Wählen ist wie einkaufen

Meine Wahlquittung

Schon Wochen vor den Neuwahlen am 11. Juli wurde im Bulgarischen Nationalen Radio darüber berichtet, dass diesmal erstmals Wahlautomaten zum Einsatz kommen würden. Ich konnte mir das nicht vorstellen, und schon gar nicht in meinem Dorf in der ärmsten Region des Landes. Auch wenn ich sonst was Wahlen angeht der Meinung bin, dass wenn wählen gehen was ändern würden, Wahlen verboten wären, wollte ich an dieser Wahl unbedingt teilnehmen. Zum einen, weil mich die Sache mit dem Wahlautomaten interessierte, und zum anderen, weil ich bei uns im Dorf nicht als Freidenker gelten will. So bin ich also am 11. Juli ins Bürgermeisteramt, wo sich das Wahllokal befand. Dort stand in einer Ecke noch die improvisierte Wahlkabine von der letzten Wahl, die aber bei dieser Wahl nicht gebraucht wurde, weil es den seit Wochen im Radio erwähnten Wahlautomaten wirklich gibt. Das muss man sich mal vorstellen: In ein Dorf irgendwo in den Schluchten des Balkans mit nur wenigen Wählern wird ein Wahlautomat samt Wahlleiter und drei Assistenten rangekarrt! Unglaublich, Dank EU-Gelder aber möglich.
Damit ich mich nicht verwähle, betrete ich das Wahllokal ohne Maske, denn ich bekomme unter ihr zu wenig Luft. Daraufhin werde ich von der Wahlleiterin höflich aufgefordert, eine aufzusetzen. Da ich keine Maske dabei habe, erhalte ich eine Maske gratis – ist schließlich Wahltag. Nachdem ich mich bei den Assistenten ausgewiesen habe, bekomme ich von der Wahlleiterin eine Chipkarte ausgehändigt. Die Chipkarte sieht aus wie eine Geldkarte oder eine Versichertenkarte der Krankenkasse bzw. wie früher Telefonkarten aussahen. Diese Chipkarte stecke ich in den Wahlautomat, der auf dem Tisch direkt neben der Wahlleiterin auf einem kleinen Podest, das eigentlich ein Rednerpult ist, steht. Der Wahlautomat gleicht einem Geldautomaten, er verfügt über Ziffern, die seitlich einen kleinen Sichtschutz haben. Der Monitor ist etwas kleiner als bei einem Geldautomaten. Nachdem ich meine Chipkarte eingeführt habe, werden mir auf dem kleineren Monitor alle Parteien, die zur Wahl stehen und ihre Nummern angezeigt, was ich bestätigen muss. Als nächstes soll ich die Nummer eingeben, die für die Partei steht, die ich wählen will. Als dieses vollbracht und bestätigt ist, spuckt der Wahlautomat zwar kein Geld, aber immerhin eine Quittung (Foto) für mich aus. Auf der steht oben „Wahlquittung“, (m)eine Nummer (121200009), darunter das Wort „Volksvertreter“ und die von mir gewählte Partei (geschwärzt), ein QR-Code (ebenfalls geschwärzt) und am Schluss „Ende des Dokuments“. Das war’s!
Nach der Wahl gehe ich runter in die Kneipe von meinem Bürgermeister, wo es Bier gibt, was wegen der Wahl eigentlich verboten ist. Da mein Bürgermeister aber heute Geburtstag hat, lässt man Fünfe gerade sein. Ich nehme eine eisgekühlte Coca Cola in der 250 ml Glasflasche für einen ganzen Lewa, was 50 Cent sind. Mein Bürgermeister, der wie gesagt heute Geburtstag hat, lädt mich ein. Zur gratis Cola gibt es noch kostenloses Geburtstagskonfekt.
Ich frage mich, was ich mit der Wahlquittung anstellen soll und ob meine Wahl anhand der Nummer auf der Wahlquittung eventuell nachverfolgbar ist. Vor allem frage mich, wie die Leute, die ihre Stimme haben kaufen lassen, bisher beweisen konnten, dass sie auch „Das Richtige“ gewählt haben. Heute ist das Stimmenkaufen Dank der Wahlquittung leichter geworden. Früher musste in der Wahlkabine mit dem Smartphone ein Foto vom angekreuzten Stimmzettel gemacht werden, klärt mich mein Bürgermeister auf. Ich weiß das nicht, weil ich kein Smartphone habe. Jetzt gibt es zum Glück für Menschen wie mich eine Wahlquittung, auch damit man seine Wahl nicht vergisst. Ich stecke meine Wahlquittung in meine ansonsten leere Geldbörse.
Bald nun sind Wahlen in Deutschland, und irgendwie hatte ich die Vorstellung nach Sofia zu fahren, um in unserer Botschaft meine Stimme abzugeben. In Berlin lebende Bulgaren können in ihrer Botschaft wählen gehen, genauso der Rumäne in seiner, und für den Türken wird sogar das Olympiastadion aufgemacht. Auf der Internetseite der deutschen Botschaft in Sofia erfahre ich, dass das umgedreht nicht geht. Um den Text zu verstehen, muss man mindestens ein Grundstudium oder heute gar einen Masterstudiengang abgeschlossen haben. Beim Deutschen muss immer alles wahnsinnig kompliziert sein und am Ende klappt es dann doch nicht oder erst Jahre später (Stichwort: neuer Flughafen). – Wie es aussieht, werde ich an der Wahl am 27. September nicht teilnehmen können, was insofern Schade ist, weil 27 meine Zahl ist.
Was mich trotzdem interessieren würde, ist die Frage, ob auch bei uns diese Wahlautomaten zum Einsatz kommen, die hier wie gesagt Dank der EU bis ins letzte Dorf gekarrt wurden. Es ist durchaus möglich, dass Bulgarien da eine Vorreiterrolle gespielt hat. Die Balkanisierung, die seit Jahren in vollem Gange ist, mal anders. Falls das so ist, also falls es auch in Deutschland Wahlautomaten bei der Wahl in vier Wochen gibt, würde ich noch wissen wollen, was der Deutsche mit der Wahlquittung macht. Hebt er sie auf? Gilt sie auch als Garantiebeleg? Kann er später die gewählte Ware eventuell umtauschen? Oder kann er, wenn die Politik nicht liefert, dies vielleicht sogar bei Gericht einklagen?
Was die Garantie angeht, so gilt in Bulgarien auch bei Wahlen: „Garanzija? – Franzija!“ :– Wer Garantie will, muss nach Frankreich gehen.
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Die Große Freiheit

Zugegeben, es hat etwas gedauert, wie in Bulgarien alles immer etwas dauert, aber neulich ist es dann doch fertig geworden, mein eigenes Mineralbad in den Schluchten des Balkans. Nicht nur in ihm sitze ich nun täglich ohne Maske, sondern auch sonst setze ich sie nicht auf. Gut, auch in Bulgarien gibt es Menschen, die Maske tragen – so ist es nicht. Es gibt auch Menschen, die sich impfen lassen. In unserem Dorf sind es bisher ungefähr 20 Prozent der Einwohner. Am Ende werde es vielleicht die Hälfte sein – mehr auf keinen Fall. Da ist sich mein Bürgermeister sicher, der sich auch nicht impfen lassen will. Das schönste ist hier aber, dass man den anderen so sein lässt, wie er ist, samt seiner Meinung. Menschen mit Maske und ihre Angst werden ernst genommen, selbst wenn sie wie bei uns im Dorf die Minderheit sind. Sie nehmen wiederum die ernst, die keine Maske tragen und sich nicht impfen lassen wollen. Niemand behauptet, die richtige Meinung oder gar Haltung zu haben. Das Wort Haltung gibt es so in dieser Bedeutung gar nicht in der bulgarischen Sprache, zumindest nicht im aktiven Sprachgebrauch. Die Menschen reden miteinander, hören einander zu und respektieren einander. Ich weiß, alles Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, die ich aber in letzter Zeit in Berlin immer mehr vermisst habe. Mein vordergründiges Gefühl in Deutschland bis zu meiner Anreise Ende Mai war Angst, die ich hier in Bulgarien nicht verspüre. Ganz im Gegenteil: Bulgarien ist für mich die Große Freiheit. Hier habe ich keine Angst, weder vor Menschen noch vor einem Krankheitserreger, auch weil ich mich täglich mittels Mineralwasser abhärte. Angst habe ich um meine Landsleute in Deutschland, die mir selbst aus knapp 2.000 Kilometer Entfernung mit jedem Tag verrückter vorkommen.

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Ängstlich, gestresst und künstlich

Berlin ohne Ring

Ängstlich, gestresst und künstlich – so beschreiben viele Menschen in Bulgarien die Deutschen, die sie ansonsten gut leiden können, vor allem ihrer starken Wirtschaft wegen. Gegen Angela Merkel hat hier auch niemand etwas, nur in Sachen Flüchtlinge, was sie da macht, das finden viele nicht gut. Nicht wenige Bulgaren fahren regelmäßig nach Deutschland, zum Beispiel Nikolai, ein vierschrötiger Mann und TIR-Fahrer mit großem runden Bauch und viel Humor mit seinem LKW aus meinem Dorf, in dem sonst nur noch mein Bürgermeister und ich leben. LKW-Fahrer brauchten bisher keinen Test und auch keine Impfung, und Nikolai will sich auch in Zukunft nicht impfen lassen. Er glaubt nicht an die Impfung, hält sie für nicht ausgereift. Neulich ist Nikolai mit seinem LKW bis nach Berlin gefahren, um gekühlte Schweinehälften “Made in Germany” zu holen. In Bulgarien herrscht gerade Mangel an Schweinefleisch mit Qualität. Nikolai selbst jagt sich sein Schweinefleisch – Wildscheinfleisch. Auf dem Berliner Ring gab es einen Riesenstau, wo er viel Zeit verloren hat, weswegen er verspätet am Kühlhaus ankam, wo ihm der Deutsche sogleich Probleme machte. Da erzählte Nikolai, wie man das in Bulgarien macht, um eine verfahrene Situation aufzulockern, einen Witz, in dem Hitler und Autobahn vorkam. Daraufhin wollten die Deutschen die Polizei holen, was Nikolai aber abbiegen konnte, indem er einfach angefangen hat zu lachen und gar nicht mehr aufhören wollte. Er hat Hitler, die Autobahn samt Stau und die nach Polizei rufenden Deutschen einfach weggelacht. In Amerika nennt man diese Strategie, die Nikolai – typisch bulgarisch – ins Extrem gesteigert hat: “Kill Them With Kindnes”. Ich überlege kurz, Nikolai das Ding mit Hitler und den Deutschen zu erklären, aber er winkt nur ab und lacht dabei schon wieder. Das ist nicht nötig, er weiß schon, sagt er: Die Deutschen sind nicht nur ängstlich, gestresst und künstlich, sondern auch total steif und völlig humorlos. Aber ansonsten sind sie ganz OK, das meint auch Nikolai, vor allem der gekühlten Schweinehälften wegen, auch wenn er selbst sich sein Schweinefleisch jagt, weswegen er in nächster Zeit nicht mehr so häufig nach Deutschland fahren kann. Nicht etwa, weil er sich nicht impfen lassen will, das nicht, sondern weil in Bulgarien gerade die Jagdsaison begonnen hat.
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„Geschlossen, geöffnet, geschlossen, geöffnet, geschlossen, geschlossen …“

Geschlossen

„Geschlossen, geöffnet, geschlossen, geöffnet, geschlossen, geschlossen …“ – So beginnt ein aktueller und regelmäßig gesendeter Beitrag im Nationalen Radio Bulgaristans. Die männliche Stimme ist zunehmend genervt über das ständige rein und wieder raus aus dem Lockdown. Danach folgt eine weibliche Stimme unterlegt von entspannender Musik, die dazu auffordert, sich über die Impfung zu informieren und sich nach Möglichkeit impfen zu lassen. Denn, und jetzt folgt meiner Meinung nach das wichtigste, wenn 70 % der Bevölkerung geimpft sind, hat das mit dem ständigen „geschlossen, geöffnet, geschlossen, geöffnet, geschlossen, geschlossen …“ ein Ende. Zum Schluss noch der Hinweis darauf, dass der Beitrag im Auftrag der EU gesendet wird, er also von der EU bezahlt wird, vielleicht das wichtigste für das Nationale Radio Bulgaristans.

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No More Inzidenz

 

Bulgarische Variante

Im Nationalen Radio Bulgaristans ist gerade eine Stimme zu hören, die Deutsch spricht. Ich kenne die Stimme, es ist die von Jens Spahn, der erklärt, was so genannte Verschwörungstheoretiker und Querdenker schon lange sagen, und zwar dass die Inzidenz eine völlig verkehrte Größe ist, um auf ihrer Basis Politik zu machen, wie das seit über einem Jahr der Fall ist. Es stimmt also wirklich: Wir brauchen neue Verschwörungstheorien, denn die alten haben sich alle bewahrheitet. Die Neue Basis, nicht verwechseln mit der gleichnamigen Partei „Die Basis“, soll ab sofort die „Hospitalisierung“ sein, so Jens Spahn im Nationalen Radio Bulgaristans. Ich bin mir nicht sicher, was Jens Spahn nun unter „Hospitalisierung“ versteht. Es ist nicht auszuschließen, dass es nicht das gleiche und schon gar nicht das selbe ist, was man bisher darunter verstanden hat. Ich halte es sogar für durchaus wahrscheinlich, auch weil so vieles neu ist in letzter Zeit, allen voran der Impfstoff. Unter Hospitalisierung verstand man früher, so weit ich mich erinnere, wie viele Menschen erkrankt sind und behandelt werden müssen, oder mit anderen Worten: Positiv getestet ist nicht automatisch auch krank, was aber schon wieder eine andere Verschwörungstheorie ist.

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Der Stardenker

Lese gerade im Internet einen Beitrag über einen Essay eines Schriftstellers. Dieser hat sich wieder einmal zu Wort gemeldet, obwohl er versprochen hatte zu schweigen, was ein ziemlicher Skandal ist. Ich erfahre weiterhin, dass der Schriftsteller in seinem aktuellen Essay zwei Zitate verwendet, ohne anzugeben, von wem sie sind. Wörtlich soll er geschrieben haben, dass er „too lazy“ also „zu faul“ sei, es nachzuschlagen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, wird der Schriftsteller in dem Beitrag als „Stardenker“ bezeichnet, was mich irritiert, weil ich weiß, dass der Schriftsteller sich selbst nie als solchen bezeichnet hat. Im Gegenteil, er lehnt es sogar ab als Intellektueller zu gelten. Der Schriftsteller heißt Michel Houellebecq. Wer den Beitrag verfasst hat? War es der Bayrische oder der Hessische Rundfunk? Ich bin gerade zu faul es nachzuschlagen.
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Der ehrliche Makler von Bulgaristan (0007)

Die heutige Immobilie gehört zu meinen persönlichen Favoriten, weil sie mich sogleich an den Klassiker „Walden“ von Henry David Thoreau erinnert hat. Von 1845 bis 1847 hat sich Thoreau zwei Jahre lang an den Waldensee in der Nähe seiner Geburtsstadt Concord in Amerika, dem „Land Of The Free“ und „Home Of The Brave“, zurückgezogen, um dort in einer selbstgebauten Hütte naturnah und ohne gesellschaftliche Zwänge zu leben. Einen See gibt es beim Objekt 0007 nicht, oder vielleicht sollte ich besser sagen noch nicht, denn es gibt einen Fluss, und wenn man den staut, was in „The Land Of The Freaks“, wie Bulgarien auch genannt wird, kein Problem ist, hat man irgendwann seinen See. Man braucht dazu nur Zeit, und die gibt es hier genug. Mit etwas Glück schreibt man in der Zeit auch sein Buch, so wie Henry David Thoreau in seiner selbstgebauten Hütte, der neben „Walden“ auch noch „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“ geschrieben hat. Meine beiden Lieblingszitate aus letzterem sind: „Die einzige Verpflichtung, die zu befolgen ich auch ein Recht habe, ist jederzeit das zu tun, was ich für richtig halte.“ Und: „Ich bin nicht geboren, um mich zwingen zu lassen. Ich will nach meiner eigenen Art atmen.“ Aber auch in „Walden“ stehen kluge Dinge wie dies: „Ich wurde niemals von irgend jemand belästigt, ausgenommen von Personen, die den Staat repräsentieren.“ Und dies: „Die Menschen schränken mich ein. Die Natur aber ist Freiheit.“ – Also zurück zum Objekt 0007. Die Hütte, die man nicht erst selbst bauen muss wie Thoreau seine, denn es gibt sie schon, hat eine Grundfläche von 3×4 m, besteht aus Holz und Backsteinen. Am Dach müsste mal was gemacht werden, Strom dürfte kein Problem sein und Wasser noch weniger, denn es fließt wie gesagt direkt ein kleiner Fluss vorbei. Zur Immobilie gehört ein Grundstück von knapp 1.000 qm. Dieses ist nicht, wie die Bilder vermuten lassen, irgendwo in den Schluchten des Balkans, sondern inmitten einer kleinen Siedlung. Man ist also nicht ganz alleine, auch wenn viele von den umliegenden Häusern leer stehen. Ich werde sie in meinen nächsten Beiträgen hier auf dieser Seite vorstellen.

Fotos&Text TaxiBerlin