Bericht aus Berlin (001) – “Von nun an geht’s bergab”

You Are Here* (im Treppenhaus des BER)

Vom Flugzeug waren es keine 100 Meter bis zum Flughafengebäude des wundersamen BER. Dort ging es sogleich in ein Treppenhaus. Ohne Sanitäre Einrichtungen – versteht sich! Oder kennt jemand Treppenhäuser mit Toiletten? Das gibt’s nicht mal in Bulgarien, obwohl es dort praktisch alles gibt. Auch und insbesondere das, was man sich nicht vorstellen kann. Dieser Wahnsinn ist nun auch in der Heimat angekommene. Möglicherweise ist Deutschland Vorreiter in Sachen Irrsinn. Balkanisierung greift auf jeden Fall zu kurz. Berlin kommt mir vor wie die Zentrale eines riesigen Irrenhauses. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals eine Stunde in einem Treppenhaus gewartet hätte. Nicht in der DDR. Auch nicht auf meine Liebste. Gestern war es nun so weit. Gut, es gibt schlimmeres als eine Stunde in einem Treppenhaus zu warten. Beispielsweise die Gleichgültigkeit der Mitreisenden, und da insbesondere der deutschen Landsleute. Immerhin ist es die Hauptstadt ihres Landes, die auf die Ankommenden vom Balkan, die man eine Stunde im Treppenhaus warten lässt, wie die eines Drittweltlandes wirken musste. Oder sind wir es gar schon? Man stelle sich ähnliches in Sofia vor – undenkbar!

* Von “You Are Here” im Treppenhaus bis zur “Weiterreise” verstrichen insgesamt mehr als zwei Stunden – so lange hat nicht mal der Flug Sofia-Berlin gedauert.

PS: Während wir die Stunde im BER-Treppenhaus warteten, als kapitalistisches Wartekollektiv sozusagen, kam ein Mitarbeiter des BER mit einer orangenen Weste vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Auf seiner Weste stand hinten “WeWatch” drauf, was mich sogleich an “Big Brother Is Watching You” denken ließ. Der BER-“WeWatch”-Mann hat sich aber nicht für uns interessiert. Er hat nur nachgeschaut, ob eine andere Tür, durch die die des Wartens überdrüssigen Menschen vom Balkan eventuell entweichen konnten, auch richtig verschlossen war. Wenn es um die Sicherheit geht, stehen Menschen den Kapitalisten oft im Weg, so wie wir im Treppenhaus. Das war bei den Kommunisten noch etwas anders. Dort hat man sich irgendwie für den Menschen interessiert, auch wenn man ihm schon damals misstraute, was sich in “Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser!” ausdrückte.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (560) – “Kulturschock”

Farewell “Happy” Bulgaria
(bei schönstem Himmel und dem Vitosha-Gebirge im Hintergrund)
Nach Berlin zurückzukehren, war gestern ein ziemlicher Schock für mich, und nicht nur des Wetters wegen. Früher, also in den Neunzigern, hatte ich einen Schock, wenn ich nach Bulgarien kam. So dachte ich zumindest. Heute sehe ich es anders. Denn war in Berlin damals nur das Lebensgefühl “Alles ist möglich”, so war es in Bulgarien bereits damals Realität. Heute ist es auch Realität, und zwar in Berlin. Man kann mit den Menschen wirklich alles machen, und sie lassen es sich gefallen. Solange sie ihr Smartphone und stabiles Internet haben, kannst man sie beispielsweise nach der Landung eine Stunde im Treppenhaus stehen lassen. Erst einmal ist es natürlich eine wunderbare architektonische Leistung, das Treppenhaus als Wartebereich und Stauraum ohne sanitäre Einrichtungen zu nutzen. Darauf muss man erstmal kommen. Hinzu kam nun, dass der Flieger nur aus Sofia kam, was nicht einmal Schengen und damit nicht Europa ist. Ergo: Das sind doch alles Kanacken und Zigeuner! – Soviel kann ich über meine Ankunft am größten DDR BER der Welt verraten: Am stillsten waren meine Landsleute ob ihrer schlechten Behandlung. Die Bulgaren haben wie gewohnt Witze über die dummen Deutschen gemacht. Deutsches Denken geht so: Wenn es Vater Staat so vorsieht, dann muss es wohl richtig sein. Und es funktioniert, es ist wirklich alles möglich. Mit humorlosen und duckmäuserischen Deutschen kann man echt alles machen.
Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (559) – “Wahltag”

Aufgepasst!
Nach dem gestrigen Nachdenktag ist heute Wahltag in Bulgarien. Werbung für politische Parteien ist heute verboten. Werbung für den ersten Rückzugsort für Schreibende, an dem es auch Esel gibt, das ganze in Bulgarien, nicht. Obige Aufnahme entstand nicht in Bulgarien, sondern in der Wüste von Arizona. Die Eselmutti und ihr Eseljunges wurden ausgewildert. Früher wurden sie unter Tage in den Minen genutzt. Irgendwann brauchte man dort keine Esel mehr, deswegen leben sie jetzt in der Wüste. Esel kommen ursprünglich aus der Wüste, weswegen beide auch ausgesprochen gesund aussahen. Um ehrlich zu sein, habe ich nie Esel gesehen, die gesünder aussahen. Auch nicht bei Guiseppe in Norditalien, der im Alter von 50 begann Esel zu halten. Zuvor hatte er einen ganz normalen Beruf. Jetzt hat er 800 Esel. Sogar dem Papst hat er schon Esel von sich zukommen lassen. In Italien ist die Therapie des Menschen mit Eseln sehr weit verbreitet. Auch beim Schreiben können Esel hilfreich sein. Davon bin ich fest überzeugt. Deswegen habe ich einen Rückzugsort für Schreibende mit Esel ins Leben gerufen. Das “Donkey Sanctuary & Writers Retreat” im nordwestlichen Balkangebirge in Bulgarien.
Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (558) – “Der Systemcrash”

Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. (Nietzsche)

Beim Kofferpacken erreicht mich die Nachricht, dass der Systemcrash beschlossene sei. Die bulgarischen Gewerkschaften erwarten den Bürgerzorn. Feministen in Deutschland fordern: “Kill All Men!” – Vorm Kofferpacken habe ich noch mein Holzdeck geölt. Der bevorstehende Systemcrash lässt mich kalt. Der letzte Systemcrash war auch eher harmlos. Die meisten Sorgen bereiten mir die Feministen und Feministinnen. Wird ihre Forderung, alle Männer zu töten, vielleicht von den Gewerkschaften mit Männerzorn beantwortet werden? Eine Erklärung für den Mordaufruf habe ich bei Nietzsche gefunden: Der Irrsinn ist bei Einzelnen etwas Seltenes, aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (557) – “Tage des Zorns”

Graffito in Sofia / Bulgarien

Die Gewerkschaften erwarten, dass die Bürger ihren Zorn in einem Strafvotum kundtun könnten, und zwar bei den morgigen Wahlen. Die Rede ist also nicht von Frankreich (wackeln Präsident Macron jetzt vielleicht beide Eier?), sondern von Bulgarien, wo morgen gewählt wird. Wichtigster Grund für diese Annahme der bulgarischen Gewerkschaften ist die Inflation, die bei über 28 Prozent liegt im Land. Darüber informiert das staatliche Nationalradio “Christo Botew”. Angesichts der Duldsamkeit der Bulgaren eine erstaunliche Meldung. Was die Gewerkschaften nicht sagen, ist, wie genau sich der Zorn der Bevölkerung kundtun könnte. Werden diesmal mehr als nur 40 Prozent zur Wahl gehen. (Die wahre Inflation dürfte übrigens eher der Wahlbeteiligung entsprechen.) Oder wird eine bestimmte Partei gewählt? Man erfährt es nicht. Die Regierung hat für alle Fälle vorgesorgt. Diesmal wird es nicht nur Wahlautomaten, sondern auch eine Videoüberwachung der Wahlen übers Internet geben. Befindet sich das Wahllokal in einer Schule, kann schon mal Polizei davor stehen. Es gab Bombendrohungen per e-mail gegen Bildungseinrichtungen. Angeblich hat man auch schon den Absender gefunden. Es war, man glaubt es kaum, nicht Putin, sondern ein Schüler, dem langweilig war.

PS: Aus dem gelangweilten Schüler ist jetzt doch – was für eine Überraschung – Putin geworden. Laut bulgarischem Innenminister handelt es sich um hybride Angriffe aus Russland, die aber keine echte Gefahr darstellen. Man werde Menschen nur im Falle einer echten Bedrohung anweisen, die Wahllokale zu verlassen, so der Minister weiter. Darüber hinaus werde sperriges Gepäck außerhalb der Gebäude einer Kontrolle unterzogen. Zum Glück habe ich nur einen kleinen Koffer, mit dem ich mich nach der Wahl direkt zum Flughafen begeben werde. Ich kann nur hoffen, dass mich dort nicht die nächste Bombendrohung des gelangweilten Schülers erwartet, der seither aus dem Internet verschwunden ist.

Foto&Text TaxiBerlin