Weder krank noch böse
Man kann in Bulgarien nicht nur viel über Bulgarien lernen, sondern auch über Deutschland. Beispielsweise, dass es einen Ort Namens Urexweiler gibt, und dass dieser einen Schützenverein hat, der “Tell” heißt. Mit Schützenvereinen hatte ich bisher nichts am Hut, und das soll bitte sehr auch so bleiben. Andererseits soll man niemals nie sagen. Vielleicht ziehe auch ich noch in den Krieg. Im Kampf bin ich schon, allerdings mit mir selbst. Mein täglicher Kampf besteht darin, nach Möglichkeit weder krank noch böse zu werden. Es betrifft, denke ich, nicht nur mich. Es ist so eine Zeit, wo Menschen krank oder böse werden. Die Gefahr, böse zu werden, ist größer, wenn man eine Waffe zuhause hat oder gerade ein Krieg stattfindet, in den man ziehen kann. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Wir hatten das vor Jahren mal im Kollegenkreis diskutiert. Es gab damals eine Serie von Überfällen auf Taxifahrern in Berlin, und die Kollegen fragten sich, ob es sinnvoll wäre, eine Waffe im Taxi mitzuführen. Am Ende hat sich die Mehrheit dagegen entschieden, und zwar aus dem einfachen Grund: Hat man eine Waffe, will man sie auch einsetzen. Ob angesichts zunehmender Messerattacken die Frage aktuell neu diskutiert wird unter den Kollegen, entzieht sich meiner Kenntnis. Meine Empfehlung aus der Ferne: Lass das mit den Waffen. Selbstverteidigung ist OK, wobei die Frage erlaubt sein darf, inwieweit Selbstverteidigung bei einem Messerangriff überhaupt Sinn macht. Was ich empfehlen kann, ist Verbandszeug. Dazu fällt mir mein englischer Freund Jerry ein, der viele Jahre in der britischen Armee gedient hat. Als Musiker hat er mit seiner Band zu Friedenszeiten auf Schützenfesten in Deutschland aufgespielt, wo er stationiert war, und zu Kriegszeiten war er Sanitäter. Also solcher hat er es immerhin in den Zweiten Golfkrieg geschafft, auch bekannt als “Desert Storm”. Damals, also Anfang der Neunziger, gingen die Menschen übrigens noch ganz normal unter der Losung “Kein Blut für Öl” gegen den Krieg der Amerikaner auf die Straße. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, verurteilten sie die amerikanische Intervention als neokolonialistischen Akt. Doch zurück zu meinem Freund Jerry, der wohlbehalten aus der arabischen Wüste zurückkehrte, wo er wie gesagt Sanitäter war. Bei mir hat es nicht mal bis ins Saarland gereicht, geschweige denn bis in irgendeine Wüste. Für mich gab es immer nur Berlin und Bulgarien. In letzterem verbringe ich – sozusagen “fern der Heimat” – immer mehr Zeit. Damit ich die Heimat nicht ganz vergesse, gibt es hier den Flohmarkt in Montana. Der erinnerte mich letzten Montag daran, dass es nicht nur das Saarland gibt, sondern dort auch ein Deutsches Rotes Kreuz, das Verdienstkreuze verteilt. Bleibt die Frage: Wofür? Etwa für einen Einsatz im Krieg?