Die Große Freiheit
Zugegeben, es hat etwas gedauert, wie in Bulgarien alles immer etwas dauert, aber neulich ist es dann doch fertig geworden, mein eigenes Mineralbad in den Schluchten des Balkans. Nicht nur in ihm sitze ich nun täglich ohne Maske, sondern auch sonst setze ich sie nicht auf. Gut, auch in Bulgarien gibt es Menschen, die Maske tragen – so ist es nicht. Es gibt auch Menschen, die sich impfen lassen. In unserem Dorf sind es bisher ungefähr 20 Prozent der Einwohner. Am Ende werde es vielleicht die Hälfte sein – mehr auf keinen Fall. Da ist sich mein Bürgermeister sicher, der sich auch nicht impfen lassen will. Das schönste ist hier aber, dass man den anderen so sein lässt, wie er ist, samt seiner Meinung. Menschen mit Maske und ihre Angst werden ernst genommen, selbst wenn sie wie bei uns im Dorf die Minderheit sind. Sie nehmen wiederum die ernst, die keine Maske tragen und sich nicht impfen lassen wollen. Niemand behauptet, die richtige Meinung oder gar Haltung zu haben. Das Wort Haltung gibt es so in dieser Bedeutung gar nicht in der bulgarischen Sprache, zumindest nicht im aktiven Sprachgebrauch. Die Menschen reden miteinander, hören einander zu und respektieren einander. Ich weiß, alles Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, die ich aber in letzter Zeit in Berlin immer mehr vermisst habe. Mein vordergründiges Gefühl in Deutschland bis zu meiner Anreise Ende Mai war Angst, die ich hier in Bulgarien nicht verspüre. Ganz im Gegenteil: Bulgarien ist für mich die Große Freiheit. Hier habe ich keine Angst, weder vor Menschen noch vor einem Krankheitserreger, auch weil ich mich täglich mittels Mineralwasser abhärte. Angst habe ich um meine Landsleute in Deutschland, die mir selbst aus knapp 2.000 Kilometer Entfernung mit jedem Tag verrückter vorkommen.
Foto&Text TaxiBerlin