Warten als Wissenschaft
Die gestern erwähnten Anrufer, die mich wissen lassen, dass Zwei und Zwei auch weiterhin Vier ist, wollen immer auch wissen, was ich so treibe in den Schluchten des Balkans. Die meiste Zeit sitze ich ohne rechte Haltung, also wie ein Schluck Wasser, auf einem Stuhl und mache nichts. Nichts ist dabei reichlich untertrieben, denn ich warte. Es ist nicht auszuschließen, dass ich auf etwas warte, was nicht kommt. Und wenn schon, es wäre nicht das erste Mal, dass jemand auf etwas wartet, was nicht kommt. Wenn ich es richtig verstanden habe, wurden schon ganze Theaterstücke darüber geschrieben. Eins davon ist sogar richtig bekannt geworden. Das weiß ich, weil ich manchmal auch arbeite. Dann sitze ich aber nicht ohne rechte Haltung auf meinem Stuhl, sondern liege wie ein Schluck Wasser im Bett und lese. Manchmal arbeite ich auch wissenschaftlich. Wenn ich wissenschaftlich arbeite, liege ich nicht im Bett, sondern sitze so wie jetzt am Schreibtisch und schreibe darüber, was ich zuvor im Bett gelesen habe. Beispielsweise über Theaterstücke, in denen jemand auf etwas wartet, was nicht kommt. Ich sitze dann ebenfalls ohne rechte Haltung, also wie ein Schluck Wasser, auf einem Stuhl. Aber nicht so, wie am Anfang beschrieben nichts tuend, sondern wie gesagt schreibend. Das Schreiben macht das wissenschaftliche aus, aber nicht nur, denn ohne sitzend nichts tun und liegend im Bett lesen kein wissenschaftliches Arbeiten. Letztendlich versuche ich aber auch mit dem wissenschaftlichen Arbeiten nur die Zeit totzuschlagen. Nichts tuend, liegend lesen und sitzend schreiben sind nur verschiedene Möglichkeiten auf etwas zu warten, was wahrscheinlich nicht kommt. Das ist die Wahrheit. Vielleicht kommt es aber auch, worauf ich warte. Das ist nicht auszuschließen. Das weiß man erst zum Schluss. Das ist wie mit dem Lachen, wo der am besten lacht, der am Ende lacht. Wann das Ende ist, das weiß ich auch nicht. Genauso wenig, wie ich weiß, ob das, worauf ich warte, kommt oder nicht. Spontan würde ich sagen, Ende des Jahres ist das Ende. Vielleicht ist auch schon Weihnachten das Ende. Weihnachten kommt mir gerade wahrscheinlicher vor, weil es bis Weihnachten jetzt auf den Tag genau noch zwei Monate hin ist. Wenn das Ende bis Weihnachten nicht gekommen ist, bleibt fürs Warten noch Zeit bis Silvester. Das ist sozusagen die letzte Chance für das Ende, zumindest für dieses Jahr. Wenn es dahin nicht gekommen ist, geht das Warten auf das, was vielleicht nicht kommt, im neuen Jahr einfach weiter.
Foto&Text TaxiBerlin