt?!
Ich bereite mich schon mal darauf vor, indem ich nach meinem Leibgericht, also Paprika, Schafkäse und Eier, immer noch Joghurt und einen Apfel esse. Der Bulgare ist für seinen Joghurt bekannt. Er hat sogar sein eigenes Joghurt Bakterium. Zu einem Virus hat’s bei ihm nicht gereicht. Das Bakterium heißt „Bacillus Bulgaricus“, und der Joghurt heißt hier „Kisselo Mljako“, also „Saure Milch“. Die sozialistische Zeit in Bulgarien ist bis heute bekannt als „Vremeto na Kisselo Mljako i Gasirana Voda“, also „Die Zeit von Saurer Milch und mit Gas versetztem Wasser“, womit Soda bzw. Selters gemeint ist. Im Prinzip so wie im Bulgaren-Knast, wo ich vor vielen Jahren schon mal „hospitieren“ durfte. Dort gibt es eine Tasse Joghurt, eine Scheibe Weißbrot, eine Tomate und einen Apfel am Tag, wogegen nichts einzuwenden ist, wenn da nicht das „Gasirana Voda“, also Soda bzw. Selters, wäre. Nichts gegen „Gasirana Voda“, aber im Winter würde ich mir lieber einen Tee wünschen, am besten einen Kräuter-Tee. Bulgarien ist voll von Kräutern. Es gibt hier so viele Kräuter wie es Freaks gibt. Für jeden Freak praktisch ein Kraut. Also warum dann im Bulgaren-Knast „Gasirana Voda“ und keinen Kräuter-Tee? Ich trinke jedenfalls nach meinem Leibgericht, den Paprika mit Schafkäse und Eiern, dem Joghurt und dem Apfel immer einen Kräuter-Tee. Das beruhigt ungemein. Und wenn sie mir irgendwann Soda bzw. Selters anbieten sollten, werde ich auf meinen „Bilkow Tshai“, also Kräuter-Tee, bestehen. Ich denke, das kann ich machen. Auch wenn die Bulgaren keinen eigenen Virus haben, so sind sie doch keine Unmenschen.
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Die Qual der Wahl: Mehl, “Hundefutter” oder Grüne Bohnen

Geschenk der EU: Grüne Bohnen

Der Bulgare kann jetzt nicht nur zwischen Mehl und “Hundefutter”, sondern zwischen Mehl, “Hundefutter” und Grüne Bohnen wählen. Wobei man ein Geschenk auch ablehnen kann. Denn die Konserven, mit denen man den Bulgaren zur Wahl locken will, sind offiziell ein Geschenk der Europäischen Union. In Bulgarien wird in zwei Wochen wieder gewählt, das dritte Mal in diesem Jahr. Diesmal ist es eine Doppelwahl. Sowohl der Präsident, als auch das Parlament sollen neu gewählt werden. Bei der letzten Wahl in Bulgarien im Juli betrug die Wahlbeteiligung 42.2 %. In der Region Kardschali im Süden Landes sogar nur 28,54 %. Was waren das für Zeiten, wo 99,9 % gewählt haben! Das war natürlich auch nicht schön. Aber deutlich weniger als die Hälfte!? Ist die Wahl dann überhaupt gültig? Eine interessante Frage, oder? Ich werde wahrscheinlich auch hier in Bulgarien nicht wählen, genauso wenig wie ich neulich in Berlin gewählt habe. Auch nicht für Grüne Bohnen, Mehl oder “Hundefutter”.

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Mehl und „Hundefutter“ aus der EU

„Hundefutter“ und Mehl

Gestern ist Mehl und „Hundefutter“ aus der Europäischen Union bei uns im Dorf, also bei meinem Bürgermeister und mir als einzige Bewohner, angekommen. Das kennt man nur von Kriegsgebieten, dass dort Lebensmittel hingeschickt werden. Ein solches Kriegsgebiet ist Bulgarien nicht, auch wenn das kleine Land am Rand der EU das am schnellste schrumpfende Land ist, was seine Bevölkerung angeht, und das weltweit, allerdings ohne dass ein Krieg erklärt worden wäre oder gar stattgefunden hätte. Also warum dann dieses Mehl, fragt sich mein Bürgermeister, der es (und auch das „Hundefutter“) erstmal eingeladen hat, und auch ich stelle mir diese Frage. Und was schickt uns die EU als nächstes? Vielleicht Zelte? Ich habe es meinem Bürgermeister so erklärt, dass offensichtlich in Brüssel noch nicht angekommen ist, dass es kaum noch Bulgaren in Bulgarien gibt, weil sich die allermeisten Bulgaren bereits vor Jahren in den Westen evakuiert haben. Das Mehl und auch das „Hundefutter“, das uns die EU in die Schluchten des Balkans geschickt hat, lagern wir, also mein Bürgermeister und ich, jetzt erstmal ein. Bestimmt taucht noch einer auf, der es nötiger hat als wir. Oftmals sind das sogar Reiche, die an Armen noch zum Dieb werden. Das sagt die Erfahrung. So eine Art Uber, allerdings nicht für Taxen, sondern für Mehl und „Hundefutter“. Oder vielleicht ist heute Mehl und „Hundefutter“ das, was neulich noch Masken waren – einfach eine Gelddruckmaschine, ist ja (noch) genug da, also Geld. Möglicherweise gibt es in der EU schon eine solche Mehl-Mafia, die bereits gut an dem Mehl verdient hat. Wer weiß? Was ich weiß, ist, dass wir es hier nicht brauchen, dass wir auch gut ohne milde Gaben, auch als Almosen bekannt, der Europäischen Union auskommen.   –   Um genau zu sein, sogar besser.
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„Ein Männlein steht im Walde“

„Ein Männlein steht im Walde“, wer kennt ihn nicht, diesen Liedanfang? Wahrscheinlich niemand! Bestimmt ist das Lied schon gegendert. Immerhin handelt es sich bei dem Männlein um eine Sie – die Hagebutte. Mir ist das egal. Ich habe sie trotzdem gepflückt. Obwohl ich jetzt, wo ich darüber schreibe, realisiere, warum das Pflücken nicht so ganz ohne war. Denn die Hagebutte hat Dornen wie eine Rose – auch eine Sie. Außerdem muss man jede Hagebutte einzeln abpflücken, genauer abreißen, was die Sache sehr aufwendig macht. Aber damit ist es nicht getan. Danach, nach dem abreißen, beginnt erst die eigentliche Arbeit: Waschen und Putzen. Dann erst geht’s ans Einkochen oder auch Einmachen. Aber, und jetzt kommt das große ABER: die Hagebutte hat harte Kerne, die beim Einkochen nicht weich werden, wie bei anderen Früchten, sondern immer härter, so dass man sie auf keinen Fall mitessen kann. Man muss die Kerne und am besten auch die harte Haut der Hagebutte irgendwie loswerden. Mir hat dabei ein Sieb geholfen. Das darf nicht zu fein aber auch nicht zu grob, dass die Kerne durchpassen. Eine Heidenarbeit. Vier Stunden habe ich für vier kleine Gläser Hagebuttenmarmelade gebraucht. Und warum das alles? Um meine Abwehr zu stärken! Eine starke Abwehr ist wichtig in diesen Tagen und wird wahrscheinlich noch wichtiger werden demnächst. Wir wissen nicht was kommt. Die Hagebutte enthält auf jeden Fall viel Vitamin C, was der Abwehr hilft. Angeblich enthält die Hagebutte auch viel Pektin, was hilft, dass beim Einkochen daraus Marmelade wird. Dieses Pektin muss meinen Hagebutten gefehlt haben, weswegen die Marmelade flüssig geblieben ist, und ich heute nochmal ran muss. Die verschlossen Gläser, ohne Etiketten übrigens, öffnen, alles zusammengießen und noch einmal aufkochen, mit Pektin diesmal. Eine Heidenarbeit, diese Hagebutten. Erst nicht ganz ungefährlich wegen den Dornen, dann sehr zeitaufwendig und am Ende fehlt wieder etwas. Frauen halt.

 

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Dimitroffden

Mein Holz – gestapelt und nummeriert

Gestern läuteten plötzlich die Glocken, als ich gerade Downtown im Dorf war. Normalerweise läuten die Glocken der kleinen Dorfkirche nur, wenn jemand gestorben ist. Gestern läuteten sie, weil gestern Dimitroffden war. Der Namenstag von Dimitroff ist deswegen wichtig, weil mit ihm auch der Winter eingeläutet wird. Und es war gut, dass mich die Glocken unserer kleinen Dorfkirche daran erinnert haben. Ich musste nämlich noch mein Holz stapeln, das ich bereits vor einiger Zeit gesägt hatte. Gestapelt habe ich es nun gestern Nachmittag. Ich habe das Holz aber nicht einfach nur gestapelt, sondern, wie es sich für einen richtigen Deutschen gehört, darüber hinaus auch nummeriert. Warum ich mein Holz nummeriert habe, kann ich gar nicht genau sagen. Ich glaube, es hängt mit dem Einwecken zusammen. Schaut man im Internet wegen Einwecken nach, dann erfährt man, dass für den Deutschen die Etiketten das wichtigste beim Einwecken ist. Ohne Etiketten kein Einwecken! Das ganze nur beim Deutschen wie gesagt. Schaut man auf anderen Seiten in anderen Sprachen nach, spielen die Etiketten eine untergeordnete Rolle. Der Bulgare kennt keine Etiketten beim Einwecken. Kein Glas, das mir je in Bulgarien geschenkt wurde, hatte ein Etikett. Niemals! Ich selbst wecke auch ohne Etiketten ein. Aber offensichtlich hab ich das Etikettieren in den Genen. So erkläre ich mir zumindest, dass ich nun mein Holz nummeriert habe. Ob ich es der Reihe nach verheizen werde, ist eher unwahrscheinlich. Vermutlich habe ich unbewusst Angst, jemand würde mir mein Holz klauen. Dass jemand Kohlen geklaut hat, das hat es wirklich gegeben, aber nicht in Bulgarien sondern in Deutschland. Das ist jetzt einige Zeit her. Man nannte diesen Bösewicht damals den „Kohlenklau“. Einen „Holzklau“ gibt es bis heute selbst in Bulgarien nicht.
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„Wollt ihr noch mal ‚ABSTÄNDE EINHALTEN!’?“

Der bulgarische Dudelsack (Gaida)
Mein brüllendes Begleitinstrument

Die Zeit ist nah, da werden wir darüber lachen, dass sich erwachsene Menschen von scheinbar erwachsenen Menschen mit „ABSTÄNDE EINHALTEN!“ anbrüllen lassen mussten. Die ersten lachen jetzt schon, und ich bin gerade dabei ein Lied darüber zu schreiben. Inspiriert dazu hat mich, ich gebe es offen zu, Mike Lehmann. Mike Lehmann hatte in den Neunzigern einen großen Erfolg mit seinem Song „Wollt ihr noch mal Begrüßungsgeld?“. Beim Begrüßungsgeld musste sich niemand anbrüllen lassen. Sein Begrüßungsgeld hat man sich einfach so abholen können. Begrüßungsgeld waren damals 100 Mark, also 50 Euro. Heute wären 100 Mark genau 100 Lewa. Bulgarien hat seine Währung vor vielen Jahren fix 1:1 an die Deutsche Mark gekoppelt. Doch zurück zum „ABSTÄNDE EINHALTEN!“ Gerade übe ich vor dem Spiegel das Schreien. Anfangs fiel mir das nicht leicht, aber jetzt schreie ich gerne: „ABSTÄNDE EINHALTEN!“ Da ich alleine bin, kann ich niemanden anschreien. Und als wenn das nicht schlimm genug wäre, kann ich auch niemanden zur Verantwortung ziehen, beispielsweise verhaften, oder zumindest irgendeine Versammlung auflösen. In Bulgarien habe ich nie jemanden „ABSTÄNDE EINHALTEN!“ schreien hören. Was mir hilft, ist, dass in Bulgarien permanent geschrien wird. Selbst in der Umgangssprache ist das Wort SAGEN unbekannt. Es werden ausschließlich die Wörter SCHREIEN, BRÜLLEN und RUFEN verwendet. Aber wie gesagt, „ABSTÄNDE EINHALTEN!“ hat hier noch niemand geschrien, gebrüllt oder auch nur gerufen. Und das macht es so schwierig für mich, den Song „Wollt ihr noch mal ‚ABSTÄNDE EINHALTEN!’?“ zu schreiben. Hinzu kommt, dass ich wie gesagt alleine hier in den Schluchten des Balkans bin. Obwohl, ganz alleine bin ich gar nicht. Es gibt da noch meinen Bürgermeister. Ich könnte meinen Bürgermeister mit „ABSTÄNDE EINHALTEN!“ anschreien. Mal sehen, wie er reagiert, was er sagt. Deutsche kann er zwar nicht leiden, aber Deutschland an sich schon. Das Lied „Wollt ihr noch mal ‚ABSTÄNDE EINHALTEN!’?“ ist auf jeden Fall wichtig. Denn da wo gesungen wird, da lass dich nieder! Böse Menschen haben keine Lieder, weswegen sie wohl brüllen müssen. So sagt man doch, oder? Oder gilt das heute etwa auch nicht mehr?
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